Betroffene kritisieren Unwissen bei chronischem Erschöpfungssyndrom
Berlin (epd).

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) registriert eine Zunahme von Suizidwünschen bei jungen Menschen, die an dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS leiden. Die sogenannte Myalgische Enzephalomyelitis, auch als Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) bekannt, ist unter anderem eine Folge von Long Covid. In den vergangenen zwölf Monaten hätten acht davon betroffene Personen einen schriftlichen Antrag auf Vermittlung einer Freitodbegleitung gestellt, sagte DGHS-Präsident Robert Roßbruch am Donnerstag in Berlin.

„Fünf davon haben wir schweren Herzens vermittelt und die Freitodbegleitung ist bereits erfolgt“, sagte der Professor für Gesundheits- und Pflegerecht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes. Drei Personen befänden sich noch im Vermittlungsverfahren. Unter den acht Personen, die einen Antrag gestellt haben, seien fünf junge Frauen im Alter von 24 bis 29 Jahren gewesen.

Rund 650.000 Menschen erkrankt

„Üblicherweise ist bei unseren Fällen die Altersgruppe der 80- bis 89-Jährigen am häufigsten vertreten“, sagte der Jurist. Danach folgten die 70- bis 79-Jährigen: „Wenn jemand unter 50 Jahren eine Freitodbegleitung wünscht, hat er sehr gute Gründe und ist für uns dann immer noch ein Ausnahmefall.“

Schätzungen zufolge sind in Deutschland rund 650.000 Menschen in Folge einer Virusinfektion an ME/CFS erkrankt, darunter 80.000 Kinder und Jugendliche. In schweren Fällen leiden sie an extremer Reizempfindlichkeit auf Licht, Geräusche, Berührung und Gerüche und werden zu Pflegefällen.

Eklatante Versorgungslücke und Unwissen

Der Flensburger Internist Wolfgang Ries ist einer der wenigen ME/CFS-Spezialisten. Gemeinsam mit der Patientenselbsthilfeorganisation Verein für postinfektiöse Erkrankungen Schleswig-Holstein (PiErSH) kritisiert er eine eklatante Versorgungslücke und Unwissen auf dem Gebiet. Trotz klarer biomedizinischer Erkenntnisse gebe es kaum spezialisierte Anlaufstellen und keine zugelassenen Medikamente. Fehldiagnosen seien mangels Aufklärung weit verbreitet. Häufig werde den Betroffenen irrtümlich unterstellt, an Depressionen oder anderen psychosomatischen Erkrankungen zu leiden.

Ries geht davon aus, dass 90 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland nichts über die Krankheit wissen. Das betreffe auch Gutachter, Amtsärzte und sozialpsychiatrische Dienste, mit erheblichen negativen Auswirkungen für die Versorgung der Patienten mit ME/CFS.

Suizid darf keine Option sein

Der Patientenselbsthilfeverein aus Schleswig-Holstein fordert deshalb unter anderem eine Milliarde Euro für die Forschungsförderung, schnelle, klinische Studien, ein nationales Forschungszentrum für postinfektiöse Erkrankungen und eine breite Informations- und Aufklärungskampagne für alle Beteiligten im Gesundheits- und Sozialsystem.

Auch DGHS-Präsident Roßbruch betonte, „es kann und darf nicht sein, dass insbesondere junge Menschen, die an ME/CFS erkrankt sind, nur in einer Suizidassistenz eine Option sehen“. Die Politik und die medizinische Forschung und Versorgung müssten die Bemühungen verstärken und die entsprechenden Gelder zur Verfügung zu stellen.

Von Markus Geiler (epd)