Plädoyer für den mündigen Zuschauer. Der "Presseclub" in der ARD

epd Täglich stellen sich Redaktionen die Frage, wie sie mit ihrem Journalismus die Leserinnen, Zuhörer und Zuschauer erreichen können. Für die Privaten gilt dies genauso wie für die Öffentlich-Rechtlichen. Gerade bei Letzteren führt die Auseinandersetzung mit dieser Frage aber häufig zu unangenehmen und in der Öffentlichkeit ausgetragenen Debatten über „die jungen Leute“ und „die Digitalisierung“, was letztlich im zwanghaften Klammern an die Idee, dass sich beinahe jede Nachricht satirisch als leicht konsumierbares Häppchen aufbereiten lässt oder lassen muss, endet.

Dabei werden die Rezipienten - also diejenigen, für die der ganze Aufwand überhaupt betrieben wird - oftmals nicht mehr als mündige Erwachsene oder überhaupt als informationsinteressierte Personen, sondern schlicht als Konsumenten wahrgenommen. Und doch ist es die ARD, die mit dem vom WDR produzierten „Presseclub“ eine Sendung im Programm hat, die jene Konsumenten dankenswerterweise zu Wort kommen lässt.

Der „Presseclub“ ist ein sehenswertes Format. Es hebt sich mit seinen meist sachlichen Diskussionen zu aktuellen Themen von anderen öffentlich-rechtlichen Talkshows ab, die am Erkenntnisgewinn kein Interesse mehr haben, sobald die Argumente der Beteiligten auf kontroverse und damit klickbare Schlagzeilen verkürzt werden können. Richtig glänzen kann der „Presseclub“ aber dann, wenn er seine bei Phoenix, WDR5 und im Netz ausgestrahlte Verlängerungs-Viertelstunde für die „Nachgefragt“-Rubrik nutzt - denn immer wieder präsentieren sich die Zuschauer als informierte Journalismus-Interessierte, die am Diskussionstisch in der Sendung ebenso gut aufgehoben wären wie manche Teilnehmer.

Ein wahres Glanzstück des interaktiven Fernsehens war die „Presseclub“-Ausgabe vom 1. Oktober. Thema der Sendung: „Feindbild statt Volkspartei: Woher rührt die Wut auf die Grünen?“ Die anwesenden Journalistinnen und Journalisten setzten sich in ihrer Debatte auf der Suche nach den Fehlern der Grünen erst recht spät mit der eigentlichen Kernfrage im Sendungstitel auseinander. Und während zumindest Jan Fleischhauer gerne Bierzelt-Rhetorik bemüht (die Grünen seien „eine Partei, die wahrscheinlich mehr als alle anderen Parteien einen harten ideologischen Kern hat“) und ganz im Sinne einer Social-Media-Diskussion argumentiert („Meine Erfahrung, so!“), sind die Anrufer bestens aufgelegt.

Einer moniert, dass die deutsche Bevölkerung als alte Gesellschaft anfällig für Populisten sei, und fragt, ob diese Gesellschaft angesichts wichtiger Veränderungen überhaupt reformfähig sei. Ein anderer meint, dass den Grünen ein fachlich überzeugendes Konzept zu richtigen Ideen fehle. Und eine Frau, die laut eigener Aussage 85 Jahre alt ist, trägt eine präzise Medienkritik vor und bricht nebenbei eine Lanze für das duale Mediensystem: Obwohl sie „nur“ einen Hauptschulabschluss habe, habe sie das viel kritisierte Gebäudeenergiegesetz verstanden. Dass es viele nicht verstanden hätten, sei auch Schuld der Medien gewesen. „Ich bin darauf angewiesen, dass ich die öffentlich-rechtlichen Sender sehen kann. Ich kann mir eine Zeitung nicht dauerhaft leisten. Und ich finde, die Medien sind nicht dazu da, Kaffeesatz zu lesen, sondern zu informieren.“

Nun geht es gar nicht um das subjektive Empfinden darüber, welchen Aussagen zuzustimmen ist oder nicht. Und selbstverständlich gibt es - wie bei den am „Presseclub“ teilnehmenden Journalisten - auch Anrufer-Argumente, bei denen man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte. Doch gerade deswegen ist der „Presseclub“ immer wieder ein Plädoyer dafür, die Leser, Zuhörer und Zuschauer einmal ernst zu nehmen, in direkten Kontakt zu treten und sich vom Gedanken zu verabschieden, dass den Rezipienten alles vorgekaut werden müsse.

Aus epd medien 45/23 vom 10. November 2023

Christopher Hechler