Mündliche Patientenaufklärung nicht verzichtbar
s:35:"Operation im Helios Klinikum Erfurt";
Operation im Helios Klinikum Erfurt

Patienten können nur mit einer korrekten ärztlichen Aufklärung Behandlungsrisiken abschätzen und sich für einen Eingriff entscheiden. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs muss das Für und Wider eines Eingriffs im Kern im mündlichen Gespräch mit dem Arzt erfolgen.

Karlsruhe (epd). Ärztinnen und Ärzte müssen Patienten vor einem medizinischen Eingriff in einem „vertrauensvollen Gespräch“ mündlich über Chancen und Risiken der Behandlung aufklären, sagt der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Es reiche nicht aus, dass medizinische Risiken nur im Aufklärungsbogen umfassend aufgeführt sind, den der Patient gelesen und unterzeichnet hat, entschied der BGH in einem am 21. Januar veröffentlichten Urteil.

Der Kläger aus Südhessen hatte sich 2015 wegen zunehmender Schmerzen im rechten Sprunggelenk in die Praxis eines Unfallchirurgen begeben. Die körperliche Untersuchung und Röntgenaufnahmen ergaben, dass der Mann sogenannte freie Gelenkkörper aus Knorpel und Knochen im Fuß hatte. Der Chirurg schlug eine ambulante Arthroskopie vor, bei der die Gelenkkörper minimalinvasiv entfernt werden. Im August 2016 wurde er in der Praxis und einen Monat später erneut in einer Klinik operiert.

Bereits vor dem zweiten Eingriff klagte der Mann über zunehmende Schmerzen und eine Überempfindlichkeit des Fußrückens. An der Einstichstelle des Arthroskops wurden ein gutartiges Nervengeschwulst und eine Nervenschädigung festgestellt.

Aufklärung „im Großen und Ganzen“ genügt

Der Patient verlangte von dem Arzt Schadensersatz. Er sei nicht ausreichend über die medizinischen Risiken - insbesondere Nervenschäden - und Behandlungsalternativen aufgeklärt worden. Der Arzt habe ihm nicht mitgeteilt, dass die Operation nur relative Erfolgschancen habe und nicht alle freien Gelenkkörper entfernt werden könnten. Aufgrund der Operation sei er nun erwerbslos und zu 60 Prozent schwerbehindert. Der Arzt hielt sowohl die mündliche als auch die schriftliche Aufklärung für richtig. Der Kläger habe den Aufklärungsbogen gelesen und unterzeichnet. Darin seien die Risiken des Eingriffs genannt worden.

Der BGH urteilte, dass es für den Schadensersatzanspruch darauf ankomme, ob der Patient mündlich ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei. Dies müsse das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt erneut prüfen. Für eine wirksame Einwilligung des Patienten in eine Operation müssten die in Betracht kommenden Risiken zwar nicht medizinisch exakt beschrieben werden. Es genüge eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“. Dem Patienten müsse aber eine allgemeine Vorstellung vom Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Zugunsten des Klägers könne unterstellt werden, dass er über das Risiko einer Nervenschädigung mündlich nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei.

Bei der Aufklärung dürfe der Arzt nur ergänzend auf schriftliche Unterlagen als Gedächtnisstütze verweisen, urteilte der BGH. Erfolge keine mündliche Benennung der Risiken, könne der Patient nicht selbstbestimmt über den Eingriff entscheiden. Denn nur im Gespräch könne er Rückfragen stellen. Über schwerwiegende und das weitere Leben belastende Risiken sei „grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen“. Allein der Verweis auf den Aufklärungsbogen reiche nicht aus. Kern der Aufklärung müsse das „vertrauensvolle Gespräch“ sein.

OP muss unter Umständen unterbrochen werden

Nach einem Urteil des OLG Hamm vom 9. Dezember 2014 muss eine mangelhafte Patientenaufklärung aber nicht automatisch zu einem Schmerzensgeldanspruch führen. Denn Sinn und Zweck der Aufklärung über Operationsrisiken sei es, den Patienten in die Lage zu versetzen, sich für oder gegen den Eingriff zu entscheiden. Es bestehe daher kein Schadensersatzanspruch wegen mangelhafter Patientenaufklärung, wenn sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für den Eingriff entschieden hätte.

In einem weiteren Urteil vom 21. November 2023 verpflichtete der BGH behandelnde Ärzte dazu, Patienten auch über eine mögliche Änderung der Operationsmethode aufzuklären. Habe ein Arzt trotz Hinweisen auf eine mögliche Operationserweiterung oder einen Wechsel der Operationsmethode diesen Patienten darüber nicht informiert, müsse er „soweit dies möglich ist, die Operation beenden, den Patienten nach Abklingen der Narkosewirkungen entsprechend aufklären und seine Einwilligung in den weitergehenden Eingriff einholen“.

Lässt sich ein Patient mit alternativmedizinischen Verfahren behandeln, muss der Arzt nach einem Urteil des OLG Dresden vom 23. Juli 2024 nicht nur die Vor- und Nachteile erläutern, sondern auch, warum vom schulmedizinischen Standard abgewichen wird. In der Grundaufklärung müsse auf die unzureichenden Wirksamkeitsnachweise der alternativmedizinischen Behandlung hingewiesen werden. Wird dies unterlassen, kann ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld bestehen.

Az.: VI ZR 188/23 (Bundesgerichtshof über mündliche Aufklärung)

Az.: 26 U 88/13 (Oberlandesgericht Hamm)

Az.: VI ZR 380/22 (Bundesgerichtshof zu Operationsmethoden)

Az.: 4 U 1610/21 (Oberlandesgericht Dresden)

Frank Leth