VOR-SICHT: „Ich bin! Margot Friedländer“, Dokudrama, Regie: Raymond Ley, Buch: Raymond Ley, Hannah Ley, Kamera: Martin L. Ludwig, Dirk Heuer, Produktion: Ufa Documentary (ZDF, 7.11.23, 20.15-21.45 Uhr)
epd Margot Friedländer, die zwei Tage vor der Ausstrahlung des Dokudramas „Ich bin! Margot Friedländer“ ihren 102. Geburtstag begehen kann, entstammt einer jener bürgerlichen jüdischen Familien in Berlin, die in den 30er Jahren nicht daran glauben mochten, dass sich die Nazis politisch durchsetzen würden und Hitler „sich hält“. Ihr Vertrauen in einigermaßen stabile deutsche Verhältnisse, die Ausschlägen nach rechts standhalten, die Aufrüstung begrenzen und die Menschlichkeit letztlich verteidigen würden, war zu tief, um rechtzeitig eine Flucht ins Ausland vorzubereiten.
Vielen ist es wohl auch zu schwer gefallen, ihr Leben in Deutschland, so wie sie es sich eingerichtet hatten, aufzugeben und an einem anderen Ort neu anzufangen. Meist waren das säkulare, gut integrierte Juden, deren Väter vielleicht schon im Ersten Weltkrieg auf der Seite des Deutschen Reiches gekämpft hatten und die ihren Kindern keine jüdische Identität mehr nahelegten. So sagte auch der Vater Margot Bendheims zu seinen Kindern: „Wir sind doch Deutsche. Hitler ist ein Gespenst.“ Er würde sich „nicht halten“ und der ganze Nazispuk bald vorbei sein.
Diese in der deutschen Kultur beheimatete jüdische Modellfamilie hat im Jahr 1978 ihre dramatisierte Form als „Familie Weiss“ in der US-Serie „Holocaust“ erfahren. Die TV-Serie war weltweit erfolgreich und hat ihren Titel „Holocaust“ (ein lateinisch-griechisches Mischwort, das so viel bedeutet wie „ganz verbrannt“) als Bezeichnung für die im Nazijargon sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ in die Sprache unserer Nachkriegszeit gepflanzt.
Dass jetzt im deutschen Fernsehen eine Produktion zu sehen ist, die eine jüdische Familie vorstellt, die gern in der deutschen Gesellschaft ihren Platz behalten hätte, nachdem sie ihn gefunden hatte, ist sehr zu begrüßen. Diese Familie Bendheim gab es wirklich. Und das Wunder ist: Ihre Tochter Margot Friedländer lebt noch. Die Holocaust-Überlebende ist dem deutschen Fernsehpublikum aus Interviews und Dokumentationen bekannt, aber in dieser Verfilmung ihres Lebens von Raymond Ley kommt es ihr, ihrem Schicksal und auch dem Naziterror so nahe wie sonst selten.
„Dokudrama“ heißt ja, dass man eine Geschichte erzählt bekommt (Drama), die von Schauspielern gestaltet wird, es heißt aber auch, dass man „echten Menschen“ begegnet, wie es in Dokumentarfilmen geschieht (Doku), und dass auch echtes Material aus Archiven herangezogen wird. So geschieht es bei „Ich bin! Margot Friedländer“. Die Reenactments nehmen gegenüber den dokumentarischen Passagen einen größeren Platz ein, und dennoch herrscht insgesamt eine wunderbare Ausgewogenheit. Wer bezweifelt, dass diese Hybridform ihr ganz besonderes Eigenleben besitzen kann, wird hier eines Besseren belehrt.
Der Regisseur Raymond Ley hat die richtige Entscheidung getroffen, den Film strikt aus der subjektiven Perspektive der Hauptfigur Margot Friedländer zu erzählen. Er hat dafür Julia Anna Grob als Darstellerin der jungen Margot gewonnen, das trägt zum Gelingen des Projekts viel bei. Er hat auch für die nach New York emigrierte Margot, die dann schon älter ist, mit Ilona Schulz eine gute Besetzung gefunden.
