Auferstanden in Ruinen
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Johannes-a-Lasco-Bibliothek in Emden
Emder Johannes-a-Lasco-Bibliothek feiert 30-jähriges Bestehen
Emden (epd).

Wenn Direktor Kestutis Daugirdas durch das Magazin seiner Bibliothek streift, bekommt er strahlende Augen. In langen Gängen reichen Regale bis zur Decke, auf denen viele Jahrhunderte alte riesige in Leder gebundene Folianten neben nur wenige Zentimeter große Büchlein wie eine mehr als 350 Jahre alte Psalmensammlung für die Manteltasche stehen. Die geisteswissenschaftlich und theologisch ausgerichtete Spezialbibliothek wurde vor 30 Jahren am 22. November 1995 eröffnet.

Sie ist nach dem aus Polen stammenden Reformator Johannes a Lasco (1499 - 1560) benannt, der zwischen 1542 und 1549 in Emden wirkte. Unter Experten gilt die von einer Stiftung getragene Bibliothek als eine der weltweit wichtigsten Sammlungen zum reformierten Protestantismus. Ihr Bestand geht auf das Archiv und die seit 1559 bestehende Büchersammlung der evangelisch-reformierten Gemeinde Emden zurück.

Nicht nur eine Schatzkammer für Theologen

Die Bibliothek ist mehr als eine Schatzkammer für Theologinnen und Theologen, sagt Daugirdas, der das Haus seit 2017 als wissenschaftlicher Vorstand leitet. „Wir sind auch ein Hort für die friesische und ostfriesische Geschichte“, erläutert der Kirchenhistoriker und verweist auf den umfangreichen Katalog der Bibliothek mit mehr als 100.000 Titeln. Dort finden sich Einträge über theologische Werke, aber auch zur Philosophie, Geografie, Rechts- und Naturwissenschaften sowie mittelalterliche Abhandlungen über astronomische Beobachtungen.

Die Sammlung umfasst unter anderem Bücher aus den Bibliotheken berühmter Humanisten und Theologen wie Erasmus von Rotterdam (um 1465 -1536), Albert Ritzaeus Hardenberg (1510 - 1574) und Petrus Medmann (1507 - 1548). Besonders wertvoll ist die 1993 erworbene Sammlung des Kaufmanns Johann Philipp Janssen mit rund 2.000 Titeln. Darunter befinden sich auch mehrere Bücher, die vor 1500 gedruckt wurden, sogenannte Inkunabeln, und mehrere wertvolle Drucke des 16. Jahrhunderts. Ein großer Teil dieser Altbestände ist inzwischen digitalisiert und kann von Forschenden über das Internet eingesehen werden.

Mix aus mittelalterlichem Mauerwerk und Industriearchitektur

Außerdem nennt die Bibliothek zahlreiche Kunstwerke wie silbernes Abendmahlgeschirr oder Gemälde ihr Eigen. Etliche dieser Schätze sind noch bis zum 15. Dezember in der Sonderausstellung „Highlights aus sechs Jahrhunderten“ zu sehen.

So ungewöhnlich wie die Sammlung der Bibliothek ist auch ihre Architektur: Die Johannes-a-Lasco-Bibliothek befindet sich inmitten der Ruinen der am 11. Dezember 1943 bei einem Bombenangriff zerstörten Großen Kirche. Ihre ältesten hölzernen Vorläufer gehen auf das Jahr 966 zurück. Ab 1200 folgten Bauten aus Stein, die immer weiter ausgebaut wurden. Nach dem Bombenangriff blieben nur einige Säulen stehen, die der Verwitterung preisgegeben waren.

Auf Betreiben des reformierten Pastors und späteren Gründungsdirektors Walter Schulz entstand in den 1980er Jahren der Plan, in der Ruine eine moderne Bibliothek zu errichten. Heute vereinen sich dort nach Plänen des Architekten Jochen Bunse hoch aufragendes mittelalterliches Mauerwerk mit moderner Industriearchitektur. Die Bibliothek ist zugleich „die gute Stube“ der Stadt Emden und wird für Tagungen, Konzerte und Ausstellungen genutzt. Auch die Gesamtsynode der Evangelisch-reformierten Kirche tagt dort regelmäßig.

Historisches „Schepken Christy“ wurde Siegel der Evangelisch-reformierten Kirche

„Die Johannes-a-Lasco-Bibliothek ist auch ein Denkort, der über die Region weit hinausragt“, unterstreicht Daugirdas. In der Reformationszeit gewann die Große Kirche als „Moederkerk“ (ostfriesisch für „Mutterkirche“) der reformierten Christen große Bedeutung. Sie diente als religiöser Zufluchtsort für calvinistische Glaubensflüchtlinge aus ganz Europa. Daran erinnert ein Relief, das den Krieg überstand und heute wieder in der Bibliothek hängt. Zu sehen ist das „Schepken Christy“ („Schiffchen Christi“) und die Inschrift: „Godts kerck, vervolgt, verdreven, heft Godt hyr trost gegeven“ („Gottes Kirche, verfolgt, vertrieben, hat Gott hier Trost gegeben.“). Heute ist das Segelschiff mit der Inschrift das Siegel der Evangelisch-reformierten Kirche.

Von Jörg Nielsen