Lauterbach: Über Gesundheitskioske wird noch verhandelt
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Karl Lauterbach

Mit Gesundheitskiosken sollte bundesweit ein niedrigschwelliges Angebot für Behandlung, Prävention und Beratung entstehen - in benachteiligten Stadtteilen mit vielen sozialen Problemen. Einst von Minister Lauterbach als „Lückenschluss im System“ gepriesen, droht der Idee das Aus.

Berlin (epd). Der Deutsche Caritasverband kritisiert das Streichen der sogenannten Gesundheitskioske aus dem überarbeiteten Entwurf des Gesundheitsversorgungsgesetzes (GVSG). Damit verzichte das Bundesgesundheitsministerium „auf einen innovativen Beitrag für die bessere Gesundheitsversorgung im Quartier“, sagte Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa am 16. April in Berlin. Weiter rügte sie, dass zwei weitere gute Versorgungsansätze offenbar auf der Strecke bleiben sollen: die Einteilung von Gesundheitsregionen und die hausärztlichen Primärversorgungszentren.

Noch aber scheint der Minister sich nicht endgültig von den ursprünglichen Plänen seiner Gesundheitskioske verabschiedet zu haben. Auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) sagte ein Sprecher des Ministeriums, Lauterbach „baut auf das parlamentarische Verfahren, um die Kioske noch in den Gesetzentwurf zu verhandeln. Ihm war wichtig, den Gesetzentwurf jetzt schnell ins Verfahren zu bringen.“ Er könne nicht ewig warten, „bis wir uns auf Kabinettsebene über die Kioske einigen“, sagte er in der ARD im „Bericht aus Berlin“. Deshalb habe er nun die mit der FDP strittigen Themen aus dem Entwurf streichen lassen. Aber: „Die Kioske werden noch verhandelt“, so Lauterbach.

Planung sah 1.000 Gesundheitskioske vor

Langfristig wollte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit dem neuen Gesetz in prekären Stadtteilen bundesweit 1.000 Gesundheitskioske aufbauen lassen und hatte das so auch im ersten Entwurf des GVSG so hinterlegt. „Beratung, Vermittlung und vorbeugende Maßnahmen sind Beispiele für die Lücken im System, die so in benachteiligten Regionen geschlossen werden sollen“, erklärte der Minister 2022. Und sagte im Vorjahr beim Besuch einer solchen Einrichtung in Köln-Chorweiler zur Begründung, es gebe in vielen Städten in Deutschland nicht mehr genug Hausärzte, um die Behandlung aller Menschen sicherzustellen. Umstritten war die Idee von Beginn an. Krankenkassen und Kommunen, die die Finanzierung der Gesundheitskioske sichern sollten, sprachen von unnötigen Doppelstrukturen.

Die Caritas-Präsidentin betonte, durch niedrigschwellige Angebote stellten die Gesundheitskioske die Vor- und Nachsorge insbesondere vulnerabler Personengruppen zielgenau sicher. „Durch Beratung und Vermittlung wird sozial benachteiligten Menschen der Zugang zum Gesundheitssystem leicht gemacht“, sagte die Präsidentin. Das neue Angebot habe sich an den Standorten, an denen die Caritas in den vergangenen Jahren Gesundheitskioske mit aufgebaut hat, gerade auch für Migrantinnen und Migranten bewährt.

Kosten von 400.000 pro Jahr und Einrichtung

Zuletzt sorgten auch die Kosten der Kioske für Kritik. Der GKV-Spitzenverband rechnet mit mindestens 400.000 Euro im Jahr pro Einrichtung. Zuletzt hatte Lauterbach nur noch eine Zahl von 220 Gesundheitskiosken genannt, die bis 2027 entstehen sollen. Doch die FDP ging da auf Distanz: Die parlamentarische Geschäftsführerin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, sagte im ARD-„Bericht aus Berlin“, wichtig sei, „die Versorgung gerade im ländlichen Raum, die Grundversorgung mit Ärztinnen und Ärzten zu verbessern“. Gesundheitskioske seien dazu nicht die richtige Maßnahme. Sie brächten „ein erhebliches Ausgabenrisiko“, durch das auch höhere Krankenkassenbeiträge drohten. Zudem sei eine „Doppelstruktur“ nicht notwendig, „sogar schädlich“, mahnte die Politikerin.

