"Vieles ist scheiße, wenn man Parkinson hat"
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Eine Ausstellung zu Parkinson laesst Erkrankte und Angehoerige zu Wort kommen
Eine Ausstellung lässt Erkrankte und Angehörige zu Wort kommen
Göttingen (epd).

Dass er nicht mehr so gut riechen kann und seine Gelenkigkeit immer mehr abnahm, hat Eckart lange Zeit nicht weiter beachtet oder als normale Alterserscheinung abgetan. An Parkinson, erzählt der 67 Jahre alte Göttinger, der nur mit dem Vornamen genannt werden möchte, „habe ich jedenfalls keinen Gedanken verschwendet“. Erst als Freunde ihn beim Spaziergang auf seine gebückte Haltung und die nicht mehr richtig mitschwingende rechte Hand aufmerksam machten, besorgte er sich beim Hausarzt eine Überweisung zum Neurologen. Nach einigen Tests stand die Verdachtsdiagnose: Morbus Parkinson.

„Die Krankheit nahm plötzlich ganz viel Raum ein“, sagt Eckart. Der pensionierte Lehrer bekam Medikamente verschrieben, die nicht anschlugen. Er unterzog sich weiterer, teils aufwändiger Diagnostik. Er recherchierte im Internet nach auf Parkinson spezialisierten Krankenhäusern. Er suchte und fand weitere Betroffene - und machte wie sie die Erfahrung, dass es in einer medizinisch und therapeutisch eigentlich gut versorgten Stadt wie Göttingen zwar durchaus Hilfsangebote gibt, diese aber kaum miteinander vernetzt sind. „Die an Parkinson Erkrankten werden allein gelassen“, findet Eckart.

Mit seinen Erfahrungen ist er nicht allein. Parkinson ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland mindestens 200.000 Betroffene, mit deutlich wachsender Tendenz. Rund ein Dutzend Erkrankte aus Südniedersachsen kommen in einer Ausstellung zu Wort, die ab dem 5. September in der Göttinger Uni-Klinik gezeigt wird.

„Wir wollen dabei ausdrücklich die Perspektive Betroffener darstellen“, sagt eine der Initiatorinnen, die Logopädin Nora Schmit von der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK), die die Ausstellung gemeinsam mit der Göttinger Universitätsmedizin vorbereitet hat. Die Schau soll Interesse wecken, zum Nachdenken anregen und damit einen weiteren Schritt hin zu einer besseren Versorgung von Menschen mit Parkinson-Krankheit leisten. Ein Jahr lang interviewte und fotografierte das Projektteam Erkrankte und ihre Angehörigen und ermutigte sie zum Verfassen eigener Texte.

„Jeder und jede Betroffene hat andere Erfahrungen gemacht“, berichtet Schmit. Eines aber verbinde alle. „Nämlich die, dass die Krankheit fast alles verändert und dass man nach der Diagnose erst mal nicht weiß wohin.“ Eine von mehreren Dutzend Stimmen bei der Ausstellung gehört Ulrike. „Vieles ist scheiße, wenn man Parkinson hat“, beschreibt die Tierärztin ihre Krankheit. „Wenn man mich gehen sieht, sehe ich aus wie ein Auto, das einen Platten hat und unrund läuft.“ Wegen der Erkrankung und der nicht zufriedenstellenden Gesundheitsversorgung war sie zeitweise nicht in der Lage, sich um ihre Hunde zu kümmern. „Man muss immer wieder Abschied nehmen von Dingen, die man gerne hat oder liebt.“

Die Fotos und Texte zeigen, dass es nicht nur die wachsenden körperlichen Einschränkungen und Beschwerden sind, die Betroffenen das Leben schwerer machen. Fehlende Aufklärung, mangelnde Informationen und eine Bürokratie, die viel Zeit und Nerven kostet, haben die Beteiligten in Bildern festgehalten. „In dem Wust einer unermesslichen Anzahl möglicher Orientierungspunkte jeden Krümel wenden ...“, beschreibt eine Angehörige ihre Suche nach Informationen und Unterstützung. „Irgendwo dort könnte ein entscheidender Hinweis verborgen sein, eine Information, ein Ratschlag, ein Tipp, eine Erkenntnis, etwas, was weiterhilft, Erleichterung schafft, vielleicht sogar Heilung bringt.“

Viele Betroffene machen sich selbst auf die Suche nach Angeboten, die helfen und Lebensqualität schenken - auch das ist Thema der Ausstellung. Meike etwa geht mit kleinen Bällen gegen ihre Erkrankung an. Sie hat sich einer Tischtennisgruppe angeschlossen, die vom Verein „Ping-Pong-Parkinson“ ins Leben gerufen wurde. Die Gruppe triff sich einmal wöchentlich zur „Therapie an der Platte“: „Die konstante Bewegung und die Konzentration auf den Ball wirken sich positiv auf die Muskelsteifheit und die damit einhergehende generelle Trägheit aus“, schreibt Meike.

Norbert hat bei der Ergotherapie eine bunte, quer liegende Acht gemalt, um möglichst große schwingende Bewegungen mit Wachsmalstiften zu Papier zu bringen - Therapie und Kunst zugleich. Das Bild hängt in seinem Arbeitszimmer und stimmt ihn immer wieder fröhlich, wie er bekundet. Ein Foto des Kunstwerks ist in der Ausstellung zu sehen.

Nicht alles konnte aus Platzgründen in der Schau berücksichtigt werden. Der von mehreren Erkrankten geäußerte Wunsch nach Informationen zum Thema Ernährung blieb ebenso außen vor wie politische Forderungen, etwa nach der Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden. Aktuelle Studien zeigen nämlich, dass Landwirte deutlich häufiger an Parkinson erkranken als andere Menschen - offenbar wegen des häufigen Kontakts mit Pflanzenschutzmitteln. Ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat beim Bundessozialministerium hat deshalb eine Empfehlung für eine neue Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ beschlossen.

Reimar Paul (epd)