epd Mit den Deutschen und Loriot ist es wie mit dem alten Ehepaar und den Witzen. Das Paar erzählt sich keine Witze mehr, sie nennen sich gegenseitig nur noch Zahlen - und schütten sich dann vor Lachen aus. In Deutschland muss nur einer zu einem anderen sagen: „Das Bild ist schief.“ Sofort läuft vor dessen innerem Auge die Szene ab, wie der ältere Herr beim Warten auf die gnädige Frau im Salon versucht, das schief hängende Bild geradezurücken und aus Ungeschicklichkeit eine fatale Kettenreaktion auslöst, die schließlich in der Verwüstung des soeben noch so ordentlich aufgeräumten Zimmers endet.
Loriot, der 2011 im Alter von 87 Jahren starb, ist deutsches Kulturgut. Kaum einer hat die Deutschen so gut beobachtet und so genau gezeichnet wie er. In dem Film, den das Erste zu Loriots hundertstem Geburtstag gezeigt hat, zitiert einer der befragten Humoristen einen englischen Komiker, nach dem die Deutschen das komischste Volk der Welt seien - sie wüssten nur nicht, wie komisch sie sind. Genau das hat Loriot uns gezeigt. Der Humorist spricht als Reporter für eine Straßenumfrage eine Frau an: „Entschuldigung, ich bin vom deutschen Fernsehen ...“ Sie im Weitergehen: „Ach, das tut mir leid, ich habe gar kein Kleingeld ...“ Deutscher geht es kaum. „Loriot hat dafür gesorgt, dass wir uns nicht so tierisch ernst nehmen“, sagt der Komiker Torsten Sträter.
Dabei waren die Anfänge für Vicco von Bülow, der sich Loriot nannte, nicht einfach. Gleich eine seiner ersten Serien von Zeichnungen für den „Stern“, „Auf den Hund gekommen“, sorgte für ein „ungewöhnliches Echo bei der Leserschaft“, wie er selbst im Oktober 1953 in seiner höflich-distinguierten Art an den Schweizer Verleger Daniel Keel schrieb: „60 Prozent der Schreiber sahen sich im Heiligsten verletzt und drohten mit sofortiger Beendigung des Abonnements.“ Die empörten Leserzuschriften, aus denen der „Spiegel“ einmal zitierte, zeigen, dass in den 50er Jahren der Ton in solchen Auseinandersetzungen nicht freundlicher war als heute in den sozialen Netzwerken. Henri Nannen stellte die Serie im „Stern“ nach nur sieben Zeichnungen ein, doch Keel bestellte 44 Zeichnungen für ein Buch. Es erschien 1954 und wurde der erste Bestseller des neu gegründeten Diogenesverlags.
Im August 1956 schrieb der Verleger an Loriot: „Der Hund wirft beträchtliche Summen ab. Wenn ich Ihnen weiterhin solche Summen zahlen muss, bedeutet das den Ruin meines Verlagshauses!“ Loriot antwortete: „Ich werde in Zukunft versuchen, durch keine oder schlechte Beiträge Ihrem Verlagshaus finanziell wieder auf die Beine zu helfen.“ Die Zusammenarbeit, die ein Leben lang anhalten sollte, dürfte für beide Seiten sehr gewinnbringend gewesen sein.
In den 60ern wagte Loriot - angeregt durch Dieter Ertel, den damaligen Leiter der legendären Dokumentarabteilung des Süddeutschen Rundfunks - den Medienwechsel: Er begann, animierte Cartoons für das Fernsehen zu zeichnen und moderierte die Sendung „Cartoon“, in der deutsche und ausländische Cartoons gezeigt wurden. Dem Publikum gefielen seine feinsinnigen Moderationen. Als Ertel in den 70ern Programmdirektor bei Radio Bremen wurde, gewann er Loriot für eine neue Sendereihe. Für „Loriot I-VI“ entstanden die Sketche mit der unvergessenen Evelyn Hamann, die Fans bis heute im Schlaf nachsprechen können.
2003 schrieb Keel zum 80. Geburtstag an Loriot: „Du hast die deutsche Sprache, den deutschen Humor und damit den deutschen Menschen verändert, veredelt. Was wäre Deutschland ohne Loriot? Es wäre wie Bayreuth ohne Wagner. Wie ein einsichtiger Kritiker einmal sagte, bist du längst 'nationales Gemeingut wie Schiller und Goethe'. Für Preußen, den Rest Deutschlands und für unseren Verlag bin ich froh, dass es so gekommen ist.“
Aus epd medien 46/23 vom 17. November 2023