
Wer wissen will, wie der Ausbau der Frauenhausplätze in Deutschland vorankommt, scheitert an zwei Hürden: am Föderalismus und an Lücken in der Datenerfassung. Immerhin: Es werden neue Häuser gebaut, doch echte Fortschritte brauchen viel Zeit.
Frankfurt a.M. (epd). Deutschland braucht ein Zigfaches seiner bestehenden Frauenhäuser. Das schreibt die seit 2018 geltende Istanbul-Konvention, das internationale Übereinkommen zum Kampf gegen Gewalt an Frauen, vor. Hierzulande fehlen rund 14.000 Schutzplätze. Laut einer Statistik des Dachverbandes Frauenhauskoordinierung aus dem Jahr 2023 gibt es momentan lediglich Raum für rund 7.700 Personen, das heißt, es existiert nur ein Drittel der Plätze, die benötigt werden. Schon heute ist klar: Es wird Jahrzehnte dauern, bis die vorgegebene Quote erreicht ist.
Offizielle Zahlen, die bundesweit transparent machen, wo in den vergangenen Monaten neue Frauenhäuser entstanden sind, gibt es nicht. Die meisten Statistiken beziehen sich auf das Jahr 2023 oder früher - nur vereinzelt stößt man auf Presseartikel oder Informationen aus den Landessozialministerien, die über Neu- oder Umbauten von Schutzhäusern berichten.
So wurde zum Beispiel im November das 19. Frauenhaus in Rheinland-Pfalz im Eifelkreis Bitburg-Prüm an den Träger übergeben, das einen weißen Fleck auf der Landkarte beseitigt. Es ist die erste Einrichtung, die zusammen vom Land und vier Landkreisen finanziert wurde. „Wir sind wirklich froh, dass wir endlich ein Frauenhaus für die Eifel haben. Denn wir haben seit Jahren dafür gekämpft“, sagte Doris Sicken, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Vulkaneifel.
Valide Zahlen auf Bundesebene fehlen
Die Dachorganisation Frauenhauskoordinierung kann ebenfalls nicht mit Statistiken zum Ausbau der Einrichtungen weiterhelfen: „Einen solchen Überblick haben wir nicht, weil wir als Bundesorganisation Einzelvorhaben der Länder beziehungsweise Träger nicht registrieren. Meldungen aus der Presse oder im Rahmen unserer Netzwerkarbeit erfassen wir nur vereinzelt und nicht repräsentativ“, sagte eine Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Ampelkoalition hat noch geregelt, dass von Gewalt betroffene Frauen durch ein Gewalthilfegesetz ein Recht auf Schutz und Beratung bekommen - allerdings als Rechtsanspruch erst ab dem Jahr 2032. Bis dahin, so der Plan, soll sichergestellt werden, dass es ein „bedarfsgerechtes Hilfesystem“ gibt, mit genügend Beratungsstellen und Plätzen in Frauenhäusern. Auch die Gewaltprävention soll ausgebaut werden.
Zuständig für mehr Gewaltschutz und -prävention sind in erster Linie die Bundesländer. Das Gesetz sieht vor, dass der Bund ihnen im Zeitraum von 2027 bis 2036 insgesamt 2,6 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, damit sie den Ausbau der Hilfssysteme bewältigen können - ein wahres Langzeitvorhaben.
„Tendenz zu Kürzungen“
Doch dass es nun auch unter der neuen Bundesregierung zügig weitergeht mit der Erhöhung der Platzzahlen in den Schutzeinrichtungen, damit rechnet die Frauenhauskoordinierung nicht. „Aktuelle Fördermaßnahmen - außerhalb des Gewalthilfegesetzes - sind zwar dringend erforderlich, weil das vormalige Bundesinvestitions- und -innovationsprogramm 2024 ausgelaufen ist. Leider vernehmen wir gerade eher Tendenzen zur Kürzung von Mitteln, als dass die Übergangszeit bis 2027 einigermaßen überbrückt wird“, so die Sprecherin. Im Grunde müsse sich aber jetzt schon etwas tun, nämlich laut Gewalthilfegesetz zunächst die Bedarfsanalyse der Länder vorgenommen werden, und ab 2027 dann der Ausbau erfolgen, „sodass der Rechtsanspruch auf Beratung und Betreuung ab 2032 greifen kann“.
