Drei Generationen sitzen am Tisch, stocksteif, den Rücken durchgedrückt. Die Damen mit luftig ondulierten Haaren und Rüschenblusen, die Herren im festlichen Vatermörder, im steifen Kragen, wie er damals bei besonderen Anlässen üblich war. Auf dem Tisch unter der Jugendstillampe dampft der Punsch, im Hintergrund leuchtet der festliche Weihnachtsbaum. „Auch Hund August darf nicht fehlen“, beschreibt Pastorin Jeannette Querfurth die Weihnachtsidylle aus dem Jahr 1906, die von Sonntag an in einer Ausstellung mit historischen Festfotos aus einem ganzen Jahrhundert in der Bremer Kulturkirche St. Stephani zu sehen ist. Der Titel: „Früher war mehr Lametta.“
Der Satz stammt aus einem Sketch von Loriot mit Opa Hoppenstedt, den Radio Bremen im Dezember 1978 erstmals ausgestrahlt hat und der mittlerweile zum geflügelten Wort geworden ist. „Früher war mehr Lametta - das zeigen auch die Bilder, die unter dem Weihnachtsbaum vergangener Jahrzehnte entstanden sind“, betont Querfurth, die Bremerinnen und Bremer gebeten hat, im Familienalbum nach historischen Weihnachtsfotos zu stöbern.
Zentrales Motiv sind Kinder
Familien um bunte Teller, Kinder mit Blockflöten, auf neuen Fahrrädern, mit Carrera-Bahnen oder Puppenstuben, Väter mit schwarzem Anzug und Krawatte, Mütter im feinen Kleid oder mit der Kittelschürze beim Festtagsbraten: Alles das ist auf den rund 200 Bildern aus der Zeit zwischen 1896 und 1996 zu sehen, die Querfurth zusammengetragen hat. „Das zentrale Motiv sind meistens Kinder“, beschreibt die Theologin.
Auf dem ältesten Foto schaut Mama stolz auf ihren Nachwuchs. Die Jungs trommeln und trompeten, die Mädels halten stolz - natürlich - ihre Puppen in die Kamera. Ein paar Jahre später, der Erste Weltkrieg ist gerade beendet, verkörpert das Familienfoto unterm Weihnachtsbaum die Sehnsucht nach Frieden und Harmonie. Vater und Tochter machen auf Geige und Laute Hausmusik, die jüngere Tochter hält abermals ihre Puppe im Arm, der Sohn mit akkuratem Matrosenkragen ein Spielzeuggewehr.
„Damals gab es viel Selbstgebasteltes am Weihnachtsbaum - glitzernde Stanniol-Girlanden, Strohsterne und Zuckerzeug“, deutet Querfurth die Bilder. Dann kam der Zweite Weltkrieg, und das Fest wird spartanisch, wie exemplarisch ein Bild aus Schlesien zeigt, das 1943 entstanden ist. Drei Leute haben sich um einen schlichten Holztisch versammelt, immerhin mit einer weißen Decke aufgehübscht. Der Christbaum, über und über mit Lametta verschönt, passt auf den Tisch, im Hintergrund hängt der Volksempfänger knapp unter der niedrigen Decke.
Gebügelt und zurückgelegt
Den funkelnden Metallstreifen sieht man ihren Bleianteil an, der das Lametta schwerer macht und so dafür sorgt, dass es schöner von den grünen Zweigen hängt - so wie Eiszapfen, an die es schließlich auch erinnern soll. „Nach Weihnachten wurde es sorgfältig wieder von den Bäumen gesammelt, gebügelt und für das nächste Jahr zurückgelegt“, erinnert Querfurth. Das Geld war knapp, kaum jemand konnte den Baumschmuck jährlich neu kaufen.
Das Wirtschaftswunder nach dem Krieg spült den Menschen dann wieder Geld in die Haushaltskassen. Man leistet sich was - und der liebevoll-handwerklich gestaltete Christbaumschmuck wird langsam von industriell gefertigter Dekoration aus Papier, Metall oder Glas verdrängt. Zwar hat sich die Mode 1957 mit legerer Cordjacke, Karos auf Hemden, Blusen und Rock deutlich geändert - Rituale wie das Singen unterm Weihnachtsbaum aber bleiben. „Rituale sind ein grundlegendes Bedürfnis“, resümiert Pastorin Querfurth.
Ein Jahrhundert Zeitgeschichte im Kleinen und im Großen: Durch die Jahrzehnte spiegeln die Fotos sowohl wechselnde Vorlieben als auch Welt- und Familienhistorie. Ergänzend gibt es eine Dia-Show zu sehen. Und in der Seitenkapelle der Kulturkirche hat Querfurth ein originales Weihnachts-Wohnzimmer aus den 1960er Jahren aufgebaut. Sofagarnitur, Musiktruhe, Bilder, Baumschmuck und Esstisch samt Stühle hat sie über Monate selber aus Secondhandläden und Haushaltsauflösungen zusammengetragen.
Bilder wecken Erinnerungen
„Die Fotos und die Weihnachtsstube werden bei den Besucherinnen und Besuchern eigene Erinnerungen an das Fest wecken“, ist Querfurth überzeugt. Auch daran, dass Weihnachten wohl immer besonders war: oft gut, manchmal aber auch eine Zeit der Enttäuschung, der Anspannung, mit Tagen voller Krach.
So oder so: „Das festliche Familientreffen zieht sich durch die Jahrzehnte“, hält Querfurth fest. Das gilt selbst dann, wenn sich das Bild von der Kernfamilie zur Wahlfamilie wandelt - hin zu den Freunden, die sich zum festlichen Essen unter dem Weihnachtsbaum versammeln. „Eines ist aber auf fast allen Fotos unübersehbar“, bekräftigt Jeannette Querfurth und schmunzelt: „Früher war mehr Lametta. Viel mehr.“