epd Mitte Juli hat die Künstliche Intelligenz (KI) KAI bei Antenne Deutschland den Anfang gemacht. KAI moderiert Absolut Radio AI, den ersten deutschen KI-Radiosender. Wenige Wochen später folgten bei BigFM Biglayla und Bigben. Ihre Welle BigGPT trägt den Stein des Anstoßes zur aktuellen Debatte rund um Künstliche Intelligenz - ChatGPT - gleich im Namen. Beide Sender kündigten an, dass die künstlichen Moderatoren ihre Künstliche Intelligenz zum Thema machen und darüber mit den Hörerinnen und Hörern ins echte Gespräch kommen würden. Antenne Deutschland teilte mit, KAI solle aufklären und „behutsam an die neue Technologie“ - also sich selbst - heranführen.
Technik erklärt Technik, die Vermenschlichung komplexer Programme ist in vollem Gange. Bei BigFM wird Biglayla mit der charmanten Intensität eines Feel-Good-Influencers oder LinkedIn-Selbstbeweihräucherungs-Profis personalisiert: „Bei der ersten Tasse Kaffee am Morgen heißt es für mich erst einmal: Infos checken!“ - „Meine gute Laune lasse ich mir schon mal gar nicht vermiesen! Nur mit so einem Vibe kommen wir weiter und am Ende ist meine Aufgabe ganz klar: Dich zu motivieren!“ Bei so viel Tatendrang kann der geneigte Hörer beinahe froh sein, dass die KI „je nach Thema auch mal emotional“ wird und „sanftere Töne“ anschlagen kann.
Bei ihrer Vorstellung im Internet stellt Biglayla (oder BigFM?) aber auch die Kernfrage zum Thema KI-Radio: „Was wäre so ein Audiostream bloß ohne Moderationen?“
Nun, er wäre genau das: ein Audiostream. Sicher aber nicht das, was als klassisches Radioprogramm zu beschreiben wäre. Während sich KAI munter als „Zukunft des Radios“ bezeichnet, ist man bei BigFM zurückhaltender: BigGPT sei ein „öffentliches Lernlabor“, mit dem man Stammhörer nicht „verunsichern oder erschrecken“ wolle. Auch der Debatte darüber, inwiefern KI Arbeitsplätze kosten und das Medium Radio verändern wird, versucht der Sender mit seinen Antworten auf die Frequently Asked Questions transparent zu begegnen. Derzeit ist die Differenz zwischen einem KI-Audiostream und einem Radioprogramm im klassischen Sinne aber weit mehr als nur eine begriffliche Unterscheidung.
Wenn KAI etwas von sich hören lässt, ist er leicht mit einem echten Moderator zu verwechseln, das überrascht angesichts der Kürze der meisten Sprechpassagen kaum. Umfangreicher - und damit auch leichter als synthetisch zu identifizieren - sind die Wortbeiträge von Biglayla und Bigben, die mal über Videospiele, mal über das Weltgeschehen berichten. Inhaltlich ist das „locker-leicht“ aufbereitet, doch sprachlich klingt es so angestrengt, als wäre es vom Praktikanten vorgetragen, der sich bloß nicht versprechen will. Dazwischen: Plastik-Pop, Plastik-Pop-Coversongs und ein wenig Taylor Swift.
Ob so eine persönliche Bindung zwischen Hörer und „Moderator“ aufgebaut werden kann, die für das Radio so wichtig ist? „Wir werden sehen“, heißt es dazu bei BigFM. Doch die Frage drängt sich auf, warum Hörerinnen und Hörer ein KI-moderiertes Programm überhaupt einschalten sollten.
Fallen die interessante Gestaltung einzelner Sendungen und die mehr oder weniger sympathischen Moderatoren weg, bleibt ein Audiostream, der wie BigGPT damit wirbt, Mainstream-Songs zu kuratieren. Eine andere Künstliche Intelligenz kann das schon lange: Der Algorithmus mit Namen Spotify weiß genau, was gerade gehört wird, welche Bands dem Nutzer gefallen könnten, welche Alben es zu entdecken gibt. Der Unterschied zwischen diesen Playlists, KAI und Biglayla liegt darin, dass man bei Spotify von irritierenden Moderationen verschont bleibt. „In der Musikwelt ist nichts echt“, sagt KAI einmal. Sollte das auch für das Radio der Zukunft gelten, wäre es schade drum.
Aus epd medien 35/23 vom 1. September 2023