epd Die Serie „Bonn - Alte Freunde, neue Feinde“ wird im neuen Jahr ab dem 11. Januar in der ARD-Mediathek zu sehen sein. Ab dem 17. Januar zeigt das Erste die Serie über die frühen Jahre der Bundesrepublik im linearen Fernsehen. Claudia Garde ist Headautorin und Regisseurin der Serie. Sie studierte in den 90er Jahren Drehbuch und Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg, hat bei zahlreichen „Tatort“-Folgen Regie geführt und erhielt 2006 den Grimme-Preis für ihren Film „Die Frau am Ende der Straße“ mit Maren Eggert. Diemut Roether sprach mit Claudia Garde über die Recherchen zu „Bonn“, die alten Nazi-Seilschaften in der jungen Bundesrepublik und das fragwürdige Etikett „Frauenfilm“.
epd: Ihre neue Serie „Bonn“, die im Januar im Ersten läuft, spielt 1954 in der damaligen Hauptstadt. Was interessiert Sie an den jungen Jahren der Bundesrepublik. Was wollen Sie in dieser Serie erzählen?
Claudia Garde: Bonn war damals die Hauptstadt der Bundesrepublik, dort haben sich alle versammelt, die wichtig waren in Politik und Wirtschaft. Und natürlich war auch der Verfassungsschutz da - faktisch saß der in Köln, aber der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, musste sich sehr viel nach Bonn bewegen. Uns hat interessiert, wie die Strukturen, in denen wir uns heute bewegen, entstanden sind. Wir wollten Ursachenforschung betreiben: Wie hat sich die Bundesrepublik gestaltet? Was für Möglichkeiten gab es und vor allem, wie setzte man sich damals als junger Mensch mit dem Krieg auseinander und mit der Vergangenheit, über die nicht wirklich gesprochen werden sollte.
Otto John, den Sie gerade erwähnt haben, ist eine historische Figur. Er spielt eine wichtige Rolle in der Serie. Sein Name und dass er zu Beginn der 50er Jahre der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz war, wird jedoch nur Wenigen bekannt sein. Was hat Sie an seiner Geschichte interessiert?
Garde: Die Produzenten Philip Voges und Fabian Winkelmann sind mit ersten Drehbuchentwürfen für „Bonn“ von Gerrit Hermans an mich herangetreten. Hier begegnete mir zum ersten Mal die überaus spannende Biografie dieses Mannes, denn bei genauerem Hinschauen ist John eine Figur, an der man viel über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erzählen kann. Er war einer der ganz wenigen in einer wichtigen Funktion, die damals eine nazifreie Vergangenheit hatten. John, der bis zu seiner Berufung als Chef des Verfassungsschutzes einige Jahre in London als Jurist gelebt hatte, fand sich in seinem unmittelbaren neuen Arbeitsfeld umgeben von Altnazis. Seine große Aufgabe sah er darin, diese zu entlarven, aber das wurde ihm nicht leicht gemacht. Sein anderes großes Anliegen war die Wiedervereinigung Deutschlands. Wie wir heute wissen, hat diese erst viele Jahre später stattfinden können.
Otto John gehörte dem Kreis der Widerstandskämpfer um Stauffenberg an. Nach dem gescheiterten Attentat gelang ihm 1944 die Flucht nach London, er war mit den Briten nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekommen und hat zu Beginn der 50er Jahre den Verfassungsschutz aufgebaut in Bonn. In Ihrer Serie geht es aber nicht nur um Otto John, es geht auch um eine andere historische Figur, nämlich Reinhard Gehlen.
Garde: Ich habe den Stoff von Gerrit Hermans übernommen und die Geschichte von Reinhard Gehlen in die Serie eingeführt, der direkter Widersacher von Otto John war. Gehlen hat damals die sogenannte Organisation Gehlen aufgebaut und geführt, den Auslandsgeheimdienst. Dieses Spannungsfeld hat mich und meine Koautoren sehr interessiert. Ohne Gehlen hätte Otto Johns Leben wohl einen anderen Verlauf genommen.
