
Auch wenn Millionen Flüchtlinge und Migranten nach Deutschland kommen, tut sich das Land mit einer offenen Debatte zu Integration und politischem Islam schwer. Das beobachtet zumindest der gebürtige Sudanese Yassir Eric, inzwischen deutscher Staatsbürger, evangelischer Theologe und Leiter des Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamthemen in Korntal bei Stuttgart. Er unternimmt mit seinem Buch «Wir müssen reden, bevor es zu spät ist» (Verlag bene) einen neuen Anlauf, die Diskussion in Gang zu setzen, die den unbequemen Fragen nicht ausweicht, ohne dabei in ausländerfeindliche Denkmuster zu fallen.
Vertraut sind dem Zeitungsleser und Nachrichtenhörer die Integrationsprobleme, bei denen Eric davon ausgeht, dass sie auch religiös begründet sein können - angefangen beim Schwimmunterricht für Mädchen bis hin zu antisemitischen Attacken, die teils von Migranten aus dem islamischen Kulturkreis begangen werden.
Fremd dürfte den meisten sein, wie tief die Kultur einen Menschen prägt und warum deshalb gravierende Missverständnisse im Alltag unausweichlich sind. Deshalb gehört zu den wertvollsten der 14 Kapitel das sechste, das kulturelle Barrieren erklärt. Konflikte werden in orientalischen Gesellschaften, in denen ein Ruf zu verlieren ist, nicht direkt ausgetragen, sondern über Personen, die vermitteln. Der Clan kann für manche über den staatlichen Gesetzen stehen.
Der Autor selbst stammt aus einer fundamentalistisch-muslimischen Familie im Sudan. Als Kind musste er zwei Jahre in eine Koranschule und lernte dort unter Peitschenhieben das wichtigste Buch für Muslime auswendig. Das eingetrichterte Bild von Christen: Sie sind Schweinefresser, Alkoholsäufer und waschen sich nicht. Yassir Eric erzählt, dass er sich in seinem Fanatismus an einem Mordanschlag gegen einen christlichen Mitschüler beteiligt hatte, der aber glücklicherweise überlebte.
Doch später durchlebte er selbst eine Hinwendung zum christlichen Glauben, was zum Bruch mit seiner Familie führte und was ihn im Sudan ins Gefängnis brachte. Insofern scheint der Autor ideal, um eine neue gesellschaftliche Diskussion anzuzetteln. Er hat eine Erziehung zum Hass erfahren und weiß deshalb, wie fanatisierte Muslime denken und was sie daran hindert, sich zu integrieren.
Eric warnt die deutsche Gesellschaft davor, sich zu überfordern. Ein Großteil der Asylbewerber habe kein Asylrecht und müsste eigentlich abgeschoben werden, werde aber geduldet. Zwei Drittel der Flüchtlinge aus Syrien lebten ganz oder überwiegend von Hartz IV. Dass diese Unterstützungsleistung von irgendjemandem erwirtschaftet werden müsse, sei den wenigsten Flüchtlingsfamilien bewusst.
Gleichzeitig empfiehlt der Autor gezielte Maßnahmen, um die Integration zu verbessern. Er regt einen «Deutschlandführerschein» an, der Flüchtlinge schon vor Antritt ihrer Reise darauf vorbereitet, auf welche Kultur und Werte sie sich im Zielland einlassen müssen. Für unabdingbar hält er Bildungsarbeit in Flüchtlingslagern etwa im Nahen Osten, was finanziell viel wirkungsvoller sei als die Aufnahme der Menschen in Deutschland. Ohne Bildung wachse die Gefahr, dass sich die jungen Lagerbewohner extremistischen Bewegungen anschließen.
Wie schwer das Gespräch in Deutschland in Gang zu bringen ist, macht Eric in seinem Vorwort deutlich, wo er vorbeugend klarstellt: «Es könnte sein, dass manche der Fragen, die ich stelle, auch von Menschen mit ausländerfeindlicher oder muslimfeindlicher Gesinnung aufgegriffen werden.» Im Klartext: Die Angst, als rechtsradikal abgestempelt zu werden, verhindert aus seiner Sicht die Diskussion und eine sachliche Islamkritik. Im Ergebnis spielen diese Tabus nach Erics Einschätzung den Extremisten zu: «Ich bin mir sicher: Rechtspopulisten würden nicht so viel Zulauf erhalten, wenn sich die Politik und die Gesellschaft intensiver den Problemen widmen würden, die mit einem konservativen oder politischen Islam verbunden sind, statt diese kleinzureden oder als nicht existent darzustellen.»