Heike Stute hat in ihrem Büro in Berlin-Tempelhof auf einem Zettel erfreuliche Zahlen notiert: „2022 hatten wir Malteser zur Nachbarschaftshilfe rund 60 Anfragen im Monat. Heute sind es rund 170 Erstkontakte.“ Auch die Zahlen der von der katholischen Hilfsorganisation in Berlin geschulten Nachbarschaftshelferinnen und -helfer, die Pflegebedürftige in ihren eigenen vier Wänden unterstützen, steige, berichtet Stute. Sie ist seit Mai 2021 für die Nachbarschaftshilfe bei den Maltesern zuständig. „Im Juli hatten wir ein sehr erfreuliches Ereignis: Wir haben den 3.000. Helfer geschult.“
Die geschulten Ehrenamtler begleiten Arztbesuche, kaufen ein, helfen im Haushalt oder leisten Hilfebedürftigen Gesellschaft. Abgerechnet werden diese Dienste in der Regel mit den Pflegekassen, die dazu den sogenannten Entlastungsbetrag von derzeit 131 Euro nutzen, der jedem anerkannten Pflegebedürftigen zusteht. Die Regelungen dazu sind in den Bundesländern unterschiedlich, die Kurse aber überall Pflicht.
Kurse bereiten auf den Einsatz vor
Ines Piotrowski hat sich in einem Präsenzkurs vorbereiten lassen. Seit März 2022 ist sie nun für einen Bekannten in ihrem Kiez in Neukölln im Einsatz. Schon vorher hat Piotrowski dem Mann geholfen, nach einer Wirbelsäulenoperation zu Hause zurechtzukommen. „Ihm ging es nach der Entlassung aus der Klinik dramatisch schlechter. Und es war klar, dass er einen Pflegegrad beantragen musste und den auch bekam.“ Auf die Nachbarschaftshilfe sei sie eher zufällig gestoßen: „Ich habe Kontakt zu den Maltesern gesucht und 2022 einen Kurs belegt“, erzählt Piotrowski, die zu DDR-Zeiten ein Fachschulstudium zur „Stomatologischen Schwester“, im Westen Zahnarzthelferin, absolviert hat.
Sie wollte ihren Einsatz auf ein offizielles Fundament stellen: „Ich habe ja eh schon geholfen, warum sollte ich dann nicht die Tätigkeiten mit der Pflegekasse abrechnen?“ Sie macht die Wäsche, kauft ein, hält die Wohnung sauber und erledigt Papierkram. Monatlich schicke sie eine Rechnung an die Pflegekasse. So komme sie auf eine finanzielle Anerkennung von im Schnitt rund 1.500 Euro im Jahr.
Heike Stute und Ines Piotrowski sind erleichtert, dass die jüngst diskutierte mögliche Abschaffung des Pflegegrades 1 wieder vom Tisch ist. „Wer so Geld einsparen will, denkt zu kurz“, sagt Stute. „Ich weiß, dass viele Menschen, die dringend Hilfe im Alltag brauchen, von der Nachbarschaftshilfe nichts wissen“, so Piotrowski.
Kritik am Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
Dass es bei den geplanten Reformen in der Pflege zu spürbaren Veränderungen kommen wird, gilt als sicher. Erste Hinweise darauf lieferte der am 13. Oktober veröffentlichte Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“, die im Dezember ihre Ergebnisse vorstellen will.
Sebastian Fischer schlägt Alarm. Er hat den Zwischenbericht der AG analysiert. Die Pläne gingen dahin, Gelder des Entlastungsbudgets umzuwidmen, sagte der Geschäftsführende Vorstand von „wir pflegen - Interessenvertretung und Selbsthilfe pflegender Angehöriger“ dem epd. Im Bericht heißt es: „Die Fach-AG empfiehlt (...) die für den Entlastungsbetrag im Pflegegrad 1 eingesetzten Mittel zukünftig ganz oder teilweise in einer frühen fachpflegerischen, präventionsorientierten Begleitung von Pflegebedürftigen (...) zu verwenden.“ Dieser Ansatz sei falsch und ginge zulasten der „informell Pflegenden“, also auch der Nachbarschaftshelfer, so der Fachmann.
Andere Wege der Prävention statt Heimunterbringung
Die AG wolle andere Wege der Prävention gehen, die den Pflegebedürftigen den Gang ins Heim ersparen sollen. Denn, so ist zu lesen: „Insbesondere der Entlastungsbetrag in Höhe von 131 Euro wird hinsichtlich seiner Versorgungswirkungen infrage gestellt. (...) Die Zielsetzungen einer zielgerichteten Prävention von Verschlechterungen wurden nicht hinreichend erreicht.“
Auch der VdK sieht die Vorschläge der AG kritisch. „Mehr Mittel für die Prävention aufzuwenden, begrüßen wir. Eine Umschichtung, die Kürzung an anderer Stelle voraussetzt, ist jedoch abzulehnen“, sagte Martin Kilimann, Referent für Pflegepolitik, dem epd. Erkennbar sei, dass die Mittel des Entlastungsbetrages, die auch für die Nachbarschaftshelfer oder Hilfen im Haushalt genutzt werden, umgewidmet werden sollen. „Uns stellt sich die Frage, was das bringt. Denn diese Unterstützung wird künftig von vielen Seniorinnen und Senioren weiterhin gebraucht“, sagte Kilimann.