Gehlen als Figur ist wahrscheinlich denjenigen, die sich für die frühe Geschichte der Bundesrepublik interessieren, etwas geläufiger als Otto John. Aus der Organisation Gehlen wurde später der Bundesnachrichtendienst (BND). Gehlen war tief verstrickt in alte Naziseilschaften. An diesen beiden Antipoden lässt sich viel erzählen über die Geschichte der Bundesrepublik in den 50er Jahren.
Garde: Gehlen war unter Adolf Hitler auch schon ein Geheimdienstchef. Er war damals Generalmajor in der Wehrmacht und hat die Abteilung Fremde Heere Ost geleitet. Er hatte sehr wichtiges Material über russische Truppen gesammelt. Als Wehrmachtssoldat stand er Adolf Hitler nicht sehr nah, es heißt, dass sie kein gutes Verhältnis hatten und dass Hitler nicht viel von ihm hielt. Aber er hat sich auch nach dem Krieg mit Leuten umgeben, die Schlüsselpositionen im „Dritten Reich“ bekleideten. Er hatte 1954 schon um die 3.000 Mitarbeiter in seiner Organisation, von denen sehr viele noch eine braune Weste trugen, wie man damals sagte. Die Amerikaner haben die Entnazifizierung nach dem Krieg weitestgehend den Deutschen überlassen. Täter und Mitwisser haben sich dann gegenseitig Persilscheine ausgestellt. Das hat Otto John damals kritisiert. Er sagte: Wir arbeiten in denselben Strukturen weiter, nur die Kinder haben andere Namen. Er führte den Kampf eines Don Quijote. Sobald er bei einzelnen Menschen etwas tiefer recherchiert hatte, stieß er auf eine Vergangenheit wie bei Reinhard Gehlen. Gehlen war ein kluger Stratege.
Gehlen hat SS-Angehörigen, die damals gesucht wurden, zur Flucht verholfen und sie vor Strafverfolgung geschützt.
Garde: Viele von den großen Verbrechern standen auf den Gehaltslisten des BND, als vermeintliche Verfolger von Kommunisten - ob in Nordafrika oder in Südamerika. Ganz schlimme Figuren - unter anderem Klaus Barbie - sind finanziert durch den BND untergetaucht.
War es von Anfang an Ihre Absicht, diese Geschichte zu erzählen, als Sie sich mit Bonn in den 50er Jahren beschäftigt haben?
Garde: Es war von Anfang an klar, dass Geheimdienste und Otto John eine große Rolle spielen sollten. Und es gab von Anfang an die junge Frau, Toni Schmidt, die gewissermaßen blauäugig in diese ganze Geschichte reinstolpert. Den Krieg hat sie peripher noch mitbekommen, aber wie viele ihrer Generation weiß sie wenig über die ganzen politischen Verstrickungen und dringt immer tiefer dort ein. In den Büchern von Gerrit Hermans war Toni ursprünglich noch im Amt von John tätig. Jetzt ist sie bei der Organisation Gehlen angestellt als Fremdsprachensekretärin. Im Laufe unserer Recherchen wurde uns dieses unglaubliche Spannungsfeld zwischen den beiden Männer Gehlen und John und in der ganzen Bundesrepublik immer deutlicher und so verlagerte sich die Serie von einem Familienthriller mit politischem Hintergrund zu einem Politthriller mit Familienhintergrund. Uns haben die Fakten, auf die wir gestoßen sind, umgehauen. Und wir haben uns gefragt, wie kann das sein, dass das noch nicht thematisiert wurde? Warum wissen so wenig Leute über Otto John Bescheid? Wieso ist er nicht präsent? Und was ist mit Reinhard Gehlen? Leute, die politikinteressiert sind, wissen, wer das war. Aber einige Machenschaften von Gehlen sind in den letzten Jahren erst zutage gefördert worden. Zum Beispiel, dass Adenauer durch ihn die SPD hat ausspionieren lassen. Dieser Mann hatte seine Finger überall drin.
