Es ist ein unvollendetes Werk mit großer Wirkung. Doch den Erfolg seines DDR-Nachkriegsromans „Rummelplatz“ hat Werner Bräunig (1934-1976) nicht mehr erlebt. Das Buch erschien 2007 - mehr als 30 Jahre nach seinem Tod. Es wurde euphorisch aufgenommen.
Der Roman entwirft auf mehr als 600 Seiten ein Panorama der ostdeutschen Gesellschaft anhand persönlicher Geschichten im Umfeld des Uranbergbaus der Wismut AG im Erzgebirge. Anlässlich des Kulturhauptstadtjahres 2025 bringt die Oper Chemnitz Bräunigs „Rummelplatz“ nun erstmals auf die Bühne. Premiere ist am Samstag (20. September).
Komponist Ludger Vollmer und Autorin Jenny Erpenbeck haben die umfangreiche Literaturvorlage für das Musiktheater komprimiert. Gut zwei Stunden dauert das Stück. Regisseur Frank Hilbrich ist überzeugt: „Das Werk geht uns an.“ Es stecke „noch mehr von der damaligen Geschichte in den Knochen als wir glauben“, sagt er, zum Beispiel in Familiengeschichten.
Bräunig erzähle exemplarisch, sagt Hilbrich. Menschen seien in einem bestimmten Umfeld dargestellt, doch dies sei nur ein „Gefäß“. Diese Geschichten könnten laut dem Regisseur auch in anderen Systemen handeln. Die Oper folge daher der Romanvorlage, es werde aber nicht historisierend erzählt.
Vorgestellt werden Menschen und ihre Träume: Da will eine junge Frau unter Tage arbeiten wie die Männer, ein Akademikerkind landet im Schacht statt an der gewünschten Universität, ein Mann aus sozial-schwachen Verhältnissen neigt zu Gewalttätigkeit und Spielsucht. Bei der Wismut, einer sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft, treffen Kriegsheimkehrer auf Glücksritter, Aufsässige auf Idealisten. Sie alle förderten einst - allen voran in Sachsen und Thüringen - Uran für die sowjetische Atomindustrie.
Der Titel „Rummelplatz“ steht für eine chaotische Aufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch für die Sehnsüchte der Menschen, vor allem dem Wunsch nach Freiheit - im Gegensatz zur engen Welt unter Tage und zur Enge politischer Doktrin. Im Opernlibretto von Erpenbeck heißt es an einer Stelle: „Woher wir kommen, das gibt es nicht mehr. Wohin wir gehen, das wissen wir nicht.“
Ludger Vollmers Musik zeichnet den Weg in die Tiefe eines Bergbauschachts ebenso nach wie die Ausgelassenheit der Protagonistinnen und Protagonisten, aber mitunter auch ihre Sprachlosigkeit - etwa wenn Vater und Sohn nicht vermögen, miteinander zu sprechen. Eine Swing-Tanzszene im Buch wird in der Oper gar zum elektronischen Rave. Vollmer hat ein Werk für ein vollbesetztes Orchester, für Chor, Kinderchor und Solisten geschrieben. „Im Orchestergraben und auf der Bühne ist richtig was los“, sagt er.
Der Komponist ist bekannt dafür, dass er auch umfangreiche literarische Vorlagen vertont, und zwar solche, die heute noch relevant sind. So etwa schuf er für das Theater Kiel Thomas Manns „Buddenbrooks“. Die Oper wurde 2024 uraufgeführt.
Benjamin Reiners hatte die musikalische Leitung. Und auch bei der Uraufführung in Chemnitz wird er am Pult stehen. „Rummelplatz“ habe viel mit der Gegenwart zu tun, sagt er. „Wir lassen die Menschen erzählen, auch von ihren Emotionen.“ Dies sei sehr wichtig - gerade auch in der modernen Gesellschaft.
Der 1934 in Chemnitz geborene Bräunig verbrachte umtriebige Jugendjahre, war unter anderem Gelegenheitsarbeiter in Westdeutschland, arbeitete in Fabriken und Bergwerken, darunter auch im Uranbergbau der Wismut-AG. Als schreibender Arbeiter trug er 1959 auf der ersten „Bitterfelder Konferenz“ den Aufruf „Greif zur Feder, Kumpel“ vor, der Beschäftigte zur literarischen Tätigkeit ermutigen sollte. Bräunig studierte am Literaturinstitut in Leipzig und war dort Oberassistent. Bekannt wurde er vor allem mit Prosa und Erzählungen.
Nach einem Vorabdruck zu „Rummelplatz“ 1965 im Parteiblatt „Neues Deutschland“ fiel er in Ungnade. Ihm wurde „Beleidigung der Werktätigen und der sowjetischen Partner“ vorgeworfen. Der Roman erschien in der DDR nicht.
Die Schilderungen über aufgebrachte, ungehobelte und trinkfreudige Arbeiter waren der kommunistischen Führung offenbar zu viel. Dabei galt Bräunig, der selbst Mitglied der SED war, lange als DDR-Vorzeigekünstler. Von dem Roman-Verbot erholte er sich nicht, verfiel stattdessen dem Alkohol und starb mit nur 42 Jahren in Halle an der Saale.
„Rummelplatz“ endet mit dem Volksaufstand am 17. Juni 1953, im Roman stirbt einer der Protagonisten. Bräunig fragt: „Was bleibt, wenn ein Arbeiter stirbt?“ Diese Frage könnte auch ihm als Schriftsteller gelten. Christa Wolf (1929-2011) würdigte „Rummelplatz“ als eines der wenigen Bücher, die ein Zeugnis der damaligen Lebensverhältnisse, Denkweise und Hoffnungen der Menschen sind.