Im Wohnzimmer der Familie Gala in der indischen Millionenmetropole Mumbai hängt der Geruch von Räucherwerk. Angehörige und Freunde haben sich zu Ehren des Gottes Ganesha versammelt. Ein Priester sitzt vor einer rot-goldenen Ganesha-Statue und murmelt ein Gebet. Der hinduistischen Gottheit mit dem Elefantenkopf werden Blumen, Früchte, Reis, Gewürze und vieles mehr dargebracht. Auf dem Höhepunkt des Rituals klatschen die Anwesenden im Rhythmus zweier Trommeln.
Jedes Jahr im September wird der Gott in Indien bei dem zehntägigen Fest „Ganesha Chaturthi“ gefeiert. Vor allem in Mumbai und dem Bundesstaat Maharashtra spielt es eine wichtige Rolle im spirituellen Leben der Bevölkerung. Noch bis 17. September verehren Millionen von Menschen den Gott der Weisheit, der dafür bekannt ist, dass er für seine Gläubigen Hindernisse aus dem Weg räumt.
Gott der Intelligenz
Ganesha, der Sohn des Götterpaars Shiva und Parvati, erhielt dem Mythos nach den Kopf eines Elefanten, weil diese Tiere für ihr Erinnerungsvermögen und ihre Weisheit bekannt sind. Der Priester Nachiket Joshi erklärt: „Elefanten haben eine sehr scharfe Erinnerung, deshalb bezeichnen wir Ganesha als Gott der Intelligenz.“
So wie im Zuhause der Familie Gala im alten Stadtviertel Fort ehren viele Bewohnerinnen und Bewohner Mumbais Ganesha an ihren heimischen Altären mit aufwendigen Ritualen. „Zu den Festtagen findet man in jedem Haus eine Statue Ganeshas“, sagt Familienmitglied Harshik Gala. „Auch wenn die Menschen arm sind, sie werden in ihrem Heim ein Bildnis aufstellen. Denn alle bitten den Gott darum, dass er ihre Lebenshindernisse beseitigen wird.“ Wer zu ihm bete, werde in seinem Leben keine Schwierigkeiten haben, sagt er.
Die Ursprünge der Feiern reichen in die Zeit des indischen Unabhängigkeitskampfes gegen die Briten zurück. Bal Gangadhar Tilak, ein führender Kopf der Freiheitsbewegung, machte das Fest zu einem öffentlichen Ereignis, um Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zu vereinen. Auf diese Weise konnte die indische Bevölkerung das von den Briten ausgerufene Versammlungsverbot umgehen. Tilak verankerte nationale Ideen in den Köpfen und stärkte den Kampfgeist gegen die britische Kolonialherrschaft.
In den Straßen Mumbais treffen sich die Gläubigen während des Fests vom 7. bis 17. September an den bis zu 24.000 Schreinen, die für die Feierlichkeiten aufgebaut werden. Einer von ihnen ist der „Iccha Purti Ganesha Pandal“, der täglich bis zu 70.000 Menschen anzieht. Der Freiheitskämpfer Tilak wollte, „dass die Menschen zusammenkommen und das Fest gemeinsam feiern“, sagt der Präsident des Schreins, Vishal Singh.
Die Schreine, die sogenannten Pandals, werden durch Spenden finanziert. Sie dienen als spirituelle Zentren und soziale Treffpunkte. Laut Singh kommen die Menschen, um Ganeshas Füße zu berühren und mit einem Gefühl des Friedens nach Hause zu gehen. Die einst rebellische Bedeutung des Fests spiele heute keine Rolle mehr: „Das ist alles Geschichte. Wir freuen uns darauf, dass bessere Tage kommen.“
Fest hat große wirtschaftliche Bedeutung
In den vergangenen Jahren hat das Ganesha-Fest auch eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Laut Berichten indischer Medien wird der Umsatz des Fests im Jahr 2023 auf umgerechnet rund fünf Milliarden Euro geschätzt. Das Fest kurbelt in der ganzen Region den Konsum an und schafft Arbeitsplätze.
Doch es gibt auch Kritik an dieser Entwicklung. Der Journalist Alok Deshpande, Experte für die Kultur des Bundesstaates Maharashtra, beklagt eine „übermäßige Kommerzialisierung“, die sich eingeschlichen habe. „Der Wettbewerb zwischen den öffentlichen Ganesha-Pandals, die Nutzung von Geld und politischer Macht beeinflussen die ursprüngliche Spiritualität des Fests“, sagt er. Dies führe dazu, dass immer mehr Menschen den öffentlichen Feiern fernblieben und sich auf ihre privaten Zeremonien zurückziehen.
Trotz der zunehmenden Kommerzialisierung bleibt das Ganesha-Fest tief in der spirituellen Tradition Indiens verankert. Für die meisten Menschen in Mumbai und Maharashtra ist das Fest nach wie vor eine Zeit der Besinnung, des sozialen Zusammenhalts und der Verehrung des Gottes, der Hindernisse beseitigt.