Die exemplarische Nachfrage im Sozialministerium in Hessen zeigt, dass der Ausbau der Frauenhausplätze langsam aber stetig vorankommt. Mit Hilfe des Bundesinvestitionsprogramms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ wurden 2020 bis 2024 mit den dazugehörigen Landesmitteln Aus-, Um- und Neubauprojekte von Frauenhäusern und Beratungsstellen unterstützt. In Hessen profitierten davon vier Projekte in Marburg, Gießen, Darmstadt-Dieburg und Kassel. Die Hilfsangebote vom Verein Frauen helfen Frauen im Landkreis Darmstadt-Dieburg und der Stadt Kassel wurden zusätzlich mit Mitteln des Landes in Höhe von insgesamt knapp 580.000 Euro gefördert.
Bundesmittel ausgeschöpft
Die Stadt Offenbach erhielt im Februar 2025 für den Bau eines neuen, barrierefreien Frauenhauses einen Förderbescheid des Landes über 1,3 Millionen Euro. Die geplante Einrichtung soll über mehrere Familienzimmer verfügen, außerdem über ein Notbettzimmer für eine Frau mit bis zu drei Kindern. Die Eröffnung ist den Angaben nach für 2026 geplant. Auch dieses Projekt verzögerte sich zunächst, denn das Geld im Fördertopf des Bundes war alle. Die Stadt Offenbach musste die Finanzlücke schließen.
Angela Sindermann und Laura Dinger vom Verein „Frauen helfen Frauen“, der das Offenbacher Frauenhaus betreibt, verweisen auf die Istanbul-Konvention. Die sehe für eine Stadt dieser Größe mehr Plätze vor. „Darüber hinaus ist unser Haus nicht mehr zeitgemäß und bedarfsgerecht. Es ist zu eng, es gibt keine ausreichenden Flächen für Gemeinschaft, zugleich fehlen Rückzugsmöglichkeiten. Zudem brauche das Gebäude Platz für Gemeinschaft, aber auch für Rückzug, Arbeits- und Lagerungsräume für Hauswirtschaft, Beratung und pädagogische Arbeit. “Und es muss rollstuhlgerechte Wohnmöglichkeiten geben. Ein Neubau kann leichter all diesen Bedürfnissen angepasst werden als ein Bestandsgebäude."
Der Magistrat in Darmstadt hat im März den Neubau des im Besitz der Stadt befindlichen Frauenhauses mit dann 17 Schutzplätzen an anderer Stelle beschlossen. Aktuell gibt es ein Haus mit zehn Plätzen, das aber nicht erweiterbar ist. Baubeginn soll Ende des Jahres sein, die Übergabe im Jahr 2026. Bürgermeisterin und Frauendezernentin Barbara Akdeniz: „Mit dieser Entscheidung setzen wir nicht nur die gesetzliche Forderung aus der sogenannten Istanbul-Konvention um, die uns verpflichtet, pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner einen Familienplatz vorzuhalten, sondern, viel wichtiger, wir setzen damit auch die Vorgabe im Grundgesetz auf das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit um.“
Stadt rechnet mit Finanzhilfen ab 2027
Der Magistrat will die „bauverein AG“ mit dem Neubau beauftragen, den der Träger der Einrichtung mieten wird. Die Stadt Darmstadt erstattet die Miete und Nebenkosten dann über den Betriebskostenzuschuss an den Träger. „Ab 2027 ist mit zusätzlichen Mitteln aus dem auf Bundesebene beschlossenen Gewalthilfegesetz zu rechnen“, so Kämmerer André Schellenberg.
Doch ob das wirklich so kommt, ist offen. Dass der weitere Ausbau von Frauenhäusern vor allem langfristig am fehlenden Geld scheitern könnte, ist auch der Landesregierung in Hessen bewusst. Ein Sprecher sagte dem epd: „Die geplante bis 2036 befristete finanzielle Beteiligung des Bundes, insbesondere für die Aufbauphase 2027 bis 2029, wird von den Ländern als zu gering eingeschätzt.“ Das und die fehlende Planungssicherheit über 2036 hinaus habe man gegenüber dem Bund bereits mehrfach signalisiert.
Auch die Frauenhauskoordinierung blickt mit Sorgen in die Zukunft: „Der Koalitionsvertrag bleibt weit hinter unseren Erwartungen zurück“, erklärte Geschäftsführerin Sibylle Schreiber: „Die neue Regierung hat die Chance verpasst, den Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern weiter voranzutreiben. Vielversprechendes wurde von der letzten Regierung bereits entwickelt. Es wäre ein leichtes gewesen, dort anzuknüpfen.“