Sogar online muss man Schlange stehen, um eine der berühmtesten Kathedralen der Welt zu besuchen: „Derzeit sind mehrere hundert Personen online, um einen kostenlosen Zugang zur Kathedrale Notre-Dame zu reservieren“, steht auf der offiziellen Internetseite der berühmten Pariser Sehenswürdigkeit. „Wir bitten Sie, einen Moment zu warten.“ Wenige Minuten später dann öffnet sich das Portal - zumindest erst einmal jenes, das einem Zugang zu kostenlosen Eintrittskarten verschafft.
Am 7. Dezember ist es ein Jahr her, dass die Pariser Kirche nach dem verheerenden Brand wieder eröffnet wurde, und seitdem haben zwölf bis 13 Millionen Besucher das Gotteshaus besucht. Der Begeisterung für die Kathedrale haben die Katastrophe und die anschließende Erneuerung keinen Abbruch getan.
Notre-Dame beliebter als Eiffelturm und Louvre
Laut der französischen Tageszeitung „Le Monde“ liegt Notre-Dame unangefochten auf Platz eins der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Frankreichs. Die Basilika von Sacré-Cœur de Montmartre verzeichnete im vergangenen Jahr neun Millionen Besucher, das Museum Louvre 8,7 Millionen, das Schloss von Versailles 8,4 Millionen und der Eiffelturm 6,3 Millionen.
Dass eine Kathedrale eine solche Anziehungskraft hat, ist kein Phänomen, das sich auf Paris beschränkt. Egal, zu welcher Jahres- und Uhrzeit man sich in beispielsweise in Florenz aufhält - die Schlange vor dem Eingang des monumentalen Doms ist gefühlt Kilometer lang. Die Kuppel, die Filippo Brunelleschi Anfang des 15. Jahrhunderts schuf, gilt bis heute als Meisterwerk der Statik. Auch der Kölner Dom zieht jährlich sechs Millionen Besucher an und gilt damit als die meistbesuchte Sehenswürdigkeit in Deutschland.
Vorweihnachtliches Wunder
Als am 15. April 2019 in Paris der Dachstuhl von Notre-Dame Feuer fing und die Bilder der Flammen, die aus der frühgotischen Kathedrale auf der kleinen Insel in der Seine stiegen, live um die Welt gingen, stockte vielen der Atem. „Mich hat es fast körperlich krank gemacht, als ich die Bilder sah“, erinnert sich Gerd Meyerhoff (Greifswald), stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Bauhüttenmeister - Dombaumeister e.V., im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Verein mit Sitz in Köln hat rund 150 Mitglieder aus 17 europäischen Ländern und widmet sich unter anderem dem wissenschaftlichen Diskurs und dem Austausch über Baugeschichte und Erhaltung großer Kirchenbauten.
Für viele war es ein vorweihnachtliches Wunder, als die Türen von Notre-Dame sich in der Adventszeit 2024 wieder der Welt öffneten. Die Skepsis war schließlich groß gewesen, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch am Abend des Brandes seinen Landsleuten versprach, Notre-Dame werde wieder aufgebaut, „und zwar schöner als zuvor“. Sein zweites Versprechen: Das alles solle innerhalb von fünf Jahren geschehen. Die französische Tageszeitung „Libération“ schrieb auf ihrer Titelseite damals: „Macron glaubt an Wunder.“
Spenden aus aller Welt für Wiederaufbau
Weltweit spendeten die Menschen für den Wiederaufbau insgesamt mehr als 840 Millionen Euro. Allein dieses Engagement zeigt die Faszination, die Kathedralen wie Notre-Dame noch heute, Jahrhunderte nach ihrer Erbauung, ausüben.
Im Jahr 2020 hat die Unesco den Wert der monumentalen Kirchenbauten gewürdigt und die Bauhütten zu „guten Praxisbeispielen“ zum Erhalt des Immateriellen Kulturerbes erklärt. An der Nominierung waren 18 Bauhütten aus Deutschland, Frankreich, Norwegen, Österreich und der Schweiz beteiligt.
Notre-Dame sei eine „Ikone“ beschreibt Meyerhoff die Bedeutung, die der gotische Bau in Frankreichs Hauptstadt für die Menschen hat. Er sei selbst vor dem Brand mehrere Male in Paris gewesen und habe sich die Kathedrale angeschaut. „Sie erschien mir damals sehr düster“, erinnert er sich. „Wenn man jetzt die Bilder nach dem Wiederaufbau sieht, ist daraus ein strahlender, heller Bau geworden. Das ist allerdings etwas, was viele bedauern“, gibt Meyerhoff zu bedenken.
Seit Jahrhunderten Ort des Gebets
Denn auch die Patina dieser Bauten, die seit Jahrhunderten kontinuierlich für Gottesdienst und Gebet genutzt worden seien, sei es, was die Faszination ausmache. Meyerhoff spricht von „durchbeteten Räumen“. „Ich glaube, es ist genau dies, was man spürt und was die Menschen an Kathedralen so berührt“, sagt der Dombauexperte. „Gottesdienst und Gebet waren letztlich der Anlass, die Kathedralen zu errichten.“ Aber sie sollten auch „gelesen“ werden: „Einen großen Raum allein hätte man auch einfacher bauen können, ohne diese Fülle an künstlerischen Details“, sagt Meyerhoff.
Die Lichtverhältnisse in Notre-Dame könnten sich bald noch einmal verändern: 2026 sollen sechs neu kreierte Kirchenfenster installiert werden. Für deren Gestaltung hat das französische Kulturministerium die Künstlerin Claire Tabouret ausgewählt. Der moderne Touch hat in Frankreich viel Protest hervorgerufen, auch wenn man die Entwürfe noch gar nicht kennt. „Jeder Besuch wird eine neue Vision sein, das Licht tanzt mit dem Wetter und den Wolken am Himmel“, sagte Tabouret der Zeitung „Le Monde“ über die neuen Fenster. Neue Fenster hin oder her, Gerd Meyerhoff ist sich sicher: „Diese Bauten werden ihre Faszination nie verlieren.“