
Der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) hat die großen Kirchen vor dem Vorwurf in Schutz genommen, sie würden sich zu oft in tagespolitische Debatten einmischen. Nur die Kirchen selbst könnten entscheiden, zu welchen Themen sie öffentlich Position beziehen, sagte er in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Mainz: „Ich halte das einfach für vermessen und unangemessen, wenn die Politik einer wertebildenden Institution Vorgaben macht, wozu sie sich äußern darf und wozu nicht.“
Es sei auch klar, dass kirchliche Stellungnahmen in der Öffentlichkeit nur wahrgenommen werden, wenn es einen aktuellen Anlass gebe. Insofern laufe der Vorwurf, sich zu „tagespolitischen Themen“ zu äußern, ins Leere.
Für niveauvollen Diskurs unverzichtbar
Im April hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in einem Zeitungsinterview ihren Unmut über zu viele politische Stellungnahmen der großen Kirchen geäußert und ihnen vorgeworfen, ihre eigentliche Aufgabe zu vernachlässigen. Sie zahle keine Kirchensteuer, um Empfehlungen zu einem Tempolimit zu erhalten. Zuvor hatten die Kirchen vor einer gemeinsamen Bundestagsabstimmung von CDU und AfD zur Flüchtlingspolitik gewarnt.
Die Gefahr bestehe, dass politische Stellungnahmen der Kirche nur dann geduldet werden, wenn sie den eigenen Auffassungen entsprechen, warnte Hering. Für einen niveauvollen Diskurs sei es aber unverzichtbar, dass anerkannte Institutionen sich zu Wort melden: „Wir verlangen doch von der gesamten Zivilgesellschaft, dass sie sich für die Demokratie engagieren soll.“ Ebenso wie Stellungnahmen zu Migration und Asyl oder zum Klimaschutz seien auch Positionierungen zum Schwangerschaftsabbruch legitim: „Es ist auch beim Umgang mit dem Paragraphen 218 zu akzeptieren, dass die Kirche eine andere Auffassung hat.“
Vorhandenes Engagement nicht zerstören
Kritische Anmerkungen der Kirchen müssten Gesellschaft und Politik nicht in jedem Fall übernehmen, erklärte der Landtagspräsident, der nach eigenen Angaben selbst praktizierender Katholik ist. „Aber zu sagen, lasst das einfach sein, geht mal in die Kirche, macht die Tür zu und betet einen Rosenkranz mehr, zerstört sehr viel von dem Engagement, das dort vorhanden ist.“ Insbesondere für jüngere Christen in den kirchlichen Jugendgruppen sei das Eintreten für gesellschaftspolitische Ziele ein Grund, der Institution weiterhin die Treue zu halten.
Ebenso wie für die Kirchen gelte dies für andere gesellschaftliche Kräfte. „Die Gewerkschaften äußern sich beispielsweise und erfreulicherweise auch zu Krieg und Frieden, obwohl die Debatte erst einmal nichts mit Tarifverträgen zu tun hat“, gab der Landtagspräsident zu bedenken. „Es hat aber schon etwas mit der Verantwortung der Gewerkschaften zu tun, ob die Mitglieder im Werk an einem Auto schrauben oder irgendwo mit der MG stehen müssen.“
Dem Zeitgeist widerstehen
Dass die Kirchen sich durch eigene schwere Fehler der Vergangenheit, etwa beim Umgang mit Missbrauchsopfern, für diese Rolle diskreditiert haben, sieht Hering nicht. Er appellierte zugleich an die Kirchen, nicht mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte aufzuhören. Auch zu ihrer Rolle während der NS-Herrschaft gebe es noch viele Quellen in den örtlichen Archiven auszuwerten. Der Blick darauf, wie schnell sich die Kirchen damals dem NS-System ergaben, mache deutlich, wie wichtig es sei, dem Zeitgeist wo nötig zu widerstehen.
Als Absolvent einer katholischen Klosterschule habe auch er wegen des Missbrauchsskandals mit seiner Kirche gehadert, räumte Hering ein: „Dass sie sich jetzt, wo es um das Menschenbild und den Schutz der Demokratie geht, so eindeutig positioniert und klarstellt, dass völkischer Nationalismus nicht dem Christentum vereinbar ist, hat mich ein Stück weit mit meiner Kirche versöhnt.“