Hohe Flüchtlingszahlen, Spätfolgen der Corona-Krise, Fachkräftemangel - Das Schulwesen in Rheinland-Pfalz steht vor enormen Herausforderungen. Wie gut das Land darauf reagiert, dazu haben Ministerium und Lehrerschaft unterschiedliche Meinungen.
Mainz (epd). Zum Beginn des neuen Schuljahres sind die Schülerzahlen in Rheinland-Pfalz auf den höchsten Wert seit neun Jahren angestiegen. An den Schulen des Landes würden jetzt knapp 540.000 Kinder und Jugendliche unterrichtet, gab Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) am 4. September bekannt, dies seien 20.000 mehr als noch vor zwei Jahren. Aufgrund dieser Entwicklung und zusätzlicher Angebote bei der Sprachförderung und der Ganztagsbetreuung seien 820 zusätzliche Planstellen ausgewiesen worden. Alle könnten im Laufe des Jahres mit ausgebildeten Lehrkräften besetzt werden, aber nicht überall schon zum ersten Schultag nach den Sommerferien.
Mit insgesamt 1.750 Neueinstellungen habe die Schulaufsicht 2023 einen echten „Kraftakt“ geleistet, erklärte Hubig. Sie hatte am 4. September eine Einschulungsfeier für die neuen Fünftklässler der Integrierten Gesamtschule Anna Seghers in Mainz besucht. Dort verwies sie auch auf die enormen Herausforderungen für das Schulsystem. Neben der großen Zahl von Flüchtlingskindern aus der Ukraine und anderen Krisenregionen der Welt stellten auch die Auswirkungen der Corona-Krise weiterhin ein großes Problem dar. „Die Folgen der Pandemie beschäftigen uns immer noch“, sagte sie. Schulen müssten unter anderem auf die gestiegene Zahl psychischer Auffälligkeiten und Erkrankungen reagieren. Auch „Nachholeffekte“ bei anderen Infektionskrankheiten hätten Auswirkungen auf den Unterrichtsbetrieb.
Die Ministerin beklagte zudem, dass in Deutschland die „soziale Schere“ immer weiter auseinandergehe - mit Folgen für die Schulen, die dadurch mit zusätzlichen Aufgaben konfrontiert würden. Das Land habe auf die Lage beispielsweise damit reagiert, dass mit Beginn des neuen Schuljahres Schulsozialarbeit auch an Grundschulen in Brennpunkt-Vierteln vom Land finanziell gefördert werde. Wegen des anhaltenden Mangels an Förderschullehrkräften habe Rheinland-Pfalz den Beruf für Quereinsteiger geöffnet, die einen Abschluss in Pädagogik oder Sozialpädagogik vorweisen können. Nachwuchsfachkräfte erhielten inzwischen Vorabzusagen für die Übernahme in den Landesdienst. Das vom Land aufgelegte Nachhilfe- und Förderprogramm „Aufholen nach Corona“ werde vom Land verlängert.
Forderungen der Lehrerverbände nach einer zusätzlichen Ausweisung von Lehrerplanstellen erteilte die Ministerin eine Absage. Angesichts der aktuellen Situation auf dem Stellenmarkt sei dies nicht realistisch. Der Pflichtunterricht könne überall im Land „gut abgedeckt“ werden. „Sehr viele Schulen in Rheinland-Pfalz sind sehr gut aufgestellt“, sagte Hubig.
Zu einem anderen Fazit kam die Bildungsgewerkschaft GEW. Zum Schuljahresstart verschärfe sich die Bildungskrise weiter, hieß es in einer Presseerklärung. Der enorme Lehrermangel stoße auf ein „marodes Bildungssystem“, das „veraltet, unterfinanziert, spaltend und ungerecht“ sei: „In diesem Mangelsystem kann weder inklusiv gearbeitet werden noch Chancengleichheit erreicht werden.“ Als Folge gebe es mehr Schulabgänger ohne Abschluss, mittlerweile habe ein Viertel der Viertklässler Probleme beim Lesen, Schreiben und Rechnen.
Der Schulleiter der Anna-Seghers-Schule, Christian Goldschmitt, wies am 4. September auf ein zusätzliches Problem hin, mit dem die Schulen konfrontiert seien. Eine Umstellung beim Bestellwesen für Schulbücher habe dazu geführt, dass zahlreiche Verlage nicht mehr rechtzeitig liefern könnten. Bereits im vergangenen Schuljahr habe es an seiner Schule in einem Fall bis November gedauert, bis die Bücher vollständig an alle Kinder einer Klassenstufen ausgeteilt werden konnten.
Pressemeldung des Ministeriums: http://u.epd.de/2pqt