VOR-SICHT: „Die Zukunft ist ein einsamer Ort“, Thriller, Regie: Martin Hawie, Laura Harwarth, Buch: Martin Hawie, Laura Harwarth, Kamera: Mathias Prause, Produktion: Hupe Film Fiktion (ZDF, 21.8.23, 0.35-2.10 Uhr)
epd So halbherzig überfällt Frank (Lucas Gregorowicz) den Geldtransporter, zu dessen Sicherheitspersonal auch sein entgeisterter Schwager gehört, und so bereitwillig lässt er sich anschließend von der Polizei verhaften, dass eigentlich nur eine Schlussfolgerung möglich ist: Der Mann hat es darauf angelegt, ins Gefängnis zu kommen. Stoisch erträgt er dort die entwürdigende Inspektion aller Körperöffnungen und bezieht seine trostlose Zelle. Emotionslos lässt er die Worte des Gefängnisdirektors (Daniel Drewes) an sich abperlen („Fünf Jahre ist 'ne lange Zeit“), die Frage nach Familienangehörigen beantwortet er knapp mit: „Nur noch meine Schwester.“ Lediglich ein Foto scheint ihm wichtig zu sein, er bittet darum, es behalten zu dürfen.
Was Frank antreiben könnte, enthüllt dann ein Dialog beim Küchendienst: Er fragt einen schwarzen Mithäftling, der als Moslem im „Araberhaus“ untergebracht ist, ob er „den Boss von denen“ kenne - und wirkt nicht sonderlich beeindruckt, als ihm geraten wird, sich von jenem Fuad (Denis Moschitto) fernzuhalten. Auch die Warnung eines anderen Insassen, des gefährlich nervösen Miki (Slavko Popadic), sich nicht „mit den Falschen“ anzufreunden, ficht ihn nicht an. Stattdessen eröffnet er Fuad beim Hofgang, in dessen Drogengeschäfte einsteigen zu wollen. Prompt wird er von Miki und dessen Kumpan Walter (Ronald Kukulies), der deutschen Dealer-Konkurrenz, in der Dusche überfallen und zusammengeschlagen.
Die dichte Schilderung des desolaten Alltags in der Justizvollzugsanstalt ist die große Stärke von „Die Zukunft ist ein einsamer Ort“. Der für das Kleine Fernsehspiel gedrehte 95-Minüter, der 2021 auf einigen Festivals lief und nun in der Reihe „Shooting Stars“ TV-Premiere feiert, verdient durchaus die Etiketten Genrefilm und Knastthriller. Meisterlich verstehen es Buch, Regie und Kamera, die JVA als Mikrokosmos permanenter Bedrohung zu zeichnen. Gewalt bedingt Gegengewalt, die Monotonie der Abläufe steht im Kontrast zu dem untergründigen Gefühl, dass die Lage jederzeit eskalieren könnte. Ob beim Hofgang, beim Küchendienst, in der Dusche oder im Treppenhaus - überall lauert Gefahr, die Wärter sind überfordert, und Frank muss einstecken.
Die Frage, ob der eher feingliedrige Protagonist ungeachtet seiner speziellen Mission überhaupt in der Lage sein wird, in diesem Umfeld zu überleben, hält zusätzlich die Spannung hoch - bis etwa zur Halbzeit des Films eine Rückblende sein bis dahin nur unbestimmt erahntes Rachemotiv enthüllt: Seine Frau und Tochter starben bei einem Verkehrsunfall, den Fuad mit rücksichtlos überhöhter Geschwindigkeit verursachte. Der Täter beging Fahrerflucht, aber Frank erkannte ihn und will ihn nun töten.
Die einzigen Ansätze von Empathie in dieser testosterongeladenen Männerwelt steuert die einzige Frauenfigur bei: Schließerin Susanna (Katharina Schüttler). Sie verbindet Frank die Wunden, gibt ihm Tipps und bald auch einen Kuss: „Ich weiß, man kann sich hier sehr einsam fühlen. Wir sind hier genauso eingesperrt.“ Offenkundig selbst verzweifelt wegen eines Suizids in der JVA, den sie nicht verhindern konnte, unterhält sie ein Sexverhältnis mit Fuad und schmuggelt dessen Drogengeld nach draußen. Einmal sitzt sie vor ihrem Spind und telefoniert wegen eines Beratungstermins für einen Schwangerschaftsabbruch.
Lange gelingt es Katharina Schüttler, ihre Susanna in einer rätselhaften Schwebe zu halten. Irgendwann aber wird die nicht mehr erklärbare Gefühls- und Motivationslage ihrer Figur zum Problem des Films. Warum sie sich unvermittelt umentscheidet, das Kind bekommen will und gemeinsam mit Fuad und Frank aus dem Gefängnis flieht(!), erschließt sich nicht. Soll es sich um eine Kurzschluss-Rebellion gegen ein entmenschlichtes System handeln? Mit dem Verlassen des Hauptschauplatzes verliert „Die Zukunft ist ein einsamer Ort“ im letzten Drittel leider auch einen guten Teil seiner Überzeugungskraft.
Sympathiepunkte gebühren dem Duo Martin Hawie und Laura Harwarth, die schon beim Gewaltdrama „Toro“ zusammenarbeiteten und hier erstmals gemeinsam Regie führten, für ihren Stilwillen und die Kompromisslosigkeit, mit der sie das düstere Versprechen des Titels umsetzen und zum Finale noch 'ne Schippe drauflegen. Gelegentlich erinnert Frank in seinem verzweifelten Rachedurst sogar an den von Matthias Brandt verkörperten traumatisierten Fahrlehrer in Jan Bonnys mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Thriller „Wir wären andere Menschen“ (Kritik in epd 30-31/20) .Dessen psychologische Stringenz wird hier aber nicht erreicht.
Aus epd medien 33/23 vom 18. August 2023