In luftiger Höhe dem Stau unten entgehen
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Koblenz mit der Seilbahn über den Rhein.
Bonn, Frankfurt a.M. (epd).

Seilbahnen befördern in Deutschland Touristen auf Berge hinauf. Auch bei Gartenschauen sind sie erprobt. Aber als alltägliches Verkehrsmittel zusätzlich zu Bussen, Straßen-, S- und U-Bahnen? Da ist Deutschland Entwicklungsland, denn sogenannte urbane Seilbahnen fehlen hierzulande - ganz anders als in Entwicklungs- oder Schwellenländern in Lateinamerika, wo manche Metropolen ganze Nahverkehrsnetze mithilfe der in luftigen Höhen schwebenden Kabinen geschaffen haben. Interesse besteht aber in einigen deutschen Kommunen.

Ein Leitfaden des Bundesverkehrsministeriums zum Thema nennt lediglich Seilbahnen in Berlin, Koblenz und Köln, die jedoch „nicht in das öffentliche Verkehrsnetz eingebunden sind“. Fachleute sehen in urbanen Seilbahnen jedoch Potenzial für die Verkehrswende: Sie gelten als schnell und ressourcenschonend gebaut sowie klimafreundlich im Betrieb. Außerdem erschließen sie die dritte Dimension, ohne hohe Kosten wie unterirdische Verkehrsprojekte zu verursachen.

Eine Studie des Frankfurter Projekt- und Gebietsentwicklers Bouwfonds Immobilienentwicklung (BPD) gemeinsam mit der Hochschule Darmstadt und dem Architekturbüro UNStudio aus Amsterdam listet lediglich drei Nachteile auf: die starre Punkt-zu-Punkt-Verbindung, der Schattenwurf durch die Kabinen sowie die Integration der Seilbahnstützen in das städtebauliche Umfeld. Das Bundesverkehrsministerium spricht dabei von „Systemgrenzen und Herausforderungen“ und nennt zusätzlich geringe Geschwindigkeiten. Dadurch eigneten sich „Seilbahnen nicht für längere Strecken“, heißt es.

Einig sind sich die Experten, dass Schattenwurf und Einsicht von oben auf Privatgrundstücke oder in Wohnungen in Deutschland nicht akzeptiert würden. Außerdem müssten sich Seilbahnen - anders als in südamerikanischen Metropolen, wo sie oft das einzige öffentliche Transportmittel sind - in ein bestehendes ÖPNV-Netz einfügen und noch wirtschaftliche Vorteile bieten.

Der renommierte Trierer Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim gehört zu den Befürwortern von urbanen Seilbahnen. „Unsere Städte kriegen ihre Verkehrsprobleme mit den herkömmlichen ÖPNV-Mitteln allein nicht gelöst. Daher lohnt das Nachdenken über urbane Seilbahnen“, heißt es in einem Konzept des studierten Geografen, Soziologen und Stadtplaners im Ruhestand.

Er skizziert darin als mögliche Einsatzbereiche von Seilbahnen, die in den ÖPNV integriert werden, stauanfällige Straßen zu entlasten oder Pendler-Parkplätze diesseits mit Arbeitsstätten jenseits von Flüssen zu verbinden. Auch kämen sie als Lückenschluss im bestehenden ÖPNV-Netz infrage oder um Wohngebiete an weiter entfernt liegende Endhaltepunkte von Bus- und Bahnlinien anzubinden. Für die Trassenführung empfiehlt Monheim Strecken über bestehende Straßen hinweg oder zwischen Baumreihen hindurch.

Das Bundesverkehrsministerium hat 2022 sechs „Überfliegerstädte“ ausgewählt, die Projekte in dieser Richtung angestoßen haben: Bonn, Kiel, Leipzig, Frankfurt, Stuttgart und München. Weit gediehen ist das Projekt in Bonn.

Die geplante urbane Seilbahn in der ehemaligen Bundeshauptstadt soll von Bonn-Beuel aus über den Rhein durch das Bundesviertel hoch zum Venusberg führen. Der Bonner Umwelt- und Verkehrsdezernent Helmut Wiesner erklärt im epd-Gespräch: „Der Venusberg ist für Busse nur schlecht über eine schmale Straße erreichbar, in der die Busse mit im Stau stehen.“ Durch den Bau der geplanten Seilbahn werde sich „am Busangebot nichts verändern“, versichert der Fachdezernent, sondern „ein Mehr an ÖPNV bringen und die Straßen auf dem Venusberg entlasten“. Das Vorhaben dauert bereits weit mehr als ein Jahrzehnt und ist immer noch nicht abgeschlossen. Es hat Wiesner zufolge viel Zeit gekostet, Machbarkeit und Umweltverträglichkeit nachzuweisen sowie die konkrete Streckenführung festzulegen.

Michael Welsch vom Stuttgarter Verkehrstechnik-Unternehmen SSP Consult bescheinigt der Bonner Kommunalpolitik, dort werde „das Thema wirklich stark vorangetrieben“. Welschs Planungsbüro hat in einem Projekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ein Planungstool für Kommunen mit erarbeitet, die eine Seilbahn in Erwägung ziehen. Ergebnis: Bei einer Vielzahl an Seilbahn-Überlegungen habe „eine ökonomische Sinnhaftigkeit nicht nachgewiesen werden“ können. Diese sei jedoch mit Blick auf die Förderfähigkeit „im Ringen mit etablierten ÖPNV-Systemen um begrenzte Finanzmittel formal erforderlich“. Skeptisch äußert sich Welsch im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zu solchen Projekten in kleinen und mittelgroßen Städten: Dort koste eine Seilbahn zu viel und bringe zu wenig.

Michael Welsch hält die gründliche Planung in Bonn für geradezu geboten: „Das Thema Seilbahn ist in den Köpfen der Nahverkehrsplaner noch nicht so richtig angekommen, weil es einfach kein Beispiel gibt. Das erste System, das kommt, muss funktionieren, sonst ist das Kind im Bach.“

Von Susanne Rochholz