epd „Die ersten Tage des Mainzer Fernsehprogramms haben - daran ist kein Zweifel - der jungen, voreilig bespöttelten Anstalt einigen Respekt eingebracht“, schrieb der namenlose Kritiker von epd Kirche und Fernsehen am 6. April 1963. Er hatte die ersten Programmtage des Zweiten Deutschen Fernsehens beobachtet und stellte fest, dass „Mainz“ zwar nicht aus der Fülle schöpfen könne, über die die ARD verfüge, diese aber „durch Intensität - im Sachlichen und im Persönlichen“ ersetze. Auch dem ARD-Programm habe die neue Konkurrenz Auftrieb gegeben. „Ob die Belebung anhält, ob sich Mißlichkeiten abschleifen, ob das ZDF in der Lage sein wird, das zu halten, was es jetzt verspricht“, bleibe abzuwarten, schloss der Kritiker damals. Karsten Packeiser blickt zurück auf 60 Jahre ZDF.
epd Am 1. April 1963 um exakt 19.30 Uhr war es so weit: Mit ordentlich zurückgekämmten Haaren hatte ZDF-Intendant Karl Holzamer hinter einem schlichten Schreibtisch Platz genommen. „Ohne feierliche Eröffnung aus dem Alltag der Arbeit geht nunmehr das Zweite Deutsche Fernsehen auf den Schirm“, begrüßte der Philosophieprofessor das Publikum an den Fernsehempfängern. „Wir rechnen auch fürderhin mit Lob und Kritik, mit letzterer vor allem. Aber sie möge sachlich sein.“
Im Anschluss feierte die Nachrichtensendung „Heute“ Premiere - unter anderem mit einem ausführlichen Bericht zur Lage der westdeutschen Eierproduzenten. „In diesen vorösterlichen Tagen interessiert die Hausfrau besonders der Eierpreis“, informierte ein Sprecher. Keine zweieinhalb Stunden nach dem Start und nach der ersten Abendshow mit Stars wie Hildegard Knef, Louis Armstrong und Curd Jürgens war bereits wieder Sendeschluss.
Rundfunk blieb Ländersache
Das erste journalistische Reportageformat am Tag darauf widmete sich einem Thema, das 60 Jahre später verstörend aktuell wirkt: Eduard Zimmermann, der spätere Erfinder der Sendung „Aktenzeichen XY... Ungelöst“ berichtete aus sterbenden Dörfern im Rheinland, deren Bewohner für den geplanten Braunkohleabbau zwangsumgesiedelt wurden. In den gigantischen Baggern sah der Reporter ein Menetekel: „Eine Maschine, die so mächtig wird, dass sie der Herrschaft des Menschen entgleitet.“
Ein zweites bundesweites, privatwirtschaftlich organisiertes, aber der Bundesregierung unterstelltes Fernsehprogramm neben den ARD-Sendern war ein erklärter Wunsch der Adenauer-Regierung gewesen. Doch mit diesem Plan hatte der CDU-Kanzler Schiffbruch vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten. Rundfunk blieb Ländersache. Gewissermaßen als Kompromiss entstand das ZDF in Form einer öffentlich-rechtlichen Anstalt der Länder. Holzamer, der wie eine vom ZDF in Auftrag gegebene Untersuchung kürzlich herausfand, seine zeitweilige Zugehörigkeit zur paramilitärischen Sturmabteilung (SA) der NSDAP verschwiegen hat (epd 7/23), war bereits als Intendant für Adenauers gescheiterte „Deutschland-Fernsehen GmbH“ im Gespräch gewesen.
Im Streit um das „Adenauer-Fernsehen“ hatte sich ein Mann aus der Riege der Ministerpräsidenten besonders hervorgetan: der Rheinland-Pfälzer Peter Altmeier (CDU). Der Mainzer Regierungschef habe den Bundeskanzler offen herausgefordert und für die Unabhängigkeit des Rundfunks gestritten, sagt der Mainzer Historiker Michael Kißener: „Er wurde damals als jemand wahrgenommen, der Länderinteressen über Parteiinteressen stellte.“
Diese Haltung zahlte sich aus. Altmeiers Prinzipientreue habe wohl eine Rolle gespielt, als die Wahl des Standortes für den neuen Sender nach einer denkbar knappen Abstimmung auf Rheinland-Pfalz fiel. Damit sei dem sonst eher provinziellen „Land der Reben und Rüben“ ein „großer politischer Stich“ gelungen.
