Der RE6, mit dem der Bundespräsident am Dienstagvormittag von Berlin nach Neuruppin fährt, ist pünktlich und weitgehend leer. Frank-Walter Steinmeier bekommt hier erst einmal kein authentisches Bild von der Diskussion, für die diese Linie an seinem Zielort sorgt. Wenn morgens und abends Pendler und am Wochenende die Fahrrad- und Wassertouristen mit der stündlich verfügbaren Verbindung unterwegs sind, bekommt man im Regionalzug oftmals nur einen Stehplatz. Ein Halbstundentakt zwischen Neuruppin und Berlin ist in Planung, der notwendige Gleisausbau wird wegen Fachkräftemangels aber wahrscheinlich noch länger dauern als gehofft, wie vor wenigen Tagen die „Märkische Allgemeine Zeitung“ berichtete.
Mit dem Frust darüber wird der Bundespräsident schon am Bahnhof in Neuruppin begrüßt. „Halbstundentakt jetzt“ steht auf einem Transparent von ein paar wenigen Demonstranten. Später im Rathaus, wo Steinmeier mit dem Bürgermeister und Stadtverordneten zusammensitzt, ist es das erste Thema, das als Problem angesprochen wird. Man verschenke Potenzial, wenn die Züge nicht öfter fahren, sagt der Vorsitzende Sven Deter. Das gelte nicht nur für den Tourismus, sondern auch für die Unternehmen, die auf Fachkräfte hoffen, die lieber in Berlin wohnen wollen.
Steinmeier hört zu, nickt verständnisvoll, fragt nach. Versprechen kann er als Bundespräsident nichts. Seit drei Jahren reist er immer mal wieder in deutsche Kleinstädte, um sich davon ein Bild zu machen, wo der Schuh drückt. In dieser Woche weht die Standarte des Bundespräsidenten über dem Neuruppiner „Up-Hus“ unweit des Ruppiner Sees statt über dem Berliner Schloss Bellevue. Steinmeier will unter anderem ein Unternehmen und das Amtsgericht besuchen, Drachenboot fahren und Verdienstorden vergeben.
Und vor allem will er die ganz normalen Leute treffen. In der Neuruppiner Buchhandlung bittet Frau Müller, wie sie sich vorstellt, um ein Selfie. „Ich achte Sie sehr“, sagt sie zu Steinmeier. Der Grund: Die Nierenspende an seine Frau. Sie habe früher in den Ruppiner Kliniken auf der Dialysestation gearbeitet, erzählt sie dem Bundespräsidenten. Der kauft danach noch ein. Vier Bücher nimmt er mit, zwei davon auf Empfehlung der Buchhändlerin. Die 77 Euro zahlt er in bar.
Die Menschen auf der Straße grüßen Steinmeier freundlich. Der Ärger über die Politik, der sich auch in Neuruppin schon lautstark entlud, als etwa 2022 der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Bürgergespräch kam, ist am Dienstag nicht zu spüren. „Herzlich willkommen“ und „Viel Spaß in Neuruppin“ rufen die Leute Steinmeier zu. Viele wollen ein Foto mit dem Bundespräsidenten.
Neuruppins Bürgermeister Nico Ruhle (SPD) hatte vorher im Gespräch mit dem epd die Hoffnung geäußert, dass die Menschen auch die Chance nutzen, dem Bundespräsidenten Kritik mit auf den Weg zu geben. „Der gemeine Neuruppiner ist nicht auf den Mund gefallen“, sagte er. Für Mittwoch ist die bei „Ortszeiten“ übliche „Kaffeetafel kontrovers“ geplant, bei der es um die Wiedervereinigung vor 35 Jahren gehen soll. Dort dürfte es auch kritische Töne geben.
Neuruppin ist Steinmeiers 16. „Ortszeit“, die zweite in Brandenburg und bereits neunte im Osten Deutschlands. In Neuruppin kündigte er an, die Reihe bis zum Ende seiner Amtszeit im März 2027 fortsetzen zu wollen. In Rheinland-Pfalz hat er bislang noch keine kleinere Stadt in diesem Rahmen besucht. Man könne durch die mehrtägigen Besuche „tief eintauchen“, sagte Steinmeier. Für die Mitfahrt auf dem Drachenboot wollte er das aber nicht zu wörtlich verstanden wissen.