Das Deutschlandticket wird im kommenden Jahr um neun Euro teurer. Zu wenig für eine Deckung der Kosten, sagt die Mobilitätsforscherin Anita Schöbel. Ihren und den Angaben von Verbänden zufolge sollte die Erhöhung aber mit einer Ausweitung des Angebots verknüpft werden.
Kaiserslautern (epd). Die Preiserhöhung des Deutschlandtickets reicht nach den Worten der Mobilitätsforscherin Anita Schöbel nicht aus. Die Kosten des öffentlichen Nahverkehrs könnten damit nicht gedeckt werden, sagte die Optimierungsprofessorin der TU Kaiserslautern und Sprecherin der „DFG-Forschungsgruppe 2083: Integrierte Planung im öffentlichen Verkehr“ dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Verkehrsminister der Länder hatten am 23. September auf einer digitalen Sonderkonferenz die Preiserhöhung für das Deutschlandticket von 49 auf 58 Euro beschlossen. Finanziert wird das Ticket zur Hälfte von Bund und Ländern. Beide Seiten zahlen aktuell jährlich jeweils 1,5 Milliarden Euro für das Deutschlandticket.
Kein nennenswerter Umstieg vom Auto
Laut Schöbel stiegen vor allem Berufspendler, die in Ballungszentren etwa um Frankfurt am Main, Hamburg und Stuttgart vor Einführung des Deutschlandtickets weit mehr im Monat zahlten, auf das Deutschlandticket um: „So sind sehr viele Einnahmen verloren gegangen.“
Gleichwohl sieht sie keinen nennenswerten Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr. Vor allem im ländlichen Raum gebe es einen Teufelskreis. Um Menschen dort zu bewegen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, müssten sich die Taktfrequenzen erhöhen. „Aber es rechnet sich gleichzeitig nicht, Busse fast leer fahren zu lassen“, sagte Schöbel. Auch aus Klimaschutzsicht wären nicht ausgelastete Verkehrsmittel nicht zu rechtfertigen.
Generell seien Anforderungen an Busse und Bahnen Schöbel zufolge sehr hoch: „Die Verbindungen sollen schnell sein, nicht zu teuer und umweltverträglich.“ Dies könne nur über eine enge Vernetzung der Verkehrsträger erfolgen. Die Vernetzung klappe dort besser, wo Kommunen oder der Staat viel Geld in den öffentlichen Verkehr steckt. „Aber die finanzielle Förderung des ÖPNV ist eine politische Entscheidung“, erklärte die Forscherin.
Verteidigung der Erhöhung als „maßvoll“
Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) nannte nach dem Treffen der Verkehrsminister die Preisanhebung um neun Euro angesichts des Angebots maßvoll. Der Preis des Tickets bleibe attraktiv, betonte Krischer. Die wichtige Botschaft sei, dass dieses Angebot dauerhaft zur Ticketlandschaft gehören werde. Die Verkehrsunternehmen erhielten mit der Entscheidung Planungssicherheit.
Auch die für den öffentlichen Personennahverkehr zuständige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, Katrin Eder (Grüne), verteidigte den angekündigten Preisanstieg. Die Erhöhung sei ein „bedauerlicher, aber dennoch unvermeidbarer Schritt“, sagte sie. Die Zuschüsse von Bund und Ländern für das Deutschlandticket seien jeweils gedeckelt gewesen. Ohne Preiserhöhung wäre das Angebot nicht mehr zu finanzieren gewesen und hätte eingestellt werden müssen. „Die Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister haben auf Basis der neuesten Verkaufszahlen und Prognosen den nun beschlossenen Preisschritt mit dem nötigen Augenmaß vorgenommen“, versicherte Eder. Alternative Finanzierungsmöglichkeiten wie der Abbau des sogenannten Dienstwagenprivilegs seien „derzeit politisch nicht mehrheitsfähig“.
