
Er war der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und zuvor Bischof der Diözese
Rottenburg-Stuttgart: Kurienkardinal Walter Kasper hat den Weg der römisch-katholischen Kirche über Jahrzehnte geprägt. Am 5. März wurde der gebürtige Heidenheimer 90 Jahre alt. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläuterte er, warum Strukturreformen alleine seine Kirche nicht weiterbringen werden und wie er sich auf den Tod vorbereitet.
epd: Herr Kardinal, der Synodale Weg kämpft für Reformen in der katholischen Kirche. Sie selbst sehen die Kirche eher in einer Glaubenskrise. Was ist wichtiger: die Arbeit an den Strukturen oder an der Vertiefung des Glaubens?
Kasper: Ich sehe kein Entweder-Oder zwischen Reform und Vertiefung des Glaubens. Dass wir nicht erst heute, wohl aber besonders heute Reformen in der Kirche brauchen, wird kein Einsichtiger bestreiten. Die Kirche ist nicht nur nach evangelischem, sondern auch nach katholischem Verständnis eine ecclesia semper reformanda, also stets zu reformieren. Um solche Reformen einzuleiten, hat es in der Kirche von Anfang an, in der Antike wie im Mittelalter, die Einrichtung von Synoden gegeben. Insofern ist der Synodale Weg keine Neuerung, vielmehr gute und bewährte Tradition. Die Frage ist nur, ob strukturelle Reformen allein genügen.
epd: Wie meinen Sie das?
Kasper: Strukturen sind ambivalent. Man kann neue Strukturen ebenso missbrauchen wie die alten. Die Erneuerung und Vertiefung des Glaubens sind die Grundvoraussetzung, dass wir mit den Strukturen verantwortungsvoll und einem Christen gemäß umgehen. In einer Situation der Glaubenskrise, welche heute beide Kirchen massiv erfahren, kommt darum der Evangelisierung grundlegende Bedeutung zu.
epd: Der Ruf der katholischen Kirche hat durch die Missbrauchsskandale schwer gelitten, viele Austritte sind die Folge. Wie kann die Reputation wiederhergestellt werden?
Kasper: Das ist eine gute Frage, auf die es aber keine Patentantwort gibt. Sicher muss man die Missbrauchsskandale ehrlich aufarbeiten, man muss präventive Mittel und Strukturen schaffen, welche den Missbrauch nach Möglichkeit ausschließen, man muss das Tabu überwinden, das lange Zeit über der Gesellschaft und der Kirche lag, so dass man über Missbrauch nicht sprechen wollte und damit die Opfer allein ließ. Das hat sich zum Glück inzwischen geändert; die Leute sind achtsamer und aufmerksamer geworden.
epd: Woran machen Sie das fest?
Kasper: Weil man zum Beispiel inzwischen nicht mehr die Täter, sondern deren Opfer in den Mittelpunkt rückt, ihre Stimme anhört, ihr Leid versteht und - soweit das möglich ist - ihnen Genugtuung verschafft. Das lässt sich sicher nicht allein mit Geld leisten. Die Kirche muss durch die Tat zeigen und beweisen, dass sie sich nach Kräften für das Leben und für das Wohl der Menschen einsetzt. Dadurch kann sie wieder Respekt und Vertrauen gewinnen. Aber das wird dauern. Bei allem, was schon geschieht, ist noch Luft nach oben.
epd: Was sagen Sie den Haupt- und Ehrenamtlichen, die sich täglich für einen guten kirchlichen Dienst einsetzen und die für die Straftaten von Priestern und anderen Mitarbeitern in Mithaftung genommen werden?
Kasper: Solche Mithaftung und Kollektivverdächtigung gibt es in der Tat. Sie ist ungerecht und eine Unsitte, zu der leider nicht nur alles mögliche Geschwätz, sondern auch manche Medien ihren Beitrag leisten. Ich denke, dass unsere haupt- und nebenamtlichen Mitarbeiter durch ihre Zusammenarbeit mit Priestern am besten wissen, dass es auch gute und engagierte Priester und Mitarbeiter gibt. Auch wenn die Zahl der Missbrauchstäter leider groß, ja viel zu groß ist, ist die Zahl der guten und einsatzwilligen Priester und der Mitarbeiter weit größer.
epd: Sind Sie selbst als Kind oder Jugendlicher Missbrauch in der Kirche begegnet?
Kasper: Ich bin in der kirchlichen Jugendbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen und in den letzten Jahren vor dem Abitur in einem kirchlichen Konvikt groß geworden. Missbrauch war kein Thema, von ihm war keine Spur. Im Gegenteil, ich bin bis heute vielen Priestern dankbar; sie waren ein gutes Vorbild und haben mich in mehrfacher Hinsicht gefördert. Man darf das Gute, das in der Vergangenheit geschehen ist und das auch heute geschieht, nicht vergessen. Man sollte es - mehr als es geschieht - bekannt machen und dankbar anerkennen.
epd: Sie werden 90 Jahre alt. Dürfen wir fragen, wie Sie sich auf den Tod vorbereiten?
Kasper: Im Alter denkt man unwillkürlich mehr als in jungen Jahren an das Sterben. Daran wird man auch dadurch erinnert, dass viele Freunde und Altersgenossen schon nicht mehr unter uns sind. Man soll den Gedanken an den Tod auch gar nicht verdrängen, sonst belügt und betrügt man nur sich selbst. Es ist wichtig, zeitig ein Testament und eine Patientenverfügung zu machen. Man wird dann daran erinnert, dass wir am Ende nichts mitnehmen können von dem, was wir uns oft hart erarbeitet haben und das uns für unser Leben so teuer und so wichtig war. Eine Patientenverfügung und ein Testament sind auch ein Akt der Nächstenliebe; man erleichtert damit seinen Angehörigen vor und nach dem eigenen Sterben viele Probleme.
epd: Wie sieht es am Ende des Lebens mit den Beziehungen aus?
Kasper: Es ist vor allem wichtig, dass man lernt, nicht verbittert, sondern versöhnt aus dem Leben zu scheiden und innerlich versöhnt und im Frieden auch gegenüber Menschen, mit denen es im Leben Konflikte gab oder die uns Unrecht zugefügt haben. Wir sollten dies alles schon vor Vollendung unseres irdischen Lebens zu Ende bringen und innerlich abschließen. Für den Christen ist es vor allem wichtig, versöhnt mit Gott zu sterben und sich seiner Barmherzigkeit anzuvertrauen. Das kann und soll man schon vorher im Beten einüben. Wie heilsam, versöhnend und friedensstiftend es ist, die Krankensalbung zu empfangen, habe ich in der Klinikseelsorge oft erfahren - oft auch bei Menschen, die in ihrem Leben mit Gott und schon gar mit der Kirche nicht allzu viel im Sinn hatten. Wann immer es mit dem Sterben ernst wird, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass dem Tod keiner entrinnen kann. Gut also, sich darauf zeitig vorzubereiten.