Haus der Ewigkeit: Lüneburger wollen jüdischen Friedhof wieder nutzen
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Lueneburger wollen juedischen Friedhof wieder nutzen
Erstmals seit 1939 sollen neue Grabstellen entstehen
Lüneburg (epd).

Eine dichte Hecke umgibt das Grundstück im Wohngebiet nahe der Lüneburger Altstadt. Die ehemalige Begräbnisfläche des jüdischen Friedhofs ist von Gras überwachsen, Grabsteinfragmente sind am Rand platziert. Auf einer Wiese sind ein Dutzend Grabsteine mit hebräischen und deutschen Inschriften aufgereiht - willkürlich, ohne Bezug zu tatsächlichen Gräbern. Doch das soll sich ändern.

„Der Ort soll seine Würde zurückerhalten“

„In den kommenden Monaten wird das Friedhofsgelände vollständig umgestaltet, damit der Ort seine Würde zurückerhält“, sagt Christoph Dohmen, Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Lüneburg. Auch jüdische Bestattungen sollen dann dort wieder möglich sein. Es wären die ersten seit 1939. Bis zu 50 neue Grabstellen sind auf dem Gelände vorgesehen.

Den Friedhof wieder für Beisetzungen zu öffnen, „war anfangs gar nicht im Blick“, erzählt Dohmen, Katholik und emeritierter Professor für Altes Testament. Erst bei den Recherchen habe man festgestellt, dass ein Feld noch frei sei. Die erneute Nutzung früherer Begräbnisflächen stand nicht zur Wahl: Nach jüdischem Verständnis existieren Gräber zeitlich unbegrenzt, sie werden nicht aufgelöst und nicht neu belegt. Im Hebräischen heißt der Friedhof deshalb „Haus der Ewigkeit“.

„Es gibt schon Anfragen von jüdischen Menschen aus der Region“, berichtet Dohmen. Auch für Nachfahren der einst auf dem Friedhof Bestatteten sei es von Interesse, wenn in Lüneburg wieder Beisetzungen stattfinden könnten.

Nur 14 Friedhöfe aktiv

Niedersachsen hat zwar mehrere hundert jüdische Friedhöfe, doch genutzt werden die wenigsten. Rabbiner Tobias Jona Simon vom Landesverband der jüdischen Gemeinden nennt die Zahlen: Rund 300 Friedhöfe sind es insgesamt. „Davon sind etwa 70 gar nicht mehr als Friedhof erkennbar. Andere sind völlig abgeräumt oder verfügen lediglich über einen Gedenkstein“, so der Rabbiner. Nur 14 Friedhöfe seien aktiv, darunter neun, die zu jüdischen Gemeinden gehören, und fünf in der Obhut des Landesverbandes.

Der Landesverband ist aktuell für 217 Friedhöfe zuständig, um die sich keine Gemeinde kümmert. „Für diese Friedhöfe organisieren wir die Pflege, finanziell unterstützt von Bund und Land“, erläutert Simon. Auch in die Umgestaltung des Lüneburger Friedhofs, wo es keine jüdische Gemeinde mehr gibt, ist Simon eingebunden.

„Jüdisches Begräbnis auch für gemeindeferne Menschen wichtig“

„Ein jüdisches Begräbnis auf einem jüdischen Friedhof ist auch religions- oder gemeindefernen Menschen sehr wichtig“, schildert der Rabbiner seine Erfahrungen. Nur wenige Menschen jüdischen Glaubens ließen sich deshalb auf anderen Friedhöfen, etwa von Kommunen oder christlichen Kirchen, bestatten. In den vergangenen Jahrzehnten seien in Niedersachsen mehrere jüdische Friedhöfe neu angelegt worden, zum Beispiel in Oldenburg, Wolfsburg, Osnabrück oder Hannover, berichtet Simon.

Bundesweit sind dem Zentralrat der Juden mindestens 1.686 jüdische Friedhöfe bekannt. „Die Gesamtzahl dürfte höher liegen“, sagt Sprecher Paavo Czwikla. Aber wie viele davon belegt werden, sei beim Zentralrat nicht erfasst.

Historische Überlieferung einzigartig in Europa

Sogar mehr als 2.400 jüdische Friedhöfe in Deutschland zählt das Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Die ältesten gingen auf das 11. Jahrhundert zurück. „Kein anderes europäisches Land besitzt eine vergleichbar alte, reiche und vielschichtige Überlieferung“, so das Institut. Und das „trotz großer Verluste durch Zerstörungen und Vandalismus über die Jahrhunderte, in besonderem Maß in der NS-Zeit, aber auch nach 1945“.

Den Friedhof in Lüneburg hatte die jüdische Gemeinde in den 1820er-Jahren angelegt. Er sei nach den nationalsozialistischen Pogromen im November 1938 weitgehend intakt geblieben, berichtet Christoph Dohmen von der christlich-jüdischen Gesellschaft. Doch 1944 ließ das Gartenamt der Stadt den Friedhof einebnen, um dort Behelfsheime zu errichten. Die meisten Grabsteine wurden verkauft, einige als Fundament für die Gebäude zweckentfremdet. Auf der Fläche der Grabstätten konnten die Bewohner der Heime Gemüse anbauen. „Aber auch in den Nachkriegsjahren wurde noch versucht, die Spuren des jüdischen Friedhofs zu beseitigen“, kritisiert Dohmen mit Blick auf jüngste Forschungsergebnisse.

Ende Mai 2026 soll die Umgestaltung in Lüneburg abgeschlossen sein. Unter anderem werden sechs Stelen aufgestellt - mit den Namen der 168 dort bestatteten Jüdinnen und Juden. Um die Gravur zu finanzieren, rief die christlich-jüdische Gesellschaft vor Kurzem zu Spenden auf. Mit überwältigender Resonanz, so Christoph Dohmen. Innerhalb weniger Wochen seien für alle Namen Spender gefunden worden.

Von Detlev Brockes (epd)