Initiiert werden sollten diese Anlaufstellen von den Kommunen, finanziert mehrheitlich von den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, die Kommunen hätten sich zu beteiligen. Doch Städte und Landkreise sahen das Modell überwiegend kritisch, vor allem mit Blick auf die finanziellen Belastungen.

„Verzicht kommt uns teuer zu stehen“

„Aus Kostengründen auf die Einrichtung von Primärversorgungszentren, Gesundheitsregionen und Gesundheitskiosken zu verzichten, wird uns mittel- und langfristig teuer zu stehen kommen“, warnte die Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), Bernadette Klapper. „Wir verpassen die Chance, unser Gesundheitssystem stärker auf Gesundheit und Gesunderhaltung auszurichten, was angesichts unserer demografischen Entwicklung dringend geboten wäre.“

Nach Ihren Worten ist es seit vielen Jahren überfällig und im Zuge des Umbaus der Krankenhauslandschaft zwingend, dass die Primärversorgung in Deutschland ausgebaut und auf multiprofessionelle Versorgungsteams gesetzt wird. „Damit trifft man den Bedarf von Menschen, die älter werden, chronische Erkrankungen haben, Unterstützung oder Pflege brauchen. Medizin, Pflege, Therapie und weitere Gesundheitsangebote müssen zusammenspielen und niedrigschwellig verfügbar sein“, so Klapper. Multiprofessionelle Primärversorgungszentren leisteten das, fehlen aber in Deutschland.

„Selbst die kleinsten Ansätze, Strukturveränderungen hin zu einer besseren Primärversorgung zu versuchen, werden auf dem Altar der vermeintlichen Kosteneinsparung geopfert“, sagte Michael Janßen vom Vorstand des „vereins demokratischer ärzt/innen“. Er forderte, die ambulante Primärversorgung neu aufzustellen und von der Ärztezentrierung abzurücken hin zu multiprofessionellem Arbeiten auf Augenhöhe.

AOK rügt: Gesetz wurde geschliffen

„Es ist bedauerlich, dass ein Gesetz, dessen Zielsetzung es war, die medizinische Versorgung in den Kommunen zu stärken, in der politischen Abstimmung so sehr geschliffen wurde, dass es mit der ursprünglichen Ambition nur noch wenig gemein hat“, bemängelte Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg. Die drei wesentlichen Elemente zur Transformation der regionalen Versorgung vor Ort, die bundesweite Etablierung von Gesundheitskiosken, der flächendeckende Aufbau von Gesundheitsregionen und die Errichtung von Primärversorgungszentren, seien politischen Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen.

Das Argument, solche Versorgungsmodelle verursachten zu hohe Kosten für die Krankenkassen, sei angesichts des marginalen Anteils an den aktuellen Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht belastbar. „Um vulnerablen Gruppen nicht allein zu lassen, werden wir den eingeschlagenen Weg weiterhin gemeinsam mit unseren regionalen Partnern beschreiten und an den bislang geschaffenen und wirkungsvollen niedrigschwelligen Beratungsangeboten festhalten“, so Mohrmann. Im Hamburger Stadtteil Bramfeld eröffnete im Januar 2024 ein neuer Gesundheitskiosk. Schon im Jahr 2017 wurde der erste Gesundheitskiosk als beispielgebendes Modellprojekt im Hamburger Stadtteil Billstedt-Horn eröffnet. Derzeit hat die Hansestadt fünf dieser Anlaufstellen.

Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK), sagte dagegen: „Es ist gut, dass die Bundesregierung angesichts der enormen Ausgabensteigerungen, die auf die Beitragszahlenden zukommen, auf umstrittene und kostenintensive Projekte, wie die Gesundheitskioske, verzichtet.“ Das sieht auch Martin Schneider, Leiter des vdek in Rheinland-Pfalz, so: „Das ist eine richtige Entscheidung. Aufgaben der allgemeinen Daseinsfürsorge, für die der Staat aufzukommen hat, dürfen nicht den Versicherten und Arbeitgebern in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgebürdet werden.“

Dirk Baas