
Reiner Baumann schnupft mit seinen 69 Jahren immer noch gerne - am liebsten einen echten Brasil, einen „Schmalzler“, wie es in Bayern heißt. Das sei die Krönung des Schnupftabaks, weil es einer ist, der mit echtem Schmalz versetzt ist. Deshalb heißt er auch so. Er ist fetter als der normale Snuff. Wenn Baumann davon die Nase voll nimmt, hängt hinterher brauner Tabak über seinem Zwirbelbart. Schnupftabak macht ein Gefühl, „wie wenn dir a Engel in d'Nosn nei bieselt hätt“, sagt er.
Ob beim Schnupftabak wirklich Engel am Werk sind, weiß niemand so genau. Aber dass die Schnupfer das Aroma von Obst oder Rumtopf beim Einatmen noch lange nach dem Schnupfen in der Nase haben und genau das genießen, ist sicher. Früher habe in den Wirtshäusern auf jedem Stammtisch eine Schnupftabakdose gestanden, erzählt Baumann, der aus einer Wirtshausfamilie stammt.
Baumann ist ein echtes Urgestein des Regensburger Schnupferclubs. Regelmäßig sitzt er mit seinen Spezln im Sommer im Biergarten „Unter den Linden“ oder im Winter beim Kneitinger am Arnulfsplatz. Nach dem Essen nimmt die inzwischen ältere Riege Männer auch heute noch hin und wieder eine Prise. Wer keine Tabakdose oder ein Schnupftuch dabei hat, muss fünf Euro Strafe zahlen. So war es jedenfalls früher, erzählt Schnupfer-Präsident Peter Wujcik (75).
Die Anfänge des Vereins liegen in den 1970er-Jahren, damals trug die Mehrheit der jungen Bevölkerung Jeans und hatte mit Brauchtumspflege wenig am Hut. Da sei die Idee entstanden: „Jetzt ziehen wir die Lederhose an“, sagt Baumann. 1973 war der Start des Vereins, der einst „Schmalzler Briada“ hieß. Getragen werden durften nur die alten, echten Lederhosen, die noch bei den Leuten auf dem Speicher gelegen haben, erzählt er: „O mei, war das ein Graffel.“ Will sagen: altes Zeug. Jeder sei früher in Lederhose zum Stammtisch gekommen - mit der Kniebundhose oder der Kurzen. „Wir haben gesagt: Mir san Bayern und lassen das alte Brauchtum wieder aufleben.“
Sie veranstalteten urbayerische Wettbewerbe im Fingerhakeln, Steineheben, Baumsägen und Masskrugstemmen. Der herrschende Zeitgeist war den Schnupfern ziemlich egal. Darin stehen sie Münchner Originalen wie Oskar Maria Graf oder Gustl Bayrhammer näher als modischen Möchtegern-Bayern oder manchem Volksmusiksänger. Bayerische Widerständigkeit oder auch Willensstärke wurde so zum Markenkern der Schnupfer. „Wenn einer mit der Lederhosen und mit einem Bart durch die Stadt gegangen ist, haben die Leute gesagt: Das ist einer von den Schnupfern“, sagt Baumann nicht ohne Stolz.
In den 1980er- und 1990er-Jahren verzeichneten die Schnupfer einen regelrechten Hype. Das lag vor allem an ihrem Unterhaltungstalent: Ihre Bälle hatten Kult-Status. Keiner der „Adabeis“, der Wichtigtuer in der Stadt, habe fehlen wollen, wenn im Gasthaus Röhrl in Eilsbrunn - dem nach eigenen Angaben ältesten Wirtshaus der Welt - mit mehr als 1.000 Leuten Fasching gefeiert wurde, erzählt Wujcik und blättert im Fotoalbum des Vereins. Auf einem der alten Bilder sieht man Wujcik wie er mit Strapsen, Bustier und hochhackigen Schuhen auf der Bühne steht. Beim Motto-Fasching 1987 mimte er den „Frank N Furter“ in der „Rocky Horror Picture Show“.
Zum 100. Todestag König Ludwigs II. im Sommer 1986 feierte der Schnupferclub ein „Kini-Fest“, bei dem man per Schiff von Regensburg auf die andere Donauseite nach Sinzing übersetze und von dort mit der Kutsche samt Entourage nach Eilsbrunn zog. Beim Eintreffen soll der Pfarrer angeboten haben, die Glocken zu läuten. Drei Tage dauerte es, bis alle Vereinsmitglieder wieder in den Alltag zurückgefunden hätten.
Die Zeiten waren so wild, dass sich sogar die Regensburger Fürstin Gloria incognito auf einen dieser legendären Bälle geschlichen haben soll. Der Fürst soll derweil zu Hause gewartet haben, erzählt Wujcik. Der Stammtisch fuhr sogar zu Weltmeisterschaften ins englische Wellington. Bei einer solchen Schnupfer-WM wurde der damalige Präsident Peter Broszio als der sauberste und schönste Schnupfer gekürt.
Ein unbändiger Zusammenhalt kennzeichnet die Schnupfer bis heute. Dass sie immer noch beieinander sind, darin sieht Baumann eine Fügung des Schicksals. Jeder habe seine eigene Meinung gehabt und es sei auch gestritten worden. „Das ist wahrscheinlich das Geheimnis: Es hat keiner aus seinem Herzen jemals eine Mördergrube gemacht“, erläutert Baumann. „Deshalb sind wir heute noch zusammen.“
Einfach war es nicht, bei den Schnupfern aufgenommen zu werden. Feste Aufnahmerituale verstärkten den Zusammenhalt. Sympathisanten, Fans des Vereins, hätten lange „ansitzen“ müssen, bis eventuell die Nasennote passte. Eine geheime Wahl mit weißen und schwarzen Kugeln entschied schließlich, „ob wir ihn überhaupt haben brauchen können“, erläutert Baumann.
Doch die legendären Zeiten sind lange her. Vom harten Kern der 25 Schnupfer sind heute noch 18 Mitglieder übrig. Obwohl in Regensburg einst die größte Schnupftabakfabrik Deutschlands stand und es Umschlagplatz für Tabak war, tun sich die Schnupfer mit dem Vereinsnachwuchs schwer. Immer wieder hätten sie es mit jungen Leuten probiert, die den alten Männern zeigen wollten, wie man einen Ball organisiert. Aber das sei ein Klatsch ins Wasser gewesen, sagt Baumann: „Es gibt Dinge, die ändern sich nicht - nur in Nuancen. Und das haben die nicht kapiert.“ (00/3037/30.08.2022)