
In der „Stadt am Ende der Welt“ tragen die Menschen Zylinder, laufen Elefanten und andere Tiere herum. Der deutsch-amerikanische Maler und Grafiker Lyonel Feininger (1871-1956) schnitzte das Ensemble aus hölzernen Figuren und Häusern - aber nicht so sehr als hohe Kunst, sondern als Spielzeug für seine drei Söhne.
Derzeit ist das ehemalige Kinderspielzeug in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu bestaunen. Zusammen mit rund 160 weiteren Gemälden, Zeichnungen, Karikaturen, Aquarellen, Holzschnitten, Fotografien und Objekten aus dem Schaffen Feiningers. Die Schau „Lyonel Feininger. Retrospektive“ läuft noch bis zum 18. Februar. Es sei die erste große Retrospektive in Deutschland seit mehr als 25 Jahren, teilt die Schirn mit.
Weithin unbekanntes Fotowerk
Das überrascht, denn immerhin ist Feininger alles andere als ein unbekannter Künstler. Er sei ein „typischer Protagonist der Kunstentwicklung“, beschreibt ihn Schirn-Direktor Sebastian Baden. Aber Kuratorin Ingrid Pfeiffer fügt hinzu: „Es ist ein großes und komplexes Werk, das Feininger hinterlassen hat.“ Vieles davon sei bislang kaum bekannt gewesen. Nur wenige Fachleute hätten beispielsweise gewusst, dass der Deutschamerikaner rund 20.000 Fotoarbeiten hinterlassen habe. Feininger sei „der bekannte Unbekannte“, sagt Pfeiffer.
Feininger wurde am 17. Juli 1871 in New York geboren, seine Eltern hatten deutsche Wurzeln. 1887 kam er zum Studium nach Deutschland, lebte in Hamburg und Berlin, zwischenzeitlich auch in Lüttich und Paris. Er nahm Malunterricht und zeichnete Karikaturen, die in Magazinen veröffentlicht wurden. Feiningers Durchbruch in der deutschen Kunstwelt kam 1917 mit einer Ausstellung in der Berliner Galerie „Der Sturm“. 1921 wurde er Direktor der Grafischen Werkstatt des Bauhauses. Er war Mitglied der Künstlergruppe „Die Blaue Vier“, der auch Wassily Kandinsky, Paul Klee und Alexej von Jawlensky angehörten.
Die Nazis stuften Feiningers abstrakte Kunst als „entartet“ ein. 1937 verließ der Künstler Deutschland in Richtung New York. Dort starb er am 13. Januar 1956.
„Er malte die Leere zwischen den Gebäuden“
Die Schirn präsentiert den Angaben zufolge selten gezeigte Hauptwerke, aber auch weniger bekannte Arbeiten wie die erst vor einigen Jahren wiederentdeckten Fotografien des Künstlers. Das Selbstporträt Feiningers, das auch das Titelplakat der Ausstellung ziert, sei „in für den Künstler schwieriger Zeit entstanden“, erläutert Kuratorin Pfeiffer. Als Feininger sich selbst malte, tobte gerade der Erste Weltkrieg. Er war US-Staatsbürger, aber er hielt zur deutschen Seite.
Die verschiedenen Räume der Ausstellung zeigen die unterschiedlichen Schaffensperioden des Künstlers. Von dessen früher Phase mit politischen Karikaturen, Stadtansichten und karnevalesken Figuren gelangen Besucherinnen und Besucher in Räume, die seine Rolle als Bauhaus-Lehrer und Meister grafischer Techniken wie Zeichnung und Holzschnitt beleuchten. Der Abschluss und besondere Schwerpunkt liegt mit zentralen Arbeiten auf dem US-amerikanischen Exil des Künstlers.
Feininger interessierte sich für Licht, für Struktur, für besondere Perspektiven von oben oder von unten. Er bildete Technik ab wie Lokomotiven und Schiffe ebenso wie den Wald oder das Meer. Vor allem in seiner New Yorker Zeit rückten Hochhäuser in seinen Fokus, aber eben nicht so sehr die Häuser selbst. „Er malte die Leere zwischen den Gebäuden“, erklärt Kuratorin Pfeiffer. Und Frankfurt mit seinen Wolkenkratzern, sagt Schirn-Direktor Baden, sei für diese Facette in Feiningers Werk ein geeigneter Rahmen.