epd Ein Gespenst geht um in der deutschen Medienlandschaft. Es ist kaum zu greifen, doch es sorgt für Unruhe. Will der 86-jährige Medienmogul Silvio Berlusconi mit seiner Familienholding MFE nun die volle Kontrolle über den deutschen Medienkonzern ProSiebenSat.1 erlangen oder nicht? Zum jetzigen Zeitpunkt nicht, wie Sohn Pier Silvio Berlusconi (53) jüngst bei einer Pressekonferenz in Mailand bekanntgab. Doch diese Aussage ist so unverbindlich wie der Umgang der Medienaufsicht mit dem Fall undurchsichtig.
Erwartbar übte Pier Silvio Berlusconi Kritik an der Fusionsdebatte in Deutschland, die er als „politisch instrumentalisiert“ bezeichnete. Mit der Aussage, sein Vater habe „ganz sicher nichts mit ProSiebenSat.1 oder gar dem italienischen Fernsehen zu tun“, sorgte er aber für eine Überraschung. Wenn jemand in Europa für kommerziell-populistisches Fernsehen steht, dann ist es Silvio Berlusconi, auch wenn die Führung von Media For Europe (MFE) inzwischen bei seinem Sohn liegt.
In der MFE waren 2019 die Berlusconi-Unternehmen Mediaset Italia und Mediaset España verschmolzen worden. Noch unter dem Namen Mediaset war kurz vorher der Einstieg bei ProSiebenSat.1 erfolgt, damals mit 9,6 Prozent. Der Anteil wurde in der Folge erhöht. Im März 2022 meldete MFE, die Schwelle von „25 Prozent der gesicherten Stimmrechte“ überschritten zu haben. Passenderweise trat gleichzeitig eine Novelle des Bayerischen Mediengesetzes in Kraft, die der Medienaufsicht deutlich mehr Regulierungsbefugnisse gibt, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse eines Anbieters maßgeblich verändert haben.
Zu entscheiden sei, welche Konsequenzen der MFE-Anteilserwerb mit Blick auf das Bayerische Mediengesetz habe, teilte damals die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) mit, bei der ProSieben und Kabel Eins lizenziert sind. Im weiteren Verlauf des Jahres verwies die BLM immer wieder darauf, dass die Prüfung noch laufe. Mitte November meldete sich die Kontrollkommission KEK, die aus medienkonzentrationsrechtlicher Sicht ebenfalls mit dem Fall befasst war: MFE habe die Beteiligung auf 22,7 Prozent reduziert, der Holding seien die Programme von ProSiebenSat.1 derzeit nicht zuzurechnen.
Seltsam daran war, dass MFE bereits Anfang November mitgeteilt hatte, dass es über Finanzinstrumente die Beteiligung an ProSiebenSat.1 auf bis zu 29,9 Prozent der Stimmrechte ausgebaut habe. Am 19. Dezember meldete auch die BLM, dass ihr eine Anzeige für eine entsprechende Erhöhung vorliege; eine Aussage zur Prüfung nach dem Bayerischen Mediengesetz gab es indes wieder nicht. Einige Tage zuvor war zudem bekanntgeworden, dass MFE bei der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde einen Antrag auf Übernahme einer Kontrollmehrheit an ProSiebenSat.1 gestellt hatte. Die Verwirrung war damit komplett.
MFE hat den Antrag in Österreich inzwischen zurückgezogen, weist auf der Konzernwebseite aber weiter eine Beteiligung von 25,01 Prozent am gesamten Medienkonzern aus. Die BLM teilt mit, sie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für eine Prüfung nach dem Bayerischen Mediengesetz bei 22,72 Prozent der Stimmrechte noch nicht gegeben seien. In eine „erneute Prüfung“ steige sie erst ein, „wenn Höhe und Zeitpunkt der Beteiligungsveränderung bestimmbar und konkret von der Anbieterin oder MFE beziffert werden“. Diese Information kommt spät und nur auf Anfrage.
Hat MFE die Übernahme ad acta gelegt, um sich nicht durch den deutschen Rechtsgrundlagendschungel kämpfen zu müssen? Oder spielen die Berlusconis das aus Gangsterfilmen bekannte Spiel, immer dann in die U-Bahn zu springen, wenn die Polizisten gerade draußen stehen - und umgekehrt? Das ist wohl eine Frage der Perspektive.
Aus epd medien 6/23 vom 10. Februar 2023