
Wenn man sonntags durch Nairobi Downtown läuft, dann trifft man an jeder Ecke auf professionelle Mode-Foto-Shootings und Musik-Video-Drehs. Mit großen Kameras, Lichtequipment und ständig wechselnden Outfits. Die Musik schallt oft schon von Weitem, die gute Stimmung ist ansteckend.
Das gilt für diesen Sonntag im Februar nochmals mehr: Mehr als hundert junge Fotografinnen und Fotografen mit Kameras über der Schulter versammeln sich im Schatten der Bäume gegenüber einem Bibliotheksgebäude aus der Kolonialzeit, gleich neben einer großen Moschee mitten im Zentrum von Nairobi. Die jüngste ist in der Grundschule, der älteste hat schon graue Haare, der Großteil ist zwischen 20 und 30 Jahre alt.
Dazu kommen noch ein paar Models, die man sofort erkennt, einige sind aufwendig geschminkt. Andere spazieren bei 30 Grad mit einer schwarzen Daunenjacke und Sonnenbrille locker lässig über die Straße. Beim Fotospaziergang treffen sich Profis und Hobbyfotografen. Einige fotografieren vor allem Mode und Lifestyle, andere arbeiten dokumentarisch.
Fehlendes Mitgefühl, „weil wir die Geschichten der Menschen nicht kennen“
Jeremiah Onyango etwa schaut sich lieber abseits des Glamours um. „Ich suche immer nach Gelegenheiten, die Geschichten von Menschen zu erzählen“, sagt der 22-Jährige. Wenn er Fotos von Menschen macht, zückt er danach sein gelbes Notizbuch und schreibt ihre Geschichten auf. Er kommt mit einem Wachmann ins Gespräch, mit einer Blumenverkäuferin und mit einer Frau, die vom anderen Ende des Landes angereist ist, um bei der Stadtverwaltung nach ihrer Pension zu fragen, auf die sie seit Jahren wartet. „Uns fehlt oft das Mitgefühl, weil wir die Geschichten der Menschen nicht kennen“, sagt Onyango.
Eingeladen zum Foto-Spaziergang haben der Medien-Co-Working-Space „Baraza Media Lab“ und die Firma Nikon in Kenia. Gemeinsam bieten sie einmal im Monat samstags einen Fotografie-Treff an. Da kam die Idee auf, gemeinsam loszuziehen und voneinander zu lernen, erzählt Cynthia Muthoni vom „Baraza Media Lab“. Es gilt, Kameratricks auszutauschen, den Blickwinkel und gleichzeitig das Netzwerk erweitern.
Auf dem vierspurigen Kenyatta Highway, benannt nach Kenias erstem Präsidenten Jomo Kenyatta (1893-1978), posiert eine junge Frau, schwarze Hose, schwarz-weiß-gestreiftes, bauchfreies Oberteil, Afro. Weil Sonntag ist, sind die wenigen Autos rücksichtsvoll. Auf dem Fußweg in der Straßenmitte schreitet ein junger Mann, schwarze Daunenjacke, schmale Sonnenbrille, man sieht ihm nicht an, dass 27 Grad sind. Zehn Kameras sind auf ihn gerichtet.
Das ist in Nairobi Downtown noch nicht lange so unbeschwert möglich. Erst vor wenigen Monaten hatte der neue Gouverneur Johnson Sakaja bestimmt, dass man keine kostenpflichtige Erlaubnis mehr braucht, um kommerzielle Shootings in der Innenstadt umzusetzen. Es ist ein Versuch, die noch junge Kreativwirtschaft anzukurbeln.
Drei Viertel der Bevölkerung unter 30
Bisher macht diese in Kenia etwa rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Und das, obwohl die Regeln und Gesetze einem Wachstum noch oft im Wege stehen, findet der Fotograf Wango Alfred. Er ist einer der Organisatoren. „Wir Künstler erzählen die Geschichten der Stadt, wir brauchen Zugang“, sagt er. Der Kreativsektor birgt gerade für junge Menschen ein riesiges Potenzial, drei Viertel der kenianischen Bevölkerung sind unter 30.
Nairobi bietet viele Kulissen. Zum einen prägen moderne Wolkenkratzer mit ihren verspiegelten Glasfassaden das Bild, woanders stehen Betonbauten aus den 70er Jahren als Symbol der Aufbruchshoffnung nach der Unabhängigkeit. Geht man eine Ecke weiter, sieht man historische Steinbauten aus den 1920er Jahren. Die Stadt ist als Halt an der Eisenbahn entstanden, die die britischen Kolonialherren von der Küste nach Uganda bauten.
Immer wieder kommen Kinder, die auf der Straße leben. Sie fragen die Fotografierenden nach Geld und Essen. Polizisten begleiten den Zug der Kreativen durch die Stadt. Vor wenigen Monaten gab es eine Diebstahlserie. Glanz und Abgrund liegen in Nairobi Downtown nah beieinander.
Der Fotograf Wango Alfred will bald eine nächste Tour anbieten, mit mehr Kontext zur Geschichte der Stadt von der Kolonialzeit bis heute und den Geschichten der Gebäude. „Unsere Tour ist noch nicht vorbei und Leute fragen schon, wann der nächste Photo Walk stattfindet, das motiviert mich, schnell am Konzept zu feilen.“