Liebenswertes Durchwurschteln

VOR-SICHT: „Loving Her“, sechsteilige Serie, Staffel 2, Regie: Eline Gehring, Buch: Marlene Melchior (Hauptautorin), Olivia Lauren Requat, Kamera: Valentin Selmke, Produktion: Madefor Film (ZDF-Mediathek ab 25.8.23; ZDFneo, 3.9.23, 20.15-21.10 Uhr und 10.9.23 ab 20.15-21.05 Uhr)

epd Die zweite Staffel der Serie „Loving Her“ beginnt mit einer Bilanz: „Fünf Jahre Berlin, ein abgeschlossenes Studium, 600 Euro Kaltmiete, zwölf gescheiterte 'Situationships', aber ich war immer noch Hanna.“ Hanna (Banafshe Hourmazdi) ist mittlerweile 28, lebt in einer coolen Wohnung, deren Hauptmieter gerade nach Kanada zieht, arbeitet beim angesagtesten queeren Szenemagazin Berlins, „Spice“, und könnte folglich erst einmal zufrieden sein mit den Entwicklungen.

Ist sie aber nicht. Ihr alles überlagerndes Lebensgefühl in den sechs neuen Folgen ist Angst. Angst, nie die lesbische Liebe ihres Lebens zu finden. Angst, keinen Plan zu haben für die nächsten, vermutlich entscheidenden Jahre ihres Lebens. Angst, noch immer nicht zu wissen, was sie eigentlich will, welche Frau sie will, welche Zukunft, wofür es sich lohnt zu kämpfen und wofür nicht.

Für eine Frau, die immer wieder vor den überraschenden Wendungen ihrer eigenen Geschichte wie vor einem Scherbenhaufen steht, geht es Hanna insgesamt allerdings erstaunlich gut. Denn sie ist charmant, attraktiv, sexy, begehrt - und ihr Voiceover, das immer wieder die schlimmsten Fauxpas kommentiert, punktet mit anziehender Komik. Ihr liebenswertes Durchwurschteln ist ihr hervorstechendster Zug. Und sie ist queer, eine queere Person of Color.

Die Leichtigkeit, die „Loving Her“ trotz der „schweren“ Themen auszeichnet, hätte eigentlich schon für die erste Staffel Auszeichnungen bedeuten müssen, allerdings ist die Serie eine Adaption der niederländischen Serie „Anne+“. Die Adaptionsdebatte hat dazu geführt, dass hierzulande zwar die erste Serie mit ausschließlich männlich schwulen Hauptrollen, „All you need“, mit Preisen bedacht wurde, aber das ungleich plastischere und lebendiger geschriebene, gespielte und gedrehte „Loving Her“ mit seinen fast ausschließlich lesbischen Rollenprofilen leer ausging.

Dabei ist eine der wichtigsten Mitspielerinnen, die Stadt Berlin mit ihren (Sub-)Kulturen, Kiezen und Gemeinplätzen, eben keine Adaption - genauso wenig wie Hanna, ihre Freundinnen Franzi (Lena Klenke) und Alma (Jobel Mokonzi), ihr Freund Tobi (Leonard Kunz), der jungsmarte Redakteur Sammi (Max Schimmelpfennig), Kollege Felix (Justus Riesner), die Verlegerin Josephine (Karin Hanczewski) oder Hannas ältere, lebensweise Freundin Miriam (Robin Gooch).

Gerade als Hanna zu Beginn der ersten Folge dieser zweiten Staffel bilanziert, dass ihr Liebesleben gen null tendiert, lernt sie die Frau ihrer Träume kennen: Isabel (Annick Durán Kandzior) ist ehemalige Sterneköchin, betreibt einen veganen Foodtruck und Cateringservice - Triggerwarnung: In dieser Staffel wird andauernd auf höchst sinnliche Weise mit vielen Ahs und Ohs geschlemmt -, ist zielstrebig, weltoffen, beliebt. Ein Volltreffer. Allerdings hat sie (noch) eine andere Beziehung.

Während in der ersten Staffel jede einzelne Folge einer anderen Kurzzeitbeziehung Hannas („Situationship“) gewidmet war, geht es nun sechs Folgen lang um Isabel. Sowie um die scheinbaren Fähigkeiten aller anderen, ihr Leben in den Griff zu bekommen, während Hanna den epischen Fehler unsterblich Verliebter macht: sich mit einer anderen zu trösten, weil das eigentliche Subjekt der Begierde unerreichbar scheint, und sich anschließend in ein immer komplizierteres Lügengebilde zu verstricken.

Auch bei „Spice“ ist die Realität alles andere als rosig. Eine ominöse, über jeder Entscheidung wie ein Fallbeil dräuende „Chefredaktion“ hebt und senkt ihre Daumen über Hannas Texte, lockt mit einer Printkolumne, beschließt Rausschmiss, lässt Hanna zurückholen. Ihre Autorinnenkarriere ist auch nicht das, was sie sich vorgestellt hat.

„Loving Her“ ist schnell geschnitten und oft unerwartet komisch - eine der besten „Instant Fiction“-Serien, die ZDFneo bislang hervorgebracht hat. Die Probleme, die Hanna umtreiben, sind manchmal genau die „Quarterlife“-Krisen-Ereignisse, die in der München-Serie „Servus Baby“ verhandelt werden. Auch in „Loving Her“ spielt dieses Mal der Kinderwunsch eine Rolle. Franzi will Eizellen für eine Schwangerschaft einfrieren lassen und erfährt, dass es für sie schwer werden könnte, biologische Mutter zu werden. Dass Hanna ihre intime Geschichte für einen Artikel ausschlachtet, führt zum Bruch zwischen den Freundinnen.

Die On-und-Off-Liebesbeziehung zu Isabel erinnert wiederum an Carrie Bradshaws „Mr. Big“. Eine gewisse Ähnlichkeit zu „Sex and the City“ wird sogar thematisiert: Hanna träumt kurz vor der eigenen Kolumne davon, die erste „queere Carrie Bradshaw zu werden“. Und Hanna zu bleiben.

„Loving Her“ bleibt auch in der zweiten Staffel sehenswert. Die Serie ist ebenso emotional offenherzig wie „Para - Wir sind King“ (Kritik in epd 18/21). Jobel Mokonzi, hier Hannas Freundin Alma, spielt dort in einer größeren Rolle die ebenfalls queere Fanta. Und wer vielleicht nur mal in „Loving Her“ reinschauen möchte, sollte die Szenen, in denen Hanna die erkrankte, ältere und queere Miriam in der Kur besucht und mit ihr über das Leben und die Liebe als lesbische Person sinniert, ansehen. Banafshe Hourmazdi und die großartige Robin Gooch sind hier einfach umwerfend.

Aus epd medien 34/23 vom 25. August 2023

Heike Hupertz