Schwangere Arbeitnehmerinnen haben ab Vorlage eines ärztlichen Attestes Anspruch auf nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage. Auf den Zeitpunkt des vorab durchgeführten Schwangerschaftstests kommt es hierfür nicht an, so das Landesarbeitsgericht in Chemnitz.
Chemnitz (epd). Eine gekündigte schwangere Arbeitnehmerin kann erst mit einem entsprechenden ärztlichen Attest sicher von ihrer Schwangerschaft wissen. Hat sie ihren Arbeitgeber zuvor über ihren positiven Schwangerschaftstest informiert und die gesetzliche Dreiwochenfrist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage verpasst, kann sie dennoch die nachträgliche Zulassung der Klage beantragen, so das Sächsische Landesarbeitsgericht (LAG) in Chemnitz in einem am 27. August veröffentlichten Urteil. Denn erlange sie erst nach der verpassten Klagefrist mit einem ärztlichen Attest verbindlich Kenntnis über ihre Schwangerschaft, könne sie innerhalb einer Frist von zwei Wochen den Antrag auf Zulassung der Klage stellen, urteilten die Chemnitzer Richter.
Schwangere Arbeitnehmerinnen genießen Kündigungsschutz. Nur ausnahmsweise kann die Kündigung einer Schwangeren von den zuständigen Behörden genehmigt werden, etwa aus verhaltensbedingten Gründen. Wird der Frau gekündigt, hat sie nach dem Kündigungsschutzgesetz regelmäßig drei Wochen nach Zugang der Kündigung Zeit, Kündigungsschutzklage zu erheben.
Schwangerschaftstest nach der Kündigung
In dem vom LAG entschiedenen Fall arbeitete die Klägerin als Behandlungsassistentin in einer Arztpraxis. Am 14. Mai 2022 erhielt sie die ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2022. Als sie am 29. Mai 2022 einen Schwangerschaftstest machte und dieser positiv ausfiel, teilte sie dies ihrem Arbeitgeber sofort mit. Sie wolle schnellstmöglich einen Termin bei ihrer Frauenärztin vereinbaren, um die Schwangerschaft feststellen zu lassen. Die übliche dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage hatte sie versäumt. Daraufhin beantragte sie am 13. Juni 2022 beim Arbeitsgericht noch innerhalb der hierfür vorgesehenen Zweiwochenfrist die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage. Am 21. Juni 2022 legte sie das ärztliche Attest vom Vortag über das Vorliegen der Schwangerschaft beim Arbeitsgericht vor.
Der Arbeitgeber hielt die Kündigungsschutzklage für verspätet und unzulässig. Die Klägerin habe bereits mit dem positiven Schwangerschaftstest von ihrer Schwangerschaft gewusst, die dann laufende gesetzliche Dreiwochenfrist für die Kündigungsschutzklage aber verpasst.
Das LAG urteilte, dass die Klägerin die Dreiwochenfrist unverschuldet nicht eingehalten habe. Die Kündigungsschutzklage sei daher nachträglich zuzulassen. Die Klägerin sei angesichts des positiven Schwangerschaftstests vom 29. Mai 2022 zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schwanger gewesen. Sie habe dann zwar die Dreiwochenfrist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage verpasst. Der Arbeitgeber habe nach der Mitteilung des positiven Schwangerschaftstests und nach Ablauf der regulären Klagefrist aber nicht darauf vertrauen können, dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden sei.
Für zweifelsfreie Kenntnis ist Attest nötig
Die nachträgliche Zulassung der Klage sei dann ab Kenntnis der Schwangerschaft möglich. Eine zweifelsfreie Kenntnis setze voraus, dass ein ärztliches Attest die Schwangerschaft noch einmal bescheinigt. Dies habe die Klägerin mit dem Attest vom 20. Juni 2021 belegt und rechtzeitig die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage beantragt. Da der Arbeitgeber wegen der Schwangerschaft der Klägerin nicht die erforderliche behördliche Genehmigung für die Kündigung eingeholt habe, sei diese auch unwirksam. Der Arbeitgeber hat gegen das Urteil Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt eingelegt. Dort ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen 2 AZR 156/24 anhängig.
Zwischenzeitlich hatte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg auf Vorlage des Arbeitsgerichts Mainz am 27. Juni 2024 angezweifelt, ob die deutsche Zweiwochenfrist für die nachträgliche Zulassung einer verspätet erhobenen Kündigungsschutzklage für den Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen ausreiche. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ihnen zunächst eine dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage zustehe, für die nachträgliche Zulassung der Klage ihnen aber nur zwei Wochen zur Verfügung stünden, wenn die Klageerhebungsfrist wegen Unkenntnis der Schwangerschaft versäumt worden sei. Das Arbeitsgericht hatte daraufhin am 10. September 2024 geurteilt, dass die klagende Pflegehelferin im Streitfall keine Klagefrist einhalten musste, weshalb der Klage trotz verspäteter Erhebung stattzugeben war.
Az.: 2 Sa 88/23 (Sächsisches Landesarbeitsgericht)
Az.: C-284/23 (Europäischer Gerichtshof)
Az.: 4 Ca 1424/22 (Arbeitsgericht Mainz)