Die Linksfraktion im mecklenburg-vorpommerschen Landtag kritisierte die geplante Preiserhöhung als „zu hoch“. „Viele Menschen, die das Ticket nutzen, haben bereits an den derzeitigen 49 Euro zu knapsen“, sagte der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion, Henning Foerster. Deshalb habe sich Mecklenburg-Vorpommern bei der Abstimmung der Verkehrsminister für die Preiserhöhung enthalten. „Wenn wir wollen, dass die Verkehrswende gelingt und mehr Menschen auf Bahn und Bus umsteigen, ist die Preiserhöhung kontraproduktiv“, sagte Foerster. Die Anhebung um 9 Euro monatlich werde dennoch kommen, „weil die Finanzierung des Nahverkehrs und der Ausgleich der Einnahmeverluste an die Verkehrsbetriebe die Länder vor große Herausforderungen stellt“. Jetzt müsse es gelingen, dass noch mehr Betriebe Jobtickets zur Entlastung von Fahrkosten anbieten. „Auch werden wir alles daransetzen, dass sowohl das Azubi- als auch das Seniorenticket Mecklenburg-Vorpommern ab 2025 weiterhin für einen möglichst attraktiven Preis zu haben sind.“
Kritik an der Erhöhung
Der Fahrgastverband „Pro Bahn“ erklärte, die angekündigte Preissteigerung sei nicht akzeptabel. Gerade Neukunden würden durch den Schritt „bitter enttäuscht“, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme. Der Umweltverband BUND forderte die Einführung eines ermäßigten Deutschlandtickets für Schüler, Studenten und Menschen mit niedrigem Einkommen.
Im Vorfeld der Entscheidung hatte das Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende auf eine finanzielle Absicherung sowie auf Preisstabilität für das Deutschlandticket über 2025 hinaus gedrungen. Die beteiligten Verbände sahen die Gefahr, dass mit einem möglichen Wechsel der Bundesregierung im kommenden Jahr die Finanzierung infrage gestellt werde. „Das Deutschlandticket darf nicht zu einer kurzen Episode in der Geschichte unseres Landes werden. Es muss dauerhaft und preisstabil etabliert werden“, heißt es in einer Mitteilung von Gewerkschaften, Sozial-, Wohlfahrts- und Umweltverbänden sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Überdies bekräftigte das Bündnis seine Forderung nach einem bundesweit einheitlichen Sozialticket. Mit einem Standardpreis von 49 Euro sei das Ticket speziell für Familien, Kinder und Jugendliche sowie für Menschen mit geringem oder keinem Einkommen zu teuer. Darüber hinaus brauche es dringend einen Ausbau- und Modernisierungspakt für massive Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr.
Empfehlung zur Erweiterung des Angebots
Ebenfalls vor der Entscheidung hatte der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Ingo Wortmann, eine Koppelung der Preiserhöhung mit einer Angebotserweiterung empfohlen. „Wenn das Deutschlandticket teurer wird, könnte man erwägen, dass es auch hier eine Mitnahmeregelung an Wochenenden oder nach Feierabend - zum Beispiel für Kinder oder einen weiteren Erwachsenen - gibt“, schlug Wortmann vor. Allerdings könne dies nicht in Spitzenzeiten gelten. „Da sind unsere Verkehrsmittel voll.“ Die Preiserhöhung hielt er für unvermeidlich. Er schätzte den Fehlbetrag der deutschen Verkehrsunternehmen in diesem Jahr auf 3,5 bis 4,3 Milliarden Euro. „Der steigende Ausgleichsbedarf ist auch darauf zurückzuführen, dass die meisten Besitzer des Deutschlandtickets vorher ein teureres Monatsabonnement hatten, wodurch wir deutlich an Einnahmen verlieren.“
Ein Sprecher von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wies die Verantwortung für die Preiserhöhung allein den Bundesländern zu. Sie hätten sich für diesen Weg entschieden, sagte er in Berlin. Zu der Forderung der Länder nach einer Dynamisierung des Bundeszuschusses verwies der Sprecher auf die Verabredung von Bund und Ländern, wonach sie sich im Verlauf des kommenden Jahres über die weitere Finanzierung des Tickets verständigen wollen.