Humor auf kleiner Flamme

VOR-SICHT: „Gäste zum Essen“, Komödie, Regie und Buch: Carolin Otterbach, Kamera: Heinz Wehsling, Produktion: Network Movie (ZDF-Mediathek, ab 7.9.23, ZDF, 14.9.23, 20.15-21.45 Uhr)

epd Komödien, besonders in ihrer Kammerspielvariante, beziehen ihren Stoff gemeinhin aus Standardsituationen mit Standarddialogen, die unerwartete Wendungen nehmen. Der Witz zündet für gewöhnlich in der brisanten Differenz von antrainierter Höflichkeit und echten Ressentiments. Lebensentwürfe und Lebensrealitäten werden gegeneinander abgewogen. Statt Herzlichkeit bricht sich Gehässiges Bahn. Je nach Abzweigungen des Geschehens und den Menschenbildern des schreibenden Demiurgen kann es zynisch-entlarvend enden oder aufgeklärt-versöhnlich.

Zum Beispiel: Treffen sich zwei Ehepaare zur häuslichen Essenseinladung. Die Frauen kennen sich von der Uni, haben sich ewig nicht gesehen. Jetzt ist die eine Vollzeitmutti mit „Herdprämie“, die andere Karrierefrau. Ihre Männer finden eigentlich alles prima. Oder? So gesehen in „Zur Hölle mit den anderen“ (ARD/SWR). Oder in „Der Spalter“ (ZDF, Kritik in epd 48/22): Ungefragt lädt sich ein ätzender Vorgesetzter zum Grillen ein. Flirtet die Nachbarin an, redet alle klein, bringt Lebenslügen an die Oberfläche und Niedrigkeiten zum Blühen Oder: Irgendwas ist mit den Kindern, das die zivilisierten, intellektuellen Erwachsenen auf privatem Boden durch Reden aus der Welt schaffen wollen. Was harmlos beginnt, wird zur Zimmerschlacht. „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza, verfilmt von Roman Polanski, ist Goldstandard dieser Konstellation.

Packt das Fernsehen, insbesondere das öffentlich-rechtliche mit seiner Relevanzverpflichtung, diese Komödienart an, scheitern selbst Grimme-Preisträgerinnen. Zu harmlos und „mehrwertverpflichtet“, um scharf zu sein, zu „anschlussfähig“ gebunden, um grotesk sein zu dürfen, köchelt hier der Humor oft auf allzu kleiner Flamme. Viele Filme dieser Art scheitern daran, dass das Geschehen sich nicht aus dem Witz der Charaktere und dem resultierenden Clash der Kulturen ergibt, sondern erst der Clash geplant wird und dann die dazu passenden Charaktere zurechtgeschnitzt werden.

So ist es auch in der ZDF-Komödie „Gäste zum Essen“ (Buch und Regie: Carolin Otterbach). An der Besetzung gibt es wenig zu mäkeln. Neda Rahmanian (Soraya) und Matthias Koeberlin (André) geben die wohlsituierten Fabers. Sie haben Monika (Josefine Preuß) und Viktor Popov (Maximilian Grill) zum Gastmahl eingeladen. Vordergründig, damit man sich endlich mal kennenlernt. Hintergründig, um die Beziehung zwischen ihrer jugendlichen Tochter Mila (Hannah Schiller) und dem Popov-Sohn Leon (Paul Sundheim) zu hintertreiben.

Sind Milas Noten nicht erst in dem halben Jahr abgerutscht, in dem sie mit Leon zusammen ist? Hat sie sich nicht kürzlich ein Tattoo stechen lassen? Später stellt sich heraus, dass Leon Klassenprimus ist und Mitschülern Nachhilfe gibt. An ihm kann es also kaum liegen, dass Mila im Dauerstreit mit ihren Eltern liegt. Überhaupt wirkt Leon, als die jungen, frisch getrennten Leute auf halber Strecke des Chaosmahls endlich erscheinen, sympathisch-unauffällig. Im Gegensatz zur rebellischen Mila, die ihren Amateur-Sternekoch-Vater (hier hat Koeberlin seine Momente) als Veganerin im Regen stehen lässt.

