Fachverband BeB: "Runden Tisch zur Eingliederungshilfe einberufen"
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Tina Mäueler

Tina Mäueler ist Bereichsleiterin für den Bereich Wohnen in den Oberlin Lebenswelten und seit 2022 im Bundesvorstand des Fachverbandes BeB. Im Gastbeitrag für epd sozial erläutert sie, wie der Fachkräftemangel in der Behindertenhilfe das Recht auf Teilhabe gefährdet. Und sie beschreibt, was dagegen zu tun ist.

Täglich leisten Fachkräfte in der Eingliederungshilfe und Sozialpsychiatrie, Heilerziehungspfleger, Heilpädagoginnen, Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Ergotherapeutinnen Großartiges in ihrem beruflichen Einsatz. Ihre Arbeit ist von entscheidender Bedeutung, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung ihr Recht auf Teilhabe nach den Prinzipien der UN-Behindertenrechtskonvention sowie des Bundesteilhabegesetzes in Deutschland umsetzen können. Doch leider sehen sich viele Leistungserbringer der Eingliederungshilfe zunehmend mit Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen und Ausbildungsplätzen konfrontiert.

Die Auswirkungen des Fachkräftemangels in den Einrichtungen der Behindertenhilfe werden immer gravierender. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage, die der Evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB) unter seinen Mitgliedseinrichtungen durchgeführt hat. Die große Mehrheit der Befragten gab an, im ersten Halbjahr 2023 stark von den Auswirkungen des Fachkräftemangels betroffen zu sein. So bleiben 60 Prozent der offenen Fachkräfte-Stellen länger als sechs Monate unbesetzt. Dieser dramatische Personalmangel hat nicht nur organisatorische Konsequenzen, sondern wirkt sich auch direkt auf die Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen aus. Eine Mehrheit von 53 Prozent der Befragten bestätigt, dass die Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung dazu geführt haben, dass Einrichtungsplätze nicht wiederbesetzt werden konnten. Anfragen von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen müssen also abgelehnt werden.

Alterung der Bevölkerung verschärft die Probleme

Der Personalmangel in der Eingliederungshilfe ist ein vielschichtiges Problem, das auf verschiedene Faktoren zurückzuführen ist. Ein wesentlicher Grund ist der demografische Wandel. Mit einer Bevölkerung, die zunehmend altert, steigt auch der Bedarf an Eingliederungshilfe. Gleichzeitig tritt jedoch weniger junge Arbeitskraft in den Markt ein, was zu einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führt. Ein weiterer Aspekt sind die Qualifikationsanforderungen. Die Arbeit in der Eingliederungshilfe erfordert oft spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten, die nicht jede Bewerberin mitbringt. Das erschwert die Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter.

Bürokratische Hürden stellen ein weiteres Hindernis dar. Komplexe administrative Prozesse und bürokratische Aufgaben erhöhen die Arbeitslast der Mitarbeitenden und halten sie von ihrer eigentlichen Arbeit ab, was nicht selten zu Frustration und Unzufriedenheit führt. Nicht zuletzt trägt die mangelnde Anerkennung zur Attraktivität des Berufs bei. Die Arbeit in der Eingliederungshilfe wird oft nicht ausreichend gewürdigt oder anerkannt, wodurch das Berufsfeld für potenzielle Bewerber weniger attraktiv wird.

Wir als Evangelischer Fachverband für Teilhabe (BeB) fordern:

  • Das Schulgeld für die Ausbildung in der Heilerziehungspflege muss bundeseinheitlich abgeschafft werden. Stattdessen muss es eine bundeseinheitlich angemessene Ausbildungsvergütung geben.
  • Die Ausbildung zum Heilerziehungspfleger muss bundeseinheitlich geregelt werden. Das ist nötig, weil die Berufsbezeichnung Heilerziehungspfleger/in und die Tätigkeitsfelder sind nicht einheitlich definiert. Es fehlt zudem ein einheitliches didaktisches Konzept der Lernfeldorientierung in der Ausbildung. Bisherige Konzepte variieren von Bundesland zu Bundesland. Wir fordern daher die Einführung bundeseinheitlicher Rahmenvereinbarungen in der HEP-Ausbildung, die Umsetzung eines bundeseinheitlichen Standards des Berufsbildes und somit die Anhebung der Anerkennung der Heilerziehungspflege sowie die Einordnung der Heilerziehungspflegekräfte zu Pflegefachkräften.
  • Eine bundesweite Werbekampagne sollte für Freiwilligendienste als Einstieg in soziale Berufe dienen.
  • Freiwilligendienste öffnen Erfahrungsräume in Berufslandschaften, die unterrepräsentiert sind. Sie dienen demnach der beruflichen Orientierung und Fachkräftegewinnung. Freiwilligendienste werten die Attraktivität sozialer Berufe auf. Wir fordern deshalb einen Bundesbeschluss für die attraktive Vergütung, unterstützende Maßnahmen wie Wohngeldzuschuss und Befreiung von Rundfunkgebühren für Absolventen und Absolventinnen von Freiwilligendiensten.
  • Die Qualifizierung für Nicht-Fachkräfte und Quereinsteigende muss erleichtert werden. Bislang werden langjährige Erfahrungen in der Nicht-Fachkraft-Beschäftigung nicht als eine ausreichende Teilqualifikation anerkannt, um die Nachqualifizierung zu erleichtern. Eine dreijährige Ausbildung ist für viele Nicht-Fachkräfte (ob berufsbegleitend oder in Vollzeit) nach langjähriger Beschäftigung eine zu große Hürde. Die Anforderung an die Qualifizierung von Fachkräften sollte nicht über die Bundesländer, sondern bundeseinheitlich festgelegt werden.
  • Bund, Ländern und Kommunen müssen bei der Lösung des Fachkräftemangels eng zusammenarbeiten. Es ist ein entschlossenes Handeln aller Beteiligten nötig. Die Fragen und Belange zur Entwicklung von Reformen in der Eingliederungshilfe brauchen eine Stimme, eine Dialogform zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern, zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Deshalb werben wir für die Einberufung eines runden Tisches beziehungsweise eines Gremiums, das sich zu den Themen der Eingliederungshilfe austauscht und Vertreter aus Bund, Ländern, Kommunen und Wohlfahrtverbänden wie auch Leistungserbringern versammelt.
  • Die Aufwertung der Berufe in der Eingliederungshilfe/Teilhabe muss durch bundesweite Aktionen gefördert werden. Denn der Auftrag unseres Landes ist mit UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen: Menschen mit Behinderungen haben selbstverständliche Teilhabe und Wertschätzung in unserer Gesellschaft. Dazu braucht es den politischen Willen, Berufe in der Eingliederungshilfe/ Teilhabe stärker in die gesellschaftliche Beachtung zu rücken. Wir fordern ein bundesweites Maßnahmenpaket zur Aufwertung der Berufe in der Eingliederungshilfe/Teilhabe. Ein eigener Ansatz dazu ist die jüngste Aktionswoche unter dem Motto #OhneFachkräfteKeineTeilhabe. Sie fand vom 22. bis 28. April statt. Die beteiligten Initiativen haben gezeigt, wie man den Personalmangel in der Eingliederungshilfe und Sozialpsychiatrie sichtbar machen kann und zugleich die Wertschätzung sowie Anerkennung für alle Berufe in der Eingliederungshilfe und Sozialpsychiatrie stärkt.