Haben Sie sich beim Schreiben der Serie von Historikern beraten lassen?
Garde: Wir haben sehr viel recherchiert und viel abgeglichen mit Historikern. Es ging vor allem darum, was wir sagen dürfen und können. Was ist verbrieft? Wir haben versucht, uns an die historischen und politischen Fakten zu halten, aber was die private Geschichte der Toni Schmidt angeht, waren wir frei. Wir wollten auch die Zeit darstellen: Was bewegte die Menschen? Wie gingen sie mit der Vergangenheit um?
Toni Schmidt ist zu Beginn der Serie 19 Jahre alt, wir sehen als Zuschauerinnen das Bonn der 50er Jahre durch ihre Augen. Über Toni erzählen Sie aber auch eine Emanzipationsgeschichte.
Garde: Das war damals glaube ich sehr schwierig für die jungen Menschen. Nach dem, was wir über die Zeit recherchiert haben, wissen wir: Man hat nicht offen am Tisch darüber gesprochen, was Opa und Papa früher gemacht haben, wo sie waren. Vielleicht war das bei Leuten, die im Widerstand waren, eher ein Thema, aber ich glaube, selbst da wollte man das nicht mehr anrühren, weil es so schmerz- und schmutzbehaftet war. Und für eine Frau war das wahrscheinlich ein noch viel größerer Schritt. In den 50er Jahren wollte man die Frauen ja wieder an den Herd schicken, es gab Haushaltschulen, da haben sie Kochen gelernt und all solche Dinge. Uns hat interessiert, was haben neugierige, kluge junge Frauen damals gemacht. Politisch interessierte Menschen wie Toni waren eine Ausnahme. Unter Männern wie unter Frauen. Aber es gab sie. Und manche unter ihnen wurden zu Spioninnen. Oft haben diese im Dienst eines mächtigen Mannes angefangen, als Sekretärinnen oder Assistentinnen. Im Geheimen auf ihre Tauglichkeit geprüft, wurden sie dann als Agentinnen geheuert. Die ARD zeigt Anfang Januar im Umfeld der Serie auch eine Dokumentation, die „Spioninnen“ heißt, da wird das erläutert.
Wie haben Sie recherchiert für die Serie?
Garde: Wir haben drei Monate lang sehr intensiv Biografien gelesen von John und Gehlen, dazu viel Literatur aus und über diese Zeit. Es wurde immer verrückter. Wir haben uns immer tiefer reingegraben und uns gegenseitig alles, was wir gefunden haben, zugeschickt.
Ihre Koautoren sind Martin Rehbock und Peter Furrer, Sie sind die Headautorin. Was haben Sie im Laufe Ihrer Recherchen gelernt über diese Zeit, was Sie vorher nicht wussten?
Garde: Das möchte ich nicht spoilern. Ich habe aber sehr viel über die Strukturen gelernt. Ich habe vor allem viel darüber gelernt, wie viele Leute um Adenauer herum waren, die nicht nur ein NSDAP-Parteibuch hatten, sondern ganz aktiv an der Vernichtung der Juden oder an ihrer programmatischen Aussortierung beteiligt waren. Allen voran Staatssekretär Globke.
Hans Globke war von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts und Vertrauter von Adenauer. Er ist eine der entscheidenden Figuren der damaligen Zeit. In der Nazizeit war er Mitverfasser und Kommentator der sogenannten Nürnberger Rassegesetze.
Garde: Das muss für John ganz furchtbar gewesen sein. Er wusste wahrscheinlich irgendwann gar nicht mehr, an wen er sich vertrauensvoll wenden kann, ohne dass der seine ehemaligen Nazikollegen warnt. Ich habe gelernt, in welchem Maß die politischen Ämter der damaligen Bundesrepublik mit alten Nazis durchsetzt waren. Es hat viele Jahre und Generationen gedauert, bis sich das geändert hat. Und wenn man sich Nachrichten wie die über die Reichsbürger anschaut, fragt man sich, inwieweit die Geheimdienste solche rechten Bewegungen überhaupt durchleuchten. Es bliebe zu recherchieren, wie weit das zurückreicht. Ich frage mich, wie wird das tradiert.
