Es gibt Pläne der beiden großen evangelischen Kirchen in Hessen, die Finanzzuweisungen an die Diakonie Hessen um 30 Prozent zu kürzen. Das sagte der Diakoniechef Carsten Tag im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt am Main. Sollten die Pläne der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau (EKHN) und von Kurhessen-Waldeck (EKKW) Wirklichkeit werden, müsste die Diakonie Hessen 30 Stellen abbauen, sagte Tag.
epd: Herr Tag, wissen Sie schon, ob und wie viel die EKHN künftig weniger an die Diakonie überweisen möchte?
Tag: Beide Kirchenleitungen haben sich darauf verständigt, dass die Zuweisung für den Landesverband um 30 Prozent gekürzt werden soll. Im Jahr 2021 betrug die Gesamtzuweisung der EKHN und der EKKW für die Landesgeschäftsstelle der Diakonie Hessen insgesamt zwölf Millionen Euro. Aus dieser Summe speist sich der Haushalt der Landesgeschäftsstelle zu 60 Prozent. Bei einer Personalkostenquote von 75 Prozent heißt das für uns, dass wir über einen Abbau von 30 Stellen sprechen, damit wäre jede dritte Stelle in der Geschäftsstelle gefährdet.
epd: Welche Folgen kann der Sparprozess für die Diakonie Hessen haben?
Tag: Die auf der Kippe stehenden 30 Stellen können wir nicht alle ausgleichen durch Ruhestandsversetzungen. Es gibt einen Vorschlag vonseiten der EKHN für einen zweckgebundenen Überbrückungsfonds mit dem Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Was weitere Einsparungen angeht, ist der Vorstand aufgerufen, Vorschläge zu erarbeiten. Das bedeutet, dass wir uns von einzelnen Arbeitsgebieten verabschieden müssen, so schwer uns das auch fällt.
epd: Bislang gibt es ein Votum der Kirchenleitungen, entscheiden werden aber die Synodalen. Sehen Sie hier noch Spielraum?
Tag: Geplant ist, dass es im November von beiden Synoden, der hessen-nassauischen und der kurhessischen, einen gleichlautenden Beschluss gibt. Es wird vorab noch eine Abstimmung geben im Koordinierungsausschuss. Das ist ein Gremium mit Synodalen aus beiden Kirchen, zu dem wir geladen sind, allerdings ohne Stimmrecht. Für die „Regionale Diakonische Werke in Hessen und Nassau gGmbH“, den Zusammenschluss der 17 regionalen diakonischen Werke, die nun wieder zur EKHN gehören, sind Kürzungen von 20 Prozent vorgesehen. Das heißt, die Kirchenleitung der EKHN differenziert zwischen der Arbeit des Landesverbands und der Arbeit der regionalen diakonischen Werke. Das können wir nicht nachvollziehen.
epd: Die vergangenen Synodaltagungen haben gezeigt, dass die Synodalen nicht immer den Vorschlägen der Kirchenleitung folgen. Haben Sie Hoffnung, dass dies auch hier so sein wird?
Tag: Wir hoffen, dass die Synode der EKHN für eine deutlich geringere Sparsumme eintritt. Die Finanzsituation der beiden Landeskirchen unterscheidet sich. Wir denken, der stärkere Partner kann größere Lasten tragen. Das wäre in diesem Fall die EKHN.
epd: Nicht nur die Kirche will sparen, sondern auch der Bund. Was bedeutet das für die Diakonie?
Tag: Wir werden doppelt in die Zange genommen, wie das Beispiel der Freiwilligendienste zeigt. Wir haben bisher pro Jahr 650 junge Menschen in das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) vermittelt. Weniger Geld von Bund und Kirche bedeutet, dass wir rund 200 Freiwillige weniger vermitteln können. Das geht zu Lasten von Kirchengemeinden und Einrichtungen, die ganz wesentlich auf FSJ-ler angewiesen sind.
epd: Gibt es für die Diakonie Hessen andere Möglichkeiten der Finanzierung?
