epd In den Osterferien nach Paris? Muss nicht sein, lieber stornieren. Lahmgelegter Verkehr, zugemüllte Straßen, gewalttätige Demonstranten. Sieht man ja jeden Tag in deutschen Medien. Und ist bei Paris nicht sowieso der Lack ab, seit die französische Lebensfreude durch Terror und Pandemie empfindliche Dämpfer bekommen hat? Mail an den Stadtführer Fabien, der eine Tour durch die Schauplätze der Netflix-Dramedyserie „Emily in Paris“ anbietet: Kann das aktuell überhaupt stattfinden? Der gebürtige Pariser wischt die Bedenken lässig weg. Alles kein Problem, antwortet er, die Situation sei bei Weitem nicht mehr dieselbe wie vor einigen Wochen. Mittlerweile führen Züge und U-Bahnen auch an Tagen mit Streiks und Demos. Und im Zweifel ändere er die Route leicht.
Also doch nicht stornieren, auch wenn Paris in der „Tagesschau“ immer ein bisschen an den Libanon in den 80er Jahren erinnert. Und tatsächlich: Nach problemloser Metro-Anfahrt erblicken die zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tour am Treffpunkt, dem Place de la Contrescarpe im Quartier Latin, ein Bilderbuch-Paris. Der Platz mit dem Brunnen in der Mitte wird kreisrund von Cafés und Restaurants gesäumt, deren Außenbereiche trotz verhaltener Frühlingstemperaturen gut belegt sind.
Nachdem Fabien zielsicher seine aus Frankreich, Deutschland, den USA und den Färöer-Inseln stammende Besuchergruppe zusammengeführt hat, geht es los. Kurzes Aufwärmquiz mit Fotos vom Cast der Serie, die Ende 2020 einen globalen Hype auslöste. Wer ist Team Gabriel, wer ist Team Alfie? Für Uneingeweihte: Koch Gabriel und Banker Alfie sind die Love Interests von Hauptfigur Emily, einer jungen Marketingexpertin aus Chicago, die in Paris eine übernommene Agentur auf Vordermann bringen soll und dabei mit der hochnäsigen Chefin Sylvie aneinandergerät. Habt ihr den lustigen Nerd Luc auch in „The White Lotus“ gesehen?
Und dann kommt das, worauf alle gewartet haben: Ein paar hundert Meter weiter nordwestlich biegt die Gruppe auf den Place de l'Estrapade ein, an dem das Haus steht, in dem Emily und Gabriel direkte Wohnungsnachbarn sind. Der Platz, der früher nicht im Fokus internationaler Touristen stand, wirkt trubelig, weil allerhand aufgekratzte Menschen dort mit Handys herumwedeln. Ein Foto vor der Eingangstür ist Pflicht! Fabien macht auf Wunsch gerne eins, auch von Gabriels Restaurant, das gleich nebenan liegt (und im wirklichen Leben italienisch ist). Wer in der Nähe des Platzes eine Wohnung auf Airbnb vermietet, weist selbstverständlich auf die Netflix-„Show“ hin - und ist trotz saftiger Preise über Monate ausgebucht.
Die Serie, eine Art Edelsoap mit vielen - teils spielerisch gebrochenen - Klischees, einer ordentlichen Portion Culture-Clash-Humor und sanft eingesetzten Spitzen auf Social-Media-Wahn, traf am Ende des ersten Pandemiejahres einen Nerv, indem sie das gesteigerte Eskapismusbedürfnis der Weltbevölkerung bediente. Im Dezember erschien die dritte Staffel, die vierte wird im Sommer gedreht. Doch „Emily in Paris“ komme nicht überall gut an, erzählt Fabien - insbesondere im Rathaus der Stadt nicht. So kritisierten die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo und einer ihrer Stellvertreter jüngst ein unrealistisches „Paris im Instagram-Format“, das die nötige Anpassung der städtischen Infrastruktur angesichts der Klimakrise ignoriere und damit letztlich konservativer Propaganda Vorschub leiste.
Doch wie das bei globalen Popkulturphänomenen eben so ist, kann derlei lokalpolitische Miesepetrigkeit dem Siegeszug nichts anhaben. Fabien empfiehlt, einmal den Place de l'Estrapade beim Kartendienst Google Maps aufzurufen. Google hat dort eine neue Pariser Sehenswürdigkeit eingetragen, die nun in einer Reihe mit Eiffelturm, Louvre und Arc de Triomphe steht: das „Emily in Paris Apartment (Netflix)“.
Aus epd medien 17/23 vom 28. April 2023