Sie sind Jahrgang 1966. Unsere Jahrgänge haben früher in der Schule gelernt, dass die Geschichte der Bundesrepublik ein Beispiel für gelungene Demokratisierung ist. Glauben Sie das immer noch nach Ihren Recherchen zu dieser Serie?
Garde: Ich glaube, dass wir in einem Staat leben, in dem eine grundlegende Demokratisierung stattgefunden hat. Ich glaube, Demokratie ist etwas sehr Lebendiges. Man muss sich fragen, was man dazu beitragen kann, die Demokratie zu behüten und darauf aufzupassen. Dafür wurden die Grundlagen geschaffen. Aber das Personal war damals vielleicht weniger daran interessiert, was mit der Bundesrepublik passiert als daran, nicht verurteilt zu werden für das, was sie getan hatten. Da ist auch Adenauer eine sehr wichtige Figur. Interessant ist die Frage: Wie lange setzt sich das fort? Bei den Auschwitzprozessen in den 60ern ist Fritz Bauer ja immer noch gegen Mauern gerannt. Ich frage mich: Wen hat man versucht zu schützen? Bis in welche Generation? Vor zwölf Jahren kam die NSU-Geschichte dazu …
Sie erzählen in der Serie über ein wichtiges Stück Zeitgeschichte. Ich könnte mir vorstellen, dass die Serie auch in Schulen im Unterricht eingesetzt wird, wenn man über die Zeit spricht. Diskutieren Sie manchmal mit Schülern über Ihre Filme?
Garde: Wir haben in der Schule, die meine Kinder besuchen, eine Winterfilmakademie, wo ich schon zwei Mal Filme von mir gezeigt habe und darüber gesprochen habe, wie man Film macht und warum. Das stößt immer auf sehr viel Zuspruch und macht Spaß. Mein Plan ist, dass ich die Serie nächstes Jahr nach der Ausstrahlung in die Winterfilmakademie unserer Schule mitnehme.
„Bonn“ ist die erste Serie, die Sie als Autorin und Regisseurin gemacht haben. Eine Serie gibt Ihnen die Möglichkeit, einen Stoff weiter aufzurollen, die Geschichte ausführlicher zu erzählen. Was für eine Erfahrung war das?
Garde: Das ist großartig. Man kann sehr bei sich bleiben. Ich schreibe als Autorin im Hinblick auf die Inszenierung. Ich liebe das. Natürlich reden bei einem solch großen Projekt viele mit. Ich habe beim WDR und bei meinem Produzenten tolle Partnerschaften gefunden. Wir haben sehr an einem Strang gezogen und haben uns sehr bemüht, die Geschichte noch spannender zu machen, sie immer weiter zu vertiefen. Als Regisseurin, die die Bücher mit zu verantworten hat, habe ich zudem eine ganz andere Nähe zum Stoff und damit auch eine viel trittfestere Grundlage, um mit den Schauspielern die Geschichte zu erarbeiten.
Sie waren selbst auch Schauspielerin. Wie arbeiten Sie mit den Schauspielern?
Garde: Ich bin sehr offen für deren Fragen. Ich bilde mir ein, dass die Figuren in meinen Filmen oft sehr tiefgründig sind und dass die Darsteller sehr genau wissen, was das für Menschen sind, die sie verkörpern. Das erarbeiten wir gemeinsam. Gute Schauspieler sind unglaublich instinktive und kluge Menschen, die Facetten hinzufügen, die meine Fantasie wieder bereichern. Das ist ein spannender Prozess. Die Schauspieler erschaffen neue, über die Bücher hinauswachsende Wesen mit ihrer Sprache und ihren Stimmen, ihrer Körperlichkeit. Ich liebe das.
