 
Was Roman Schapowalenko erlebt hat, ist ein Martyrium, fast unvorstellbar. Der Ukrainer lebt in Cherson im Süden seines Heimatlandes im Mündungsdelta des Dnepr. Die Hafenstadt wurde Anfang März 2022 von russischen Besatzern ohne große Gegenwehr eingenommen, später befreit. Frontstadt ist sie bis heute. Militäreinheiten holten Schapowalenko nachts aus seinem Haus, nahmen ihn fest, folterten ihn. Auch mit Stromstößen an den Genitalien. Das hat tiefe Spuren bei ihm hinterlassen. Trotzdem: Er sieht sich als Überlebenden, nicht als Opfer.
In einem Film der Bremer Produktionsfirma blindCat Documentary beschreiben Roman Schapowalenko und andere Überlebende, was ihnen passiert ist, wie sexuelle Gewalt gegen Männer systematisch als Kriegswaffe eingesetzt wird. Die Dokumentation mit vorangestellter Triggerwarnung ist am 28. Oktober spätabends auf Arte zu sehen. „Das Thema ist ein Tabu“, sagt der Bremer Journalist Christoph Sodemann, der in einem dreiköpfigen Team für Buch und Regie gearbeitet und recherchiert hat.
Die Dokumentation mit Beispielen aus der Ukraine, Uganda und Bosnien zeigt, was kaum bekannt ist: Sexualisierte Gewalt im Krieg trifft nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Sie werden nicht getötet, aber seelisch zerstört - aus Sicht der Vergewaltiger eine effiziente Waffe im Krieg. Die meisten Opfer schweigen, die Täter kommen davon. Männer wie Roman Schapowalenko und sein Freund Oleksiy Sivak, der inzwischen eine Selbsthilfegruppe gegründet hat, haben das Schweigen gebrochen. „Ich glaube, dass es notwendig ist, darüber zu sprechen“, ist Schapowalenko überzeugt.
Die Männer sollen gedemütigt und erniedrigt werden, sagt die Hamburger Historikerin Regina Mühlhausen in dem Film, der neben den körperlichen Verletzungen auch die psychischen Lasten beschreibt. Sie ist Mitglied einer internationalen Wissenschaftsgruppe, die sexuelle Gewalt gegen Männer erforscht und verdeutlicht: „Es geht um Macht - und um die Zerstörung der sexuellen Selbstbestimmung.“
Mit Folgen für den Rest des Lebens, so beschreibt es Zihnija Basic aus Bosnien. Der Mann fiel im Dezember 1995 als Zivilist serbischen Militärpolizisten in die Hände. Über Tage vergewaltigten die Serben ihn mehrfach, trieben einen Spaten in seinen Anus. Als er frei kam, konnte er nicht darüber sprechen, bekam Angststörungen.
Die Psychologin Sabiha Husic von der Hilfsorganisation Medica Zenica steht ihm bis heute zur Seite. „Die Überlebenden sind von Schmerz und Scham erfüllt und erleben Stigmatisierung in ihrer Gemeinschaft“, sagt sie. So musste Zihnija Basic lange darum kämpfen, als Kriegsopfer nach seinen Vergewaltigungen anerkannt zu werden: „Mit Sabihas Hilfe konnte ich das durchstehen.“
Auch Masokolo Lemba aus dem Kongo ist Mitglied einer Selbsthilfegruppe. Lemba flüchtete vor dem Krieg in seiner Heimat nach Uganda. Dort wird den Überlebenden sexueller Gewalt oft Homosexualität unterstellt - und die ist in Uganda strafbar. Keine guten Voraussetzungen, ein Trauma zu bewältigen. Vorurteile und Unverständnis in der eigenen Gesellschaft verstärken die Furcht der betroffenen Männer und führen dazu, dass viele sich nicht einmal ins Krankenhaus wagen, auch wenn sie schwerste Verletzungen haben.
Vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag wurde das erste Mal überhaupt sexuelle Gewalt gegen Männer verhandelt und abgeurteilt. Juristisch ein wichtiger Schritt, betont Christoph Sodemann, der in Bosnien und Uganda gedreht hat. Doch die Wurzeln der Gewalt liegen tief, meint der Dokumentarfilmer. Das sagt auch die Historikerin Regina Mühlhausen. Wer sexuelle Gewalt gegen Männer im Krieg verhindern wolle, müsse sie im Frieden bekämpfen. „Brutstätten dieser Gewalt sind nicht selten Gefängnisse und das Militär.“
Die hohe Zahl der Betroffenen habe ihn erschreckt, betont Christoph Sodemann. Gleichzeitig sei er beeindruckt vom Mut der Überlebenden, ganz offen vor der Kamera über diese schlimmen Misshandlungen zu sprechen. Ein Ukrainer, der anonym bleiben will und selbst Überlebender ist, bringt es im Film so auf den Punkt: „Wenn man nicht darüber spricht, wird es weitergehen. Und wie eine Lawine wachsen.“
 
