epd Was man dem „Aktuellen Sportstudio“ lassen muss: Es geht ins Ohr. Kaum eine Fernseh-Titelmelodie hat sich derart ins kollektive Gedächtnis eingebrannt wie die flotte Jazzphrase „Up to Date“ von Thomas Reich, erstmals im Juli 1965 live aufgeführt von der Max Greger Big Band. Da kann bestenfalls noch der „Tatort“ der ARD mithalten. Die ZDF-Sportsendung am Samstagabend selbst ist noch etwas älter als ihre bis heute aktuelle Titelmelodie: Premiere war am 24. August 1963, dem ersten Spieltag der damals neu gegründeten Fußball-Bundesliga.
Mit 60 Jahren auf dem Buckel darf sich „Das aktuelle Sportstudio“ zu Recht als „TV-Klassiker“ bezeichnen, zumal 1964 mit dem Torwandschießen ein unverwüstliches Ritual eingeführt wurde, das es in die Alltagskultur geschafft hat. Ihre beste Zeit hat die Show aber hinter sich. In den Siebzigern war das Sportstudio nicht nur up to date, es war sogar weit voraus: Hanns Joachim Friedrichs, ein politischer Journalist, wurde Moderator und später sogar Sportchef. Er ließ die Show auch mal von außergewöhnlichen Typen wie dem Kabarettisten Werner Schneyder moderieren.
Die wahre Revolution ereignete sich aber am 3. Februar 1973. Da moderierte erstmals eine Frau eine Fußballsendung im deutschen Fernsehen: Carmen Thomas. Kaum zu glauben, aber bei der ARD dauerte es noch bis 1999, ehe Anne Will als Erste in die Phalanx männlicher „Sportschau“-Moderatoren einbrach.
Im Weltbild der meisten Männer in jener Zeit hatten Frauen in der Fußballwelt nichts zu suchen - oder nur als Zielscheibe von Spott und sexistischen Sprüchen. Das Paradebeispiel lieferte 1970 „Das aktuelle Sportstudio“ selbst, als Moderator Wim Thoelke Ausschnitte eines Spiels des deutschen Frauen-Nationalteams mit abwertenden Kommentaren garnierte. „Er hat sich mal bei mir dafür entschuldigt“, sagt Carmen Thomas in einem filmischen „Rückblick“, den das ZDF zum 60-jährigen Bestehen der Sportsendung produziert hat. Der Film versammelt natürlich auch die lustigsten Momente aus sechs Jahrzehnten: Vom frechen Affen, der einer Dame die Perücke vom Kopf riss, bis zum stummen Boxer, der auf keine Interviewfrage antwortete.
Die vom WDR abgeworbene Journalistin Carmen Thomas sorgte zudem mit einer erfrischenden Bloßstellung für einen legendären medienkritischen Moment im live gesendeten Sportstudio: In ihre zweite Show brachte sie eine aktuelle Ausgabe der „Bild am Sonntag“ mit. Das Boulevardblatt des Springer-Verlags hatte darin einen kalt geschriebenen Verriss („Charme allein genügt nicht, Frau Thomas!“) ihrer Show veröffentlicht, die noch gar nicht gesendet worden war - ein dreister, ziemlich peinlicher Fehler. Alle hätten ihr geraten: „Leg dich nicht mit denen an“, erinnert sich Thomas, der „Bild“ dann auch nach einem ebenso berühmten wie harmlosen Versprecher („Schalke 05“) noch einmal die Titelschlagzeile widmete.
Und heute? Auf der Höhe der Zeit zu sein, würde bedeuten, dass sich eine öffentlich-rechtliche Sportshow nicht brav einreiht ins Dauerfeuer der Bundesliga-Berichterstattung an jedem Wochenende. Sondern eigene Akzente setzt, neue Blickwinkel eröffnet, überraschende, vielleicht sogar originelle Ideen ausprobiert. Zu selten gelingt die Ausnahme von der Regel, in deren Ablauf sich solide Spielberichte mit harmlosen wohlmeinenden Studio-Interviews abwechseln. „Das aktuelle Sportstudio“ ist ein Kind der Bundesliga geblieben. Bis 2025 darf das ZDF noch als erstes Medium eine frei empfangbare Zusammenfassung des sogenannten Topspiels am Samstagabend liefern. Aber ohne dieses Recht stünde der Klassiker ziemlich blank da.
Aus epd medien33/23 vom 18. August 2023