Verzicht auf Mindesturlaub nicht möglich
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Bundesarbeitsgericht in Erfurt

Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub bleibt auch bei einem gerichtlichen Vergleich nach Ende eines Arbeitsverhältnisses bestehen. Ein Verzicht auf den Mindesturlaub ist unwirksam und verstößt gegen EU-Recht, urteilte das Bundesarbeitsgericht.

Erfurt (epd). Eine in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindungszahlung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses darf nicht den Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub beinhalten. Solch ein Verzicht ist unwirksam und verstößt gegen EU-Recht, urteilte am 3. Juni das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Folge der Entscheidung ist, dass - anders als bei einer Abfindung - auf die noch bestehenden Urlaubsansprüche Sozialversicherungsabgaben gezahlt werden müssen.

Im Streitfall war der Kläger vom 1. Januar 2019 bis zum 30. April 2023 als Betriebsleiter angestellt. Ihm standen insgesamt 30 Urlaubstage pro Jahr zu. Darin enthalten war auch der gesetzliche Mindesturlaub. Dieser entspricht bei einer Fünftagewoche 20 Tagen und bei einer Sechstagewoche 24 Tagen pro Jahr. Als der Kläger im Jahr 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankte, einigte er sich mit seinem Arbeitgeber in einem gerichtlichen Vergleich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Häufige Formulierung in Vergleichen

Im Gegenzug sollte der Mann eine Abfindung in Höhe von 10.000 Euro erhalten. Im Vergleich fand sich eine häufig verwendete Formulierung: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Laut Vergleich konnte der Kläger damit keine Urlaubsansprüche mehr geltend machen.

Nach Abschluss des Vergleichs wandte der Arbeitnehmer ein, dass ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht möglich sei. Die entsprechende Klausel sei unwirksam. Der Arbeitgeber müsse ihm neben der Abfindungssumme zusätzlich noch die Abgeltung von nicht genommenen sieben Tagen Mindesturlaub zahlen, insgesamt 1.615,11 Euro. Ein Verzicht auf den über den Mindesturlaub hinausgehenden Mehrurlaub war nicht im Streit.

Das BAG urteilte, dass der Kläger die Abgeltung für den nicht genommenen Mindesturlaub verlangen könne, weil Arbeitnehmer laut EU-Recht den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nehmen müssen und nicht darauf verzichten können, auch nicht mit finanziellem Ausgleich. Werde das Arbeitsverhältnis mit einer Abfindungszahlung beendet und könne ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt den Mindesturlaub nicht mehr in Anspruch nehmen, stehe ihm eine Urlaubsabgeltung zu - und zwar hier zusätzlich zur Abfindung.

Schnellerer Anspruch auf Arbeitslosengeld

Die obersten Arbeitsrichter erschwerten damit Tricksereien, um in arbeitsgerichtlichen Vergleichen Sozialversicherungsabgaben zu sparen. Denn mitunter wurden in gerichtlichen Vergleichen höhere Abfindungssummen gegen einen Verzicht auf Urlaubsansprüche gezahlt. Vorteil für Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Die Zahlung von Sozialabgaben für bestehende Urlaubsansprüche entfällt. Zudem kann der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber sofort einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I geltend machen. Besteht dagegen noch ein Resturlaub, kann erst nach dessen Ablauf Arbeitslosengeld beansprucht werden.

Auch in Tarifverträgen darf der gesetzliche Mindesturlaub nicht eingeschränkt werden. Wie das BAG am 16. April 2024 urteilte, sei es zwar zulässig, dass der tarifliche Mehrurlaub für länger als ein Jahr erkrankte Beschäftigte ausgeschlossen wird. Eine solche Regelung verstoße weder gegen den Gleichheitssatz noch sei sie wegen einer Benachteiligung behinderter Arbeitnehmer nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unwirksam. Tarifparteien dürften den Mehrurlaub frei regeln. Eine Einschränkung des gesetzlichen Mindesturlaubs sei in einem Tarifvertrag aber nicht zulässig.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg bekräftigte mit Urteil vom 27. April 2023 ebenfalls den Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Könne etwa ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit vor Beginn der Freistellungsphase krankheitsbedingt seinen Urlaub nicht mehr vollständig nehmen, müsse der Arbeitgeber jedenfalls den gesetzlichen Mindesturlaub finanziell abgelten, so das Gericht im Fall eines beim Autohersteller BMW tätigen Arbeitnehmers.

Urlaubsansprüche sind vererbbar

Selbst beim Tod eines Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber sich nicht um bestehende gesetzliche Mindesturlaubsansprüche drücken. Wie das BAG am 22. Januar 2019 urteilte, wandele sich mit dem Tod der Urlaubsanspruch in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um. Der Arbeitgeber müsse diesen an die Erben auszahlen, so das Gericht, welches damit die Rechtsprechung des EuGH umsetzte.

Laut BAG gilt dies generell für den gesetzlichen Mindesturlaub und auch für den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte von einer Woche, bei einer Fünftagewoche also fünf Arbeitstage. Bei weitergehenden Urlaubsansprüchen hänge dies vom Tarif- oder Arbeitsvertrag ab.

Az.: 9 AZR 104/24 (Bundesarbeitsgericht zum Verzicht auf Mindesturlaub)

Az.: 9 AZR 127/23 (Bundesarbeitsgericht zum Mehrurlaub bei Langzeiterkrankung)

Az.: C-192/22 (Europäischer Gerichtshof)

Az.: 9 AZR 45/16 (Bundesarbeitsgericht zur Vererblichkeit von Urlaubsansprüchen)

Frank Leth