Steinmeier: Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter hat lange gedauert
Berlin (epd).

Der Danziger Jerzy Tarasiewicz, 83 Jahre alt, ist als Kind von Zwangsarbeitern auf einem Bauernhof bei Magdeburg geboren. Bogdan Bartnikowksi, heute 95, wurde nach dem Warschauer Aufstand zur Lagerarbeit in Auschwitz-Birkenau gezwungen. Die Ukrainerin Anastasiia Gulej floh vor der Zwangsarbeit, wurde gefasst und ebenfalls ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht. In wenigen Tagen wird sie 100 Jahre alt. Sie waren drei von rund einem Dutzend Holocaust-Überlebender aus Osteuropa, die für die Feier des 25-jährigen Bestehens der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft am Dienstag den Weg nach Berlin auf sich genommen hatten.

Im Jahr 2000 gegründet, zahlte die Stiftung ab 2001 Entschädigungsleistungen an Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus zur Arbeit gezwungen wurden, in Fabriken, auf Bauernhöfen, in Lagern. Mehr als 55 Jahre waren da schon seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. „Allzu lange“ habe es gedauert, bis es eine Regelung gegeben habe, räumte beim Festakt zum Jubiläum auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein. „Es ging um eine endlich und öffentlich ausgesprochene Anerkennung des Leids, die sich zumindest materiell zeigt“, sagte er.

1,66 Millionen Zwangsarbeiter erhielten Leistungen

Bis 2007 wurden rund 4,4 Milliarden Euro an etwa 1,66 Millionen frühere Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgezahlt. Das Geld dafür kam vom deutschen Staat und von Wirtschaftsunternehmen, in denen Menschen zur Arbeit gezwungen wurden.

Richtig findet Steinmeier diese Teilung bis heute: Es sei eine „lange nicht recht wahrgenommene Tatsache“, dass der NS-Staat seine Verbrechen nicht allein mit rassenideologischen Begründungen oder aus machtpolitischem Kalkül beging, sagte er. Vielmehr habe er sich dabei auch „auf massiv ökonomisch motivierte Raubzüge“ begeben, bei denen Jüdinnen und Juden, besetzte Länder sowie eben auch 20 Millionen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern „brutal ausgebeutet“ worden seien. „Von diesem verbrecherischen Raubzug haben viele profitiert, der Staat ebenso wie die Industrie, wie Handwerk und landwirtschaftliche Betriebe“, sagte Steinmeier.

BDI-Präsident sieht historische Verpflichtung für Unternehmer

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Peter Leibinger, sagte, der Wirtschaft sei aus der Geschichte „tätige Reue“ aufgegeben. Zudem entstehe aus der Privilegierung von Unternehmern auch heute eine besondere Verpflichtung für diese. In der „gegenwärtigen wieder kritischen Lage“ heiße das, es werde auch auf die Unternehmen ankommen, „dass wir den richtigen Weg gehen“, sagte Leibinger.

Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft engagiert sich seit Abschluss der Zahlungen im Jahr 2007 weiter dabei, die Erinnerung an das NS-Unrecht wachzuhalten und NS-Opfer in verschiedenen Ländern zu unterstützen. Anastasiia Gulej gehört zu den Zeitzeuginnen, die immer wieder ihre Geschichte erzählten, um Jüngere zu mahnen.

Ihre Hoffnung sei immer gewesen, dass nachfolgende Generationen solche Verbrechen nicht mehr erleben müssen, auch keinen Krieg, sagt sie bei ihrem Besuch in Berlin. 2022 war sie vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflohen, 2023 nach Kiew zurückgekehrt. Als sie auf dem Weg nach Berlin war, habe sie die Nachricht erreicht, dass ein russischer Beschuss das Nachbarhaus getroffen habe, erzählt sie.

Von Corinna Buschow (epd)