Weder Gras noch Nelke
Grasnelken
Die Grasnelke wächst niedrig und polsterartig mit schmalen Blättern. Die Blütenstiele können bis zu 30cm hoch werden.
Der Name der «Blume des Jahres» verwirrt
Hamburg/Stuttgart (epd)

Die Loki Schmidt Stiftung mit Sitz in Hamburg hat die Grasnelke für das Jahr 2024 zur 45. Blume des Jahres ernannt. Mit dieser Wahl ruft die Stiftung zum Schutz heimischer Wildpflanzen und zum Erhalt blütenreicher Magerrasen und Salzwiesen auf. Dort ist die Grasnelke bevorzugt zu finden, an der Küste genauso wie weit weg vom Meer. Sie kommt sogar mit Straßenrändern klar. Trotzdem gehen ihre Bestände zurück, denn gegen die Bebauung und Versiegelung von Böden und die Überdüngung ist auch dieser Überlebenskünstler machtlos. Inzwischen steht die Grasnelke (Armeria maritima) auf der Vorwarnliste der Roten Liste gefährdeter Pflanzen.

Der Schwerpunkt der Verbreitung liegt in Deutschland an der Nordseeküste und in den östlichen Bundesländern. In Baden-Württemberg sind laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) nur in der Rheinebene bei Mannheim, Schwetzingen und Rastatt wilde Vorkommen zu finden, sowie entlang des Mains bei Wertheim. Akut vom Aussterben bedroht ist die Unterart Purpur-Grasnelke (Armeria purpurea W. D. J. Koch). Die Funde am westlichen Bodensee endeten laut BfN-Karte in den 1960er-Jahren. Aktuell ist diese Unterart weltweit einmalig nur noch im Naturschutzgebiet Benninger Ried bei Memmingen (Bayern) zu finden.

Wer möchte, kann der Grasnelke bei sich zu Hause eine Heimat bieten: Sie lässt sich auf einem sonnigen Balkon, im Garten oder auf einem Gründach pflanzen. Wer das tut, trägt nachhaltig zum Überleben der Insekten bei, denn die Grasnelke blüht sehr lange: Nektar und Pollen für Schmetterlinge, Wildbienen und den nach ihr benannten Grasnelken-Glasflügler liefert sie durchgängig von Mai bis Oktober.

Der Name der Grasnelke führt in die Irre, denn sie ist weder ein Gras noch eine Nelke. Sie ist ein Bleiwurzgewächs (Plumbaginaceae). Doch ihr niedriger, polsterartige Wuchs mit schmalen und spitzen Blättern erinnert an Gras. Ab Mitte Mai wachsen aus dem Polster ganz viele Blütenstände, in Rosa bis Purpur. Die Blütenstände können bis zu etwa 40 Zentimeter hoch werden. Der Name «Bleiwurzgewächs» weist indes in die richtige Richtung, denn diese Pflanzenfamilie kann auch auf Böden wachsen, die mit Schwermetallen - wie Blei - belastet sind. Dazu gehört der bereits genannte Straßenrand.

Was die Grasnelke bedroht, sind zu hohe Stickstoffeinträge und die zu intensive Pflege von Wegrändern und Grünflächen. Bei der Beweidung braucht sie genau das richtige Maß. Gibt es zu viele Tiere, fressen diese ihre Blütenstände weg. Ist die Beweidung zu schwach, setzt sich die stärkere pflanzliche Konkurrenz gegen die Grasnelke durch und übernimmt die Wiese. Denn so hart die Grasnelke im Ertragen von Salz und Trockenheit ist, so «konkurrenzschwach» ist sie. Wird ein Küstenrasen nicht beweidet und dadurch niedergehalten, hat die Grasnelke gegen die wuchsfreudige Strandquecke kaum eine Chance.

Auch bei zu häufiger Düngung landwirtschaftlicher Flächen wird die Grasnelke verdrängt. Die ganz gezielte und sparsame moderne Düngung, teils mit GPS gesteuert, ist daher in ihrem Interesse. Nicht nur in ihrem: Laut BfN sind die hohen Nährstoffeinträge in die Umwelt bei der Hälfte der in Deutschland gefährdeten Pflanzenarten der Hauptgrund für den Rückgang der Bestände

Wird eine Wiese zugebaut, könnte die Grasnelke vielleicht aufs Dach umziehen. Wie ein Schwamm saugen Gründächer das Regenwasser auf, die langsame Verdunstung kühlt das überhitzte Stadtklima. Viele Pflanzen, die sonst auf Mager- oder Trockenrasen zu Hause sind, finden auf dem Dach einen neuen und ziemlich ungestörten Lebensraum.

Wer bei sich im Garten oder auf dem Balkon einen passenden Platz für die Grasnelke hat, kann im Gartenbedarf Samen von Zuchtsorten kaufen oder bei der Loki Schmidt Stiftung gegen eine Schutzgebühr eine Samenpostkarte bestellen. Die Aussaat ist ab März zu empfehlen. Den Samen in Töpfen mit Aussaaterde nur leicht andrücken, am warmen Ort gut feucht halten. Die selbst gezogenen oder auch im Handel fertig gekauften Jungpflanzen dürfen im März oder April draußen in lockeren Boden. Auch dort ist die pflegeleichte, winterharte und mehrjährige Gartennelke vielseitig: Sie mag es im Kübel genauso wie im Steingarten oder auf der Trockenmauer.

Von Peter Dietrich (epd)