Die ersten Sendungen entstanden allerdings noch in provisorischen Studios im hessischen Eschborn. „Telesibirsk“ hieß die Barackensiedlung bei Frankfurt am Main im Jargon der Fernsehleute. Erst Jahre später wuchs am Rand von Mainz buchstäblich auf der grünen Wiese der neue Stadtteil Lerchenberg in den Himmel, wo dem ZDF auf einer Fläche von mehr als einem Quadratkilometer ein modernes Sendezentrum gebaut wurde - mit dem weithin sichtbaren 14-stöckigen Redaktionshochhaus im Zentrum.
„Aller Anfang ist schwer, aber das Mainzer Fernsehen hat nicht enttäuscht“, kommentierte „Kirche und Fernsehen“, eine Vorgängerpublikation von „epd medien“, 1963 den Start des ZDF-Programms. Besonders positiv gewürdigt wurden in dem Text die „lustigen Zeichenfiguren, die mit kleinen Witzchen die Reklame-Einblendungen voneinander trennen“. Gemeint waren die Mainzelmännchen, die vom zweiten Sendetag an fest zum ZDF gehören und schnell zu Maskottchen der Sendeanstalt wurden.
Manches am frühen ZDF mutet im Rückblick exotisch an - etwa die Ansagerinnen mit ihren extravaganten Hochsteckfrisuren, Politiker, die während des Interviews genüsslich ihre Zigarre pafften, oder die Wetterkarten mit Deutschland in den Grenzen von 1937. In der Anfangszeit sei regelmäßig eine Liste aller bevorstehenden Sendungen für zehn Minuten als Standbild gesendet worden, berichtet ZDF-Archivar Veit Scheller, der die Geschichte der Sendeanstalt vermutlich so gut kennt wie kaum jemand sonst: „Das war dafür gedacht, dass sich Zuschauer in der DDR das Programm abschreiben konnten.“
Mitentscheidend für die Wahl von Mainz als ZDF-Standort sei auch die Nähe zum großen Frankfurter Flughafen gewesen, berichtet Scheller. Denn in den 1960er Jahren mussten alle Filmaufnahmen aus dem Ausland vor der Ausstrahlung nach Deutschland eingeflogen werden. Das ZDF beschäftigte einen eigenen Fahrdienst, der die schweren Filmrollen aus den gerade gelandeten Maschinen in Empfang nahm, noch bevor das restliche Gepäck ausgeladen wurde, und sie in speziellen Klarsichttaschen schnell am Zoll vorbei in die Zentrale brachte.
Erloschenes Lagerfeuer
Im Vergleich zum Hörfunk war das Fernsehen Anfang der 1960er Jahre noch klar zweitrangig: Nicht einmal jeder zweite deutsche Haushalt besaß überhaupt einen Fernseher. Dass das Zweite Deutsche Fernsehen einmal zu einem der größten Medienunternehmen Europas werden würde, konnte vor 60 Jahren kaum jemand ahnen. Doch genau das gelang dem Mainzer Sender mit seiner Mischung aus Information und Unterhaltung.
In den besten Jahren versammelte sich an manchen Abenden ein guter Teil der Bevölkerung vor dem Fernseher. Shows wie „Dalli Dalli“ mit dem legendären Quizmaster Hans Rosenthal oder die von Entertainer Frank Elstner erfundene Sendung „Wetten, dass..?“ zogen 20 Millionen Zuschauer oder mehr an.
Trotz der Konkurrenz durch die Privatsender, die in den 1980er Jahren aufkam, ist das ZDF gemessen an Marktanteilen seit elf Jahren der meistgesehene Sender in Deutschland, vor allem die älteren Zuschauer bleiben dem Mainzer Programm treu. Doch vom Zuspruch der besten Zeiten ist es angesichts der wachsenden Konkurrenz durch Privatsender und Onlineangebote inzwischen meist weit entfernt. Als „Wetten, dass..?“ 2014 eingestellt wurde, bemühten zahlreiche Zeitungen das Bild vom „Lagerfeuer der Nation“, das nun endgültig erloschen sei.
Gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern veranstaltet das ZDF seit den 1980er Jahren den Kultursender 3sat und seit den 1990er Jahren Phoenix, Arte und Kika. Später kamen die sogenannten Digitalkanäle ZDFneo, ZDFinfo und ZDFkultur dazu, seit 2016 betreiben ARD und ZDF gemeinsam das Onlinenetzwerk Funk, das sich speziell an Jugendliche und junge Erwachsene richtet. Beim Start von ZDFneo im Jahr 2009 hatte der damalige Intendant Markus Schächter frohlockt, endlich könne sich das ZDF „aus der babylonischen Gefangenschaft des Einkanalsenders“ befreien.
ZDFkultur wurde 2016 für den Start von Funk aufgegeben, derzeit wird in der Debatte um die Reform der öffentlich-rechtlichen Sender gefordert, dass das ZDF weitere Spartenkanäle einstellen soll.
Mittlerweile hat der Haushaltsplan der Sendeanstalt für 2023 ein stolzes Volumen von rund 2,5 Milliarden Euro erreicht. Das ist mehr als der komplette Staatshaushalt von Ländern wie Tadschikistan, Ruanda oder Montenegro - und viel mehr als die zahlreichen Kritiker des ZDF für angemessen halten.
Distanz zur Politik
Der derzeitige Intendant Norbert Himmler muss das ZDF nämlich nicht nur gegen die immer stärkere Konkurrenz der großen Streamingdienste behaupten. Er muss sich auch der lauter werdenden Debatte stellen, ob Deutschland mit dem Ersten und dem ZDF wirklich zwei gebührenfinanzierte nationale Fernsehkanäle benötigt. Tatsächlich diskutierten schon die Gründerväter des Mainzer Senders darüber, ob das Zweite Deutsche Fernsehen Mitglied der ARD werden sollte.
Dass die Daseinsberechtigung des ZDF immer wieder infrage gestellt werde, sei kein Zufall, urteilte die Berliner „tageszeitung“ zum 50-jährigen Bestehen des Senders 2013, „weil der Geburtsfehler des ZDF, ein rein politisch gewollter Sender zu sein, bis heute nachwirkt“.
Dass die notwendige journalistische Distanz zur Politik auch beim ZDF immer wieder erkämpft werden muss, wurde kaum je so deutlich wie im Fall des ehemaligen Chefredakteurs Nikolaus Brender. Hessens damaliger Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hatte sich in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrates 2009 dagegen ausgesprochen, den Vertrag mit Brender zu verlängern. Nach heftigem Streit über den Einfluss der Politik auf die ZDF-Gremien folgte die CDU-nahe Mehrheit im Verwaltungsrat schließlich Kochs Vorschlag, sich von Brender zu trennen. Der Chefredakteur warf den Gremien seinerseits Proporzdenken und „Rückgratlosigkeit“ vor und sprach von einem ZDF-internen „Spitzelsystem, das davon lebt, dass Redakteure den Parteien Senderinterna zutragen“.
Als Konsequenz aus dem Streit um Nikolaus Brender stellte die rheinland-pfälzische Landesregierung einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht, um den ZDF-Staatsvertrag überprüfen zu lassen (epd 98/10). Damit sollte geklärt werden, ob die Gremien des ZDF zu stark von Vertretern der Politik und des Staates dominiert sind. Im März 2014 erklärten die Richter Regelungen des ZDF-Staatsvertrags zur Zusammensetzung der Aufsichtsgremien für verfassungswidrig (epd 13/14). Seither sind die Mitsprachemöglichkeiten von Politik und Parteien in den ZDF-Gremien zwar reduziert worden, aber gleichwohl weiterhin vorhanden. So gehören dem ZDF-Verwaltungsrat noch immer vier Ministerpräsidenten an, die dort unter anderem über den ZDF-Haushalt und wichtige Personalien abstimmen. Im Sommer 2022 wurde die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) erneut zur Vorsitzenden gewählt.
Zudem bestimmt die Politik mit dem Programmauftrag das Grundgerüst des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland - und damit letztlich den Umfang des Angebots von ARD und ZDF. Darum wird zurzeit wieder heftig gerungen. Himmlers Intendantenkollege Tom Buhrow (WDR) sagte Ende 2022 in einer Rede in Hamburg: „Mein fester Eindruck ist: Deutschland scheint uns in zehn Jahren nicht mehr in dem Umfang zu wollen - und auch finanzieren zu wollen - wie heute.“
Aus epd medien 13/23 vom 31. März 2023