epd Am Ende wird der externe „Klimabericht“ zur Unternehmenskultur im NDR literarisch. Eine Parabel erzählt die Geschichte des einst so stolzen Senders in floralen Metaphern, inspiriert von der Selbsteinschätzung vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als „NDR-Gewächs“. Dabei wird ein großer historischer Bogen aufgespannt: „Als das Land noch in Trümmern lag, bauten sie ins Herz der großen Stadt ein Gewächshaus. Es sollte ein Ort der Hoffnung werden, auf eine neue, eine bessere Zeit.“
Hans-Ulrich Cyriax, Mitautor des Berichts, schildert in der Parabel, wie die Nachfolger des ersten Obergärtners „Hugo Grün“ (Hugh Greene) das schöne „Haus für alle Menschen der Stadt und des ganzen Landes“ langsam herunterwirtschafteten. Das Ergebnis: „Große Teile des Gewächshauses waren zugewuchert. Es war kein Durchkommen mehr. Viele Pflanzen nahmen sich gegenseitig das Licht. Die kläglichen Versuche, auf kleinen freien Flächen neue Kulturen anzubauen, waren missglückt (...).“
Ob NDR-Intendant Joachim Knuth, der den Bericht nach Vorwürfen gegen mehrere Führungskräfte in Auftrag gegeben hatte, sich dieses Fazit in vollem Umfang bewusst gemacht hat? In der Pressemitteilung des NDR zum „Klimabericht“ ließ er sich mit dem Satz zitieren: „Da wird einem der Spiegel vorgehalten und es gibt Ansichten, die nicht schön sind.“ Später hieß es in der Mitteilung, Führungskräfte würden „ebenso kritisiert wie gelobt“.
Wer sich den 100 Seiten starken Bericht durchliest, erkennt sehr wenig Lob für Führungskräfte im NDR. Diese seien mit der Wucht der Veränderungen überfordert, heißt es etwa. Viele Mitarbeiter hätten keinerlei Vertrauen in die Geschäftsleitung, deren Rhetorik werde als empathielos bewertet. Kritiker hätten oft das Gefühl, ihre Kritik werde nicht ernst genommen. Ein Mitarbeiter trifft die Aussage: „Ich übernehme die Verantwortung für die Unzuverlässigkeit meines Chefs.“ Neben dem häufig anzutreffenden individuellen Unvermögen nimmt der Bericht auch die überaus komplizierte, über Jahrzehnte gewachsene Struktur des Senders in den Blick. Die „immense Binnenkomplexität“ mit starren bürokratischen Prozessen lasse viele oft „verzweifeln“.
Nun könnte man mit Niklas Luhmann sagen, dass sich solche Systeme gern unabhängig von intentionalem menschlichen Handeln bilden. Dennoch stellt sich auch die Frage nach persönlicher Verantwortung. Wenn es in dem Bericht etwa heißt, dass es bereits 2018 in einer Befragung Kritik am „autoritär-direktoralen Führungsstil“ der damaligen Hamburger Landesfunkhaus-Chefin Sabine Rossbach gegeben habe - warum hat Knuths Vorgänger Lutz Marmor, NDR-Intendant von 2008 bis 2020, das so laufen lassen? Jobst Plog, der den Sender von 1991 bis 2008 leitete, nannte die Bestandsaufnahme „alarmierend“ - dabei fiel der Beginn des digitalen Wandels, der laut Bericht so viele Probleme verursacht, genau in seine Amtszeit.
Knuth, seit der Amtsübernahme im Jahr 2020 eher unauffällig, gebührt immerhin das Verdienst, mit der Veröffentlichung des Berichts die Missstände öffentlich gemacht zu haben. Er muss nun umsteuern. Vieles von dem, was das aus sechs Personen bestehende Team um den Manager und Theologen Stephan Reimers zusammengetragen hat, lässt sich übrigens mühelos auf andere ARD-Anstalten und teils auch auf andere Unternehmen aus der Branche übertragen - beispielsweise die Zwei-Klassen-Gesellschaft aus festen und freien Mitarbeitern. Der NDR-Rundfunkrat bezeichnete den unter http://u.epd.de/2jmw abrufbaren Bericht als „mutigen Schritt in die richtige Richtung“ und kündigte an, die Aufarbeitung aufmerksam zu beobachten. Wie schon beim RBB sind wir also wieder beim Thema Gremienkontrolle gelandet. Dass auch hier eine deutliche Veränderung stattfinden muss, sollte den Mitgliedern des Rundfunkrats bewusst sein.
Aus epd medien Nr. 14-15/23 vom 7. April 2023