epd „Ob es dir gefällt oder nicht, meine Schöne, du musst es erdulden.“ Diese Aussage richtete der russische Präsident Wladimir Putin Anfang Februar 2022 an die Ukraine, um das Land auf Verpflichtungen aus den Minsker Abkommen hinzuweisen - zwei Wochen vor Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar. Den Satz, der von allen staatlichen Medien Russlands verbreitet wurde, übernahm Putin aus einem obszönen Liedchen aus dem vergangenen Jahrhundert, das in Männergruppen verbreitet war.
Die Politikwissenschaftlerin Lisa Gaufman sieht das als Beispiel für den gezielten Einsatz von Geschlechter-Stereotypen, um die Ukraine herabzusetzen. „Dies ist eigentlich eine Fortsetzung des Narrativs, dass die Ukraine eine schwache Frau ist und akzeptieren muss, was Männer ihr sagen“, sagt die Forscherin, die in Tübingen promoviert hat und an der Universität Groningen lehrt. Eine ähnliche Rhetorik sei in Russland in sozialen Netzwerken bereits 2014 nach dem Beginn der Kämpfe in der Ostukraine zu beobachten gewesen.
Die ukrainische NGO „Detector Media“ hatte im September einen Bericht dazu veröffentlicht, wie der Kreml Desinformationen verbreitet. Demnach werden ukrainische Frauen im Kontext des Krieges oft beleidigend als „Khokhlushki“ bezeichnet - als Prostituierte, die vermeintlich Krankheiten verbreiten. Aktuell berichten russische Medien, dass die Ukraine angeblich Prostituierte einsetzt, um Informationen zu erhalten und Sabotage zu organisieren. Eine Schlagzeile in dem Pro-Kreml-Boulevardmedium „Life.ru“ lautete: „Prostituierte für besondere Zwecke: Wie der ukrainische Geheimdienst Frauen rekrutierte, um gegen die Russen zu arbeiten“. Eine Moderatorin der beliebten Talkshow „60 Minuten“ im TV-Sender Rossija machte sich über ukrainische Frauen lustig, die in traditioneller Kleidung für einen Kalender fotografiert wurden, um Spenden für die Armee zu sammeln: Diese verdienten Geld mit etwas, das sich in ganz Europa bewährt habe.
„Im Jahr 2014 war ein Narrativ über drei Schwestern - Russland, die Ukraine und Belarus - in russischen sozialen Netzwerken beliebt: dass zwei Schwestern gut sind und die Ukraine eine Prostituierte ist, die Männer zu sich holt“, erklärt Gaufman. „Und jetzt wird es so dargestellt, als ob Russland sie rettet.“ Nach Meinung der Politikwissenschaftlerin wurde dieses Narrativ zusammen mit der Behauptung, dass alle Ukrainer Nazis seien, von der russischen Propaganda effektiv instrumentalisiert: Die russische Bevölkerung solle so davon überzeugt werden, dass die Krim annektiert und Truppen in die Ukraine geschickt werden mussten.
„Das Narrativ des Nationalsozialismus baut auf aggressiver Männlichkeit auf. Und wenn der Nazismus männlich ist und gefürchtet werden muss, dann braucht man eine elende Frau nicht zu fürchten, sie muss gerettet werden“, sagt Gaufman. Ihr ist zudem aufgefallen, dass nicht nur die Ukraine feminisiert wird, sondern auch die USA und ihre Politiker. Europa werde als Reich der Homosexualität - als „Gayropa“ - dargestellt.
Anna Sidorewitsch, Forscherin für Feminismus- und Geschlechtergeschichte in Paris, sieht ähnliche Trends. Ihrer Meinung nach steht jetzt die Idee der Entnazifizierung der Ukraine in der russischen Propaganda im Vordergrund, Geschlechtermetaphern blieben aber weiter präsent. „Die Propaganda betont viel, dass Selenskyj ein Schauspieler ist, dass er durch westliche Länder reist und bettelt“, sagt Sidorewitsch. Diese erniedrigende Sprache ziele in erster Linie darauf ab, sein Versagen als Leader und Mann zu zeigen. Selenskyj werde als schwach dargestellt, weil er „einen frivolen, nicht männlichen Beruf“ habe und angeblich nur ein Clown sei.
Aus epd medien 8/23 vom 24. Februar 2023