Sie machen schon seit fast 30 Jahren Filme. Sie haben als relativ junge Regisseurin angefangen, auch „Tatorte“ zu drehen. War es damals als junge Frau schwierig, einen „Tatort“ zu machen?
Garde: Es war damals als Frau sowieso nicht einfach, an schöne Stoffe ranzukommen. Aber ich hatte das Glück, dass die Produzentin Sonja Goslicki, die den „Tatort“ Köln und „Schimanski“ für den WDR produzierte, mich als Studentin im dritten Studienjahr schon gefragt hat, ob ich Lust dazu haben würde. Das hatte ich natürlich. Damals gab es noch viel weniger Frauen, die Regie gemacht haben, und beim „Tatort“ noch weniger. Meine Cousine Christiane Balthasar hat auch „Tatort“ gemacht. Wir sind damals relativ schnell in dieses Feld gelangt. Ich glaube, dass es für uns grundsätzlich schwieriger war, uns zu platzieren - ob es jetzt die Gagen waren oder was auch immer. Da müssen wir uns immer noch anstrengen, um eine Gleichbehandlung zu erfahren.
Also die Gagen, die Frauen erhalten, sind nicht die gleichen wie die der Männer?
Garde: Damals auf keinen Fall. Inzwischen gleicht sich das mehr an, denke ich. Der „Tatort“ war männerbelastet. Wie kann eine Frau Verbrechen und Crime machen? Grundsätzlich waren die häuslichen Themen bestenfalls weibliches Regieterrain. Alles, was politisch oder gesellschaftlich relevant war, wurde eher den Männer-Regisseuren zugesprochen. Ich wollte seit Langem einen Kriegsfilm machen, habe seit Jahren ein Thema, aber das hat bis heute nicht geklappt. Nach wie vor kenne ich kaum deutsche Regisseurinnen, denen große Budgets für große Themen anvertraut werden. Was mich bis heute aufregt, ist der Begriff „Frauenfilm“. Dieser soll eine sensible weibliche Regie-Handschrift bezeichnen, meistens stehen Protagonistinnen im Mittelpunkt. Dieses vermeintliche „Prädikat“ wurde vergeben, wenn Filme von Frauen gemacht wurden. Zeichnete ein Mann für die Regie eines feinsinnigen Films mit Frauen verantwortlich, waren das gefühlvolle Dramen. Von Geschlecht war da also nicht die Rede. Denn es war normal, dass Männer Filme machen. Damit hatten wir uns viele Jahre auseinanderzusetzen, und ich bin sehr froh, dass das sich das inzwischen ändert.
Sie sind Mitglied bei Pro Quote Regie. Warum ist Ihnen das wichtig?
Garde: Ich bin Unterstützerin von der ersten Stunde an, aber ich gehöre nicht zu dem aktiven Personenkreis, weil ich das, als es losging, zeitlich nicht leisten konnte. Mir war es immer wichtig, die Welt aus der Perspektive von Frauen zu betrachten. Wir alle haben eine Brille aufgesetzt bekommen, überall auf der Welt, wie wir Filme zu konsumieren haben, was gut ist und was nicht zeigenswert ist. Aber wir sehen in den letzten Jahren, was für großartige Filme von Frauen gemacht werden. Ich finde es gerade in Deutschland interessant, dass die international beachteten Filme von Frauen kommen - wie Maria Schrader mit „She Said“. Wie konnte es passierten, dass der Blick von Frauen so vernachlässigt wurde? Ob in der Politik oder in der Wirtschaft, es ist alles sehr männerdominiert. Es geht nicht darum, dass Männer ihr Statement nicht haben sollen, es ist nur nicht nachvollziehbar, warum Frauen in so geringem Maß ihren Einfluss ausüben können. Frauen sind ebenso klug und vielschichtig und haben soziale Kompetenzen, von denen viele Männer was abschauen können. Ich behaupte, dass sie viele Zusammenhänge vielleicht sogar besser erkennen als Männer und oft mutiger in der Umsetzung von Themen in Filme sind.