Zwölf oder mehr Weingläser auf dem Tisch für vier Personen, Amuse-Bouches, die Viktor herzhaft zugreifend allein verschlingt, seine Frau auf Zwanzig-Euro-Plateau-Heels mit himmelblauem, blockstreifenartig aufgetragenem Lidschatten. Kultivierte Lebenslügenverschleierung hier, die vermeintliche Authentizität derer, die kaum über die Runden kommen, dort. Das hätte sogar in den Details noch dicker aufgetragen werden können, damit es das aufklärerische Potenzial des Witzes aktiviert. Solcher „Kulturclash“ lebt von der Übertreibung der Darstellung, vom Tabubruch. Die Fabers leben in einer Riesenvilla mit Pool und importierten Mammutbäumen, die Popovs kommen aus der Hochhaussiedlung. Sie ist im Supermarkt - ein Witz, der nicht zündet - von der Kassiererin zur Käsetheke aufgestiegen. Er ist Gärtner? Daran wirkt, insbesondere in Hamburg, nichts absurd.

Soraya gibt die Snobistische. André solle doch seine Uhr ablegen, schließlich wolle man, trotz allem, was sie insgeheim an Konfrontation plant, den Popovs nicht zeigen, dass ihr Mann das Jahresgehalt dieser Leute am Handgelenk trage. Rahmanians zur Schau getragene Rollen-Schnippischkeit genau so wie Preuss' späterer Ausbruch angesichts der Seitensprünge ihres Mannes, der zufällig mit der anwesenden polnischen Haushälterin fremdgeht, wirken mehr drehbuchgetrieben als aus dem Leben gegriffen.

Es fehlt noch das wirklich große Drama der Geschichte: die ungeplante Schwangerschaft Milas und der Streit der jungen Leute. Der Humor hört auf, der „Mehrwert“ beginnt. Lebensentwürfe, Zukunftshoffnungen, Pleiten und Charakterstärken kommen aufs Tapet. Jetzt geht es um Männer- und Frauenrollen. Um Erniedrigte und Benachteiligte, um die „Unsichtbaren“, die sich um den Dreck der anderen kümmern. Monika und Viktor gehen sich an die Gurgel, sie beharrt auf Selbstbestimmung, betont die Mühsal von Erwerbs- und Care-Arbeit, er entpuppt sich als lügnerischer Dummbeutel mit Neandertaler-Ansichten.

André gesteht seine Erektionsstörungen, Soraya ihre sexuelle Unzufriedenheit, bald gehen die Frauen milieuübergreifend miteinander feiern (mit Haushälterin), die Männer scheitern mit ihrer Motorradspritztour auf nächtlicher Landstraße und wirken trotz Lederjacken (Viktor mit Adiletten) lächerlich. Das Ende sieht eins der Paare erschöpft an der Bushaltestelle.

Da ist der Film schon lang nicht mehr komisch. Am Ende tun diese Leute einem hauptsächlich leid. Schadenfreude will sich nicht einstellen. Man kann sie alle verstehen. André, dessen Kochleidenschaft sich als Verwöhn-Kompensation herausgestellt hat. Sorayas sexuelle Frustration und ihr Gefühl, auch beruflich zu kurz zu kommen. Monikas Erschöpfung angesichts ihrer Versuche, die Familie zusammenzuhalten. Leons Verwirrung, als Teen Vater zu werden. Milas Liebesdefizit und ihre Freude aufs Baby. Man wünscht allen das Beste, außer Sex-Falstaff Viktor, aber diese Rolle wirkt ohnehin lebensfremd. „Gäste zum Essen“ beginnt als Komödie und landet als Mitleidsdramen-Bettvorleger.

Aus epd medien 35/23 vom 1. September 2023

Heike Hupertz