Margots Geschichte beginnt, als die gerade 20-Jährige erlebt, wie ihre Familie zerfällt. Erst verschwindet der Vater, dann die Mutter, die dem Bruder folgt, der von den Greifkommandos der Nazis verschleppt wurde. Margot ist plötzlich allein. Sie klopft bei einer Tante an, aber die schüttelt den Kopf. Es gibt jedoch Menschen, die sich der Judenhatz entgegenstemmen: Ein Kommmunist ist dabei, eine Bohemienne. Margot nimmt solche Angebote wahr. So schafft sie es, während des Krieges ein Jahr und drei Monate zu überleben - von Versteck zu Versteck. Sie muss auch mal was dafür tun - die Wohnung putzen und anderes. Sie ist jung und sehr hübsch.
Wenn dann die dokumentarischen Sequenzen kommen und die echte Margot heute erzählt, wie das damals war, dann verteidigt sie ihre Helfer, die immerhin ihr Leben für sie riskiert haben. Auch die jüdischen „Greifer“, die von der Gestapo gezwungen wurden, ihre Glaubensgenossen zu verpfeifen und der Verfolgung preiszugeben, werden von ihr ein Stück weit exkulpiert.
Da Regisseur Ley die strikt subjektive Perspektive wahrt, bleiben die Fernsehzuschauer von Archivmaterial, das Führerreden und Aufmärsche zeigt, weitgehend verschont. Hitler ist nur zwei mal zu sehen. Es sind kurze Sequenzen, die belegen, wie äußerlich solche Machtdemonstrationen für jemand wie Margot Friedländer waren, wie wenig sie und die Ihren daran glaubten, dass es mit dem Dritten Reich und seinem mörderischen Antisemitismus ernst werden würde.
Zu Anfang sieht man Margot (wunderbar ausagiert von Julia Anna Grob) bei Theaterproben des Jüdischen Kulturbundes, wie sie beim Fundus und in der Kostümschneiderei tätig ist und in kleinen Rollen glänzt. Da gibt es auch einen Herrn Friedländer, der ihr zulächelt. Es folgen der Terror und der Untergrund mit all seinen Gefahren. Eine Freundin aus dem Kulturbund, sie heißt Stella (Luise von Finckh), übt Verrat, auch sie wird von Margot Friedländer nicht verurteilt. Der Film zeigt, wie Stella von einem Nazi zusammengeschlagen wird, er geht dabei sehr weit. Das ist nötig. Auch der Terror muss erscheinen, muss Bild werden in diesem Film.
Das Versteckspiel währt nicht ewig. Im Frühjahr 1944 wird Margot verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebt. Wie auch Herr Friedländer, den sie wiedertrifft und der um ihre Hand anhält. „Ich war nicht verliebt“, sagt sie. Aber sie wollte weiterleben und neu beginnen in Amerika: „Es hat lange gedauert, bis wir Menschen geworden sind.“ In dem Dokudrama treten TV-Stars wie Charly Hübner, Axel Prahl und Iris Berben in kleinen Rollen, quasi als „Gäste“ auf und erweisen so der Holocaust-Überlebenden die Ehre.
Die nun über Hundertjährige gehört zu jenen Juden und Jüdinnen, die nach Krieg und Holocaust wieder zurückkommen konnten nach Deutschland. Der Film erzählt, dass eine Freundin in Amerika das nicht versteht. Aber Margot lässt sich nicht beirren und geht 1997 nach dem Tod ihres Mannes den Schritt. Sie sagt einmal mit Bezug auf den Holocaust, man habe „es sich nie vorstellen können. Nie, nie nie.“ In dieser Verweigerung, das absolut Böse zu akzeptieren, spricht sich die Hoffnung aus, dass es die Menschlichkeit sein könne, die über die Gewalt den Sieg davonträgt.
Die junge Margot hat während des Krieges, der Verfolgung und der Zeit im KZ aus dieser Hoffnung die Kraft bezogen, weiterzuleben. Und dass der Mensch Margot Friedländer hier und heute immer noch anwesend ist, mit wachem Geist und bezauberndem Antlitz, erscheint wie ein Zeichen, dass Hoffnung immer sein dürfe. Es ist das außerordentliche Verdienst von Raymond Ley und seinem Team, dieses Antlitz, diese Frau und ihre Geschichte durch die Filmkunst für uns und die Zukunft bewahrt zu haben.
Aus epd medien 44/23 vom 03. November 2023