Sie haben einige interessante Frauenporträts gemacht. Ihr Film „Die Frau am Ende der Straße“ mit Maren Eggert hat mich damals sehr beeindruckt. Ein sehr genaues Porträt einer Frau, die sich immer mehr in der eigenen Wahnwelt verliert. In der neuen Serie schauen Sie auch aus der Sicht der Frauen auf das Bonn der 50er Jahre. Was ist Ihnen an diesen Frauenfiguren wichtig?
Garde: Diese Frauen haben sich immer dem männlichen Diktat zu unterwerfen. Toni Schmidt ist die Lieblingstochter ihres Vaters, sie schafft es nur durch ihren Charme, dass sie Fremdsprachenkorrespondentin werden darf. Sie braucht natürlich die Einwilligung ihres Vaters. Wir sehen diese Ungerechtigkeit, diesen Kampf gehe ich mit ihr. Wir sehen die Welt durch die Augen von Toni. Da ist natürlich auch ihre Mutter Else, eine ganz spannende Figur. Sie hat eine gewisse Macht über ihren Mann, weil er sie sehr liebt und bewundert. Aber wenn es darauf ankommt, haut er doch mit der Faust auf den Tisch und sagt: Das wird nicht gemacht. Offensichtlich hat sie auch ein zweites Leben. Diese Figur entwickelt sich immer mehr, am Ende ist es aber doch sehr schockierend, wie sie sich ihrer Tochter gegenüber aufstellt. Dann gibt es noch die Figur der Lucie John, eine Jüdin, die mit ihrer Familie nach London geflohen ist zu Kriegsbeginn, die dann mit Otto John zurückkommt und sich wohl nie richtig wohlgefühlt hat in Deutschland. Sie ist dann auch wieder nach London zurückgegangen. Man weiß sehr wenig über sie. Man weiß, dass sie älter war als er. Man weiß auch, dass er wohl zunächst ein Verhältnis mit ihrer Tochter hatte, dann aber Lucie kennenlernte und dachte, das ist die spannendere Frau. Wir haben diesen Eheleuten ein sehr emanzipiertes Verhältnis zugeschrieben, wo sie zwar im Hintergrund bleibt, aber man weiß, er macht keinen Schritt ohne sie. Wir wissen nicht genau, ob es so war und wie weit John seine Frau Lucie ins Vertrauen gezogen hat, aber dass sie sich geistig sehr nahe standen, ist unzweifelhaft. Ich bringe da natürlich auch meine weibliche Sicht ein, im Hinblick auf die Frage, inwieweit Männer und Frauen Partner sein können in jeder Lebenslage. Und natürlich gab es auch damals schon Teams, aber das war die Ausnahme.
Und nicht zu vergessen die Schwester von Toni, Ingrid.
Garde: Sie findet ihre die ihr zugeordnete Rolle als zukünftige Hausfrau und Mutter gar nicht so schlecht. Sie findet es toll, wenn sie einen guten Mann hat, der für sie das Geld ranbringt. Sie arbeitet so lange es möglich ist mit im Geschäft, um dann ausschließlich für Mann und Kinder da zu sein. Sie ist also eine klassische Frauengold-Frau, die es natürlich auch gab. Frauengold war ein Beruhigungsmittel, mit 18 Prozent Alkohol, welches allen Frauen, die mal die Fassung verloren haben, empfohlen wurde, damit sie dem Ehemann voller Entspannung und Freude am Abend entgegentreten können.
Haben Sie sich zur Vorbereitung andere Fernsehserien über die Zeit angeschaut?
Garde: Ich schaue mir sehr selten zur Vorbereitung andere Filme oder Serien an. Ich will meine eigene Geschichte erzählen und meinen eigenen Ansatz finden. Ich habe mir Original-Filme aus den 50er Jahren angeschaut, Filme von Elia Kazan oder deutsche Filme, die in der Zeit gedreht wurden, auch Filme von der Defa.