Tag: Wir sind angewiesen auf Kirchensteuermittel und auf Mitgliedsbeiträge, die wir nicht beliebig erhöhen können, weil unsere Mitglieder ihrerseits finanziell mit dem Rücken an der Wand stehen. Dazu gibt es Spenden und projektfinanzierte Mittel, die wir derzeit in einem erheblichen Maße einwerben können.
Ein Beispiel ist die Kampagne „#wärmespenden“: Seit vielen Wintern sammeln wir gemeinsam mit Partnern einen sechsstelligen Spendenbetrag ein, der Wohnsitzlosen zugutekommt. Das geht nur, weil wir unser Personal dafür einsetzen. So entstehen Hebelwirkungen, bei denen wir einen Euro, den wir erhalten, vervielfachen können. Ob solche Kampagnen künftig noch möglich sind, wissen wir nicht.
epd: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant Spezialisierungen einzelner Kliniken, die das Aus für andere Kliniken bedeuten. Fürchten Sie um den Erhalt diakonischer Krankenhäuser?
Tag: Im Prinzip unterstützen wir die geplante Differenzierung in unterschiedliche Kategorien von Krankenhäusern. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass medizinische Versorgung flächendeckend vorhanden ist. Der größte Vorwurf gegen den Reformentwurf ist deshalb, dass der Bund versucht Maßstäbe zu setzen, die für alle gelten. Aber die Länder haben die Aufgabe und Pflicht zu schauen, was vor Ort benötigt wird und können das gemeinsam mit den Kommunen auch am besten entscheiden.
epd: Nicht nur die Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, auch Altenheime müssen schließen. Warum?
Tag: Um als Träger auskömmlich finanziert zu sein, müssen 98 Prozent der Betten im ganzen Jahr belegt sein. Das schafft man nur mit ausreichendem Personal, das es aber nicht gibt. Deshalb greift man auf Leiharbeit zurück. Diese Leih-Pflegekräfte kosten das drei- bis vierfache, refinanziert wird aber nur der einfache Satz. Das führt zu erhöhten Kosten, die irgendwann nicht mehr tragbar sind, weshalb ein ganzer Flur geschlossen wird. Die Kosten laufen aber weiter, ohne dass es ausreichend Einnahmen gibt. Das heißt, das fehlende Personal ist der entscheidende Faktor. Dazu kommen die gestiegenen Sachkosten.
epd: Was muss passieren, damit mehr Menschen in der Pflege arbeiten wollen?
Tag: Die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeberuf beträgt acht Jahre. Damit Pflegekräfte zurückkommen, wollen sie mehr Gehalt. In diesem Bereich hat sich einiges getan. Die Pflegekräfte wünschen sich auch eine angemessene Kommunikation mit Ärzten und Ärztinnen auf Augenhöhe und vor allem mehr Zeit für die Patienten und weniger Bürokratie. Sie brauchen zudem feste freie Zeiten.
Was halten Sie von dem Vorschlag der CDU/CSU, pflegenden Angehörigen einen Lohnersatz zu bezahlen?
Tag: Insgesamt 75 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt, in der Regel von Angehörigen. Deshalb ist der Vorschlag im Grundsatz zu begrüßen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wer das bezahlen soll? Wir sollten eher die Strukturen anschauen und fragen, was es braucht, um Menschen gut zu Hause versorgen zu können, um dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel in der Pflege bestmöglich begegnen zu können. Wir brauchen Nachbarschaften und Netzwerke in den Kommunen. Dazu tragen auch die Kirchengemeinden bei. Beide Kirchen haben in ihren strategischen Planungen die stärkere Ausrichtung in das Gemeinwesen. Als Diakonie sagen wir: Wir sind schon da! Wir sind eure Partner, um den Sozialraum gemeinsam mit euch zu gestalten - als Landesverband, als regionales diakonisches Werk oder als Träger eines Altenheims. Nutzt es und stattet uns mit den notwendigen Ressourcen aus.
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