epd Der WDR-Rundfunkrat wurde in seinem Newsletter, den er nach der Sitzung am 23. Februar 2022 verschickte, für seine Verhältnisse sehr deutlich. Das Gremium hatte lange „kritisch“ über die Pläne der ARD-Programmdirektion diskutiert, die Talkshow mit Sandra Maischberger künftig nicht nur einmal, sondern zweimal die Woche zu senden. Zwar stimmte der Rundfunkrat dem neuen Vertrag mit der Moderatorin schließlich zu, doch er hielt fest: „Das Gremium steht einer Erhöhung der Anzahl von Talkshows im Ersten grundsätzlich kritisch gegenüber und forderte den WDR auf, in den nächsten Monaten ein alternatives Konzept zu erarbeiten, wie der Sendeplatz am Dienstagabend nach Ende der Vertragslaufzeit 2023 strategisch sinnvoll gefüllt werden kann.“
Selten äußern sich Aufsichtsgremien so kritisch zur Programmgestaltung im Ersten. Fast auf den Tag ein Jahr später hat sich der Rundfunkrat am 24. Februar erneut mit der Talkshow von Maischberger beschäftigt. Aber diesmal hörte sich das ganz anders an: Die mit der Evaluation beauftragten Mitglieder, die SPD-Politikerin Gabriele Hammelrath und Michael Wenge, Hauptgeschäftsführer der Bergischen Industrie- und Handelskammer Wuppertal-Solingen-Remscheid, sprachen von einer „gewinnbringenden Vertiefung“, einem „selten langweiligen Ablauf“ und einer „hohen Sorgfalt bei der Auswahl der Gäste“.
Das mag ja alles stimmen, doch hatte das Gremium nicht vor einem Jahr sehr deutlich festgestellt, dass vier Talkshows im Ersten grundsätzlich zu viel sind? Und was ist aus dem geforderten Alternativkonzept geworden?
Auf Nachfrage teilte uns der Vorsitzende des Rundfunkrats Rolf Zurbrüggen mit, die Vorlage eines Alternativkonzepts sei „im Rahmen der Evaluation des neuen Formats der Sendung 'Maischberger' durch den Programmausschuss nicht mehr thematisiert worden“. Der Programmausschuss sei zu dem Ergebnis gekommen, „dass das angepasste Konzept der Sendung mit der zusätzlichen Ausstrahlung am Dienstagabend gelungen ist“. Nur in wenigen Punkten habe der Ausschuss noch „Optimierungsmöglichkeiten“ formuliert, dies betreffe die Diversität der Gäste und „die Dominanz politischer gegenüber gesellschaftlichen Themen“.
Mit anderen Worten: Einer Verlängerung des Vertrags mit Maischberger für die zwei Termine dürfte in diesem Gremium nichts mehr im Weg stehen. Die „kritische“ Diskussion vom Vorjahr ist offensichtlich vergessen, ebenso wie die Frage, ob man am Dienstagabend nicht auch anderes zeigen könnte, womöglich dokumentarische Formate. Ein Fall von kollektiver Amnesie?
Man könnte sich jetzt ausmalen, wie die Vertreter des Programmausschusses nach Berlin fuhren, um sich die Aufzeichnung der Sendung aus der Nähe anzuschauen, und dort von der professionellen Atmosphäre und vom Charme der Moderatorin nachhaltig beeindruckt waren. Man könnte spitzzüngig anmerken, dass Gerhart Baum - stellvertretendes WDR-Rundfunkratsmitglied - recht häufig Gast bei „Maischberger“ ist, wo der meinungsfreudige und kluge FDP-Mann auch stets eine gute Figur macht.
Doch das Problem sitzt tiefer: In Gremien, die so zusammengesetzt sind wie die Rundfunkräte, neutralisieren sich die unterschiedlichen Interessen stets so, dass eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber dem Objekt der Aufsicht nie lange Bestand hat. Und am Ende ist das Aufsichtsgremium, das als Tiger gesprungen ist, mal wieder als Bettvorleger gelandet.
Den Sender freut das natürlich. Auf unsere Fragen zum Alternativkonzept und zur Vertragsverlängerung erhielten wir die stereotype Antwort aller Medienunternehmen, die das Wort Transparenz zwar stets vor sich hertragen, aber tief im Inneren wenig davon halten: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu weiteren Details nicht öffentlich äußern.“
Aus epd medien 10/23 vom 10. März 2023