Was haben Sie daraus gelernt?
Garde: Ich habe gelernt, dass es Filme gab, die sehr aufrüttelnd sein wollten, die kamen aber eher aus der DDR. Die Filme, die im Westen, in der BRD gezeigt wurden, waren von einer himmelschreienden Naivität. Da ist einem klar, so war es definitiv nicht. Ich war früher als Mädchen viel bei meinen Großeltern, da habe ich ganz andere Frauenstrukturen erlebt. Die Frauen in meiner Familie waren sehr stark. Das waren die Frauen, die die Kinder durch den Krieg gebracht haben, es waren Trümmerfrauen. Meine Großmutter hat sich nie hinter den Herd verbannen lassen, das waren eher die Töchter. Meine Großmutter konnte sich nie erklären, wie es sein kann, dass alle ihre drei Töchter den größten Wunsch hatten, schön auszusehen und sich einen Mann zu suchen und dass sie keine politischen oder beruflichen Ambitionen hatten. Aber diese Kleider und dass man wieder reisen durfte, das hatte natürlich eine unglaubliche Sogkraft auf junge Frauen. Es hat mich als Kind schon sehr interessiert, mit meiner Großmutter über das Leben früher zu sprechen, und ich habe mich an vieles erinnert während der Arbeit an „Bonn“. Ich habe auch mit meiner Mutter und den Müttern von Freundinnen mit unterschiedlichem sozialem Background geredet, das war sehr aufschlussreich. Denn unabhängig von intellektueller Herkunft und sozialer Schicht bestätigte sich, dass der Blick nach vorne zu richten war und dass es das erstrebenswerteste für eine junge Frau war, einen „guten Mann“ zu finden, um ihm Kinder zu gebären.
Wie lange haben Sie an der Serie gearbeitet?
Garde: Wir haben etwa ein Jahr lang daran geschrieben, dann haben wir ein halbes Jahr für die Vorbereitungen gebraucht und wir haben vier Monate gedreht.
Also gut zwei Jahre, wenn man den Schnitt noch dazurechnet. Wie hat Corona sich auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Garde: Meine Szenenbildnerin und ich sind in den ersten Recherchewochen gleich coronakrank geworden, so mussten wir das weiter nach hinten schieben. Wir haben zwei Drittel der Serie in Tschechien gedreht, dort gab es sehr hohe Inzidenzen und strenge Restriktionen. Es war ganz schwer, hin und her zu reisen, wir brauchten Ausnahmegenehmigungen, um uns in Prag zu bewegen. Gleichzeitig war das aber auch ganz besonders, weil wir in einer Enklave lebten in einer Stadt, die man als Tourist normalerweise völlig überfüllt sieht und die nun völlig leer war. Wir haben sehr intensiv gearbeitet. Aber wir durften und konnten arbeiten. Das war großartig.
Sie mussten ja auch zusammenbleiben, vermutlich durften Sie gar nicht viele Kontakte nach außen haben.
Garde: Wenn Schauspieler da waren, die drei Tage keine Einsätze hatten, durften sie zwischendurch nicht zurückreisen. Die blieben durchgehend da. Insofern sind wir da auch zu einer Familie zusammengewachsen und haben uns umeinander gekümmert und gekocht. Wir waren wie eine Bubble. Es war aber auch schwierig für viele, weil sie ihre Familien so lange nicht sehen konnten.
Die Serie wird zuerst in der Mediathek veröffentlicht. Finden Sie das gut?
Garde: Ich glaube ja. Jede Form von Veröffentlichung tut der Serie gut, und ich glaube, in der Mediathek ist immer noch ein sehr anderes Publikum. Ich will ein junges Publikum erreichen, und ich weiß nicht, ob viele von denen um 20.15 Uhr analog Fernsehen gucken.
Aus epd medien 50/51/22 vom 16. Dezember 2022