VOR-SICHT: „Like a Loser“, achtteilige Serie, Regie: Facundo Scalerandi, Buch: Sandra Schröder, Jonas Heicks, Kamera: Borris Kehl, Produktion: ITV (ZDFneo, ab 14.3.23 jeweils dienstags 21.45-22.25 Uhr, ab 10.3. in der ZDF-Mediathek)
epd Schule oder Ausbildung sind abgeschlossen, doch bezahlbare Wohnungen sind rar, und es ist ja auch ganz praktisch, dass Mutter kocht und wäscht: Das ist das Nesthocker-Phänomen. Es gibt aber noch eine zweite Variante des „Mammismo“: Der Nestling hat sich zwar zum Ästling weiterentwickelt, kehrt jedoch ins Hotel Mama zurück, weil er an der Welt gescheitert ist - davon erzählt „Like a Loser“. Damit von vornherein klar wird, wie demütigend die Gesamtsituation für den 30-jährigen Julian Beil (Ben Münchow) ist, wird er gleich in der Auftaktszene von seiner Mutter (Johanna Gastdorf) beim Onanieren überrascht.
Zum eigentlichen Thema kommt die Auftaktfolge jedoch erst zum Schluss: Julians große Schulliebe Marie (Tinka Fürst) eröffnet ihm, dass er seit 15 Jahren Vater ist. Der Junge heißt Ernst (Diyar Ilhan), was zum Glück nur bei den Episodentiteln als Vorlage für müde Wortspiele genutzt wird („Aus Spaß wurde Ernst“). Viel witziger ist Julians Erkenntnis, dass er seinen Sprössling längst kennengelernt hat, denn er ist dem Jungen schon ein paar Mal über den Weg gelaufen, und diese Begegnungen waren eher unersprießlich - vor allem für Ernst.
Also beginnen die beiden noch mal von vorn, und siehe da: Sie verstehen sich prima, weil Julian, der vom Land in die große Stadt gezogen ist, um dort Karriere zu machen, im Grunde selbst noch ein Teenager ist. Natürlich hat sich an seinen Gefühlen für Marie nichts geändert, selbst wenn sie ihm damals das Herz gebrochen hat, aber im Gegensatz zu ihm ist sie erwachsen geworden. Deshalb tut er nun alles, um sie davon zu überzeugen, dass er Verantwortung übernehmen kann.
Aus diesem Kern, für den die französische Serie „Irresponsable“ eine Vorlage war, entwickeln die Drehbücher von Sandra Schröder und Jonas Heicks immer wieder überraschende Handlungsideen. Um sich den Platz an Maries Seite zu sichern, muss Julian erst mal einen Konkurrenten loswerden. Zum Glück weiß er Ernst dabei auf seiner Seite: Marie ist Lehrerin an jenem Gymnasium, das auch sie und Julian einst besucht haben, und der Nebenbuhler ist ihr Chef. Für Ernst ist es schon schlimm genug, ein Lehrerkind zu sein, als Kind des Rektors wäre er bei den Mitschülern endgültig unten durch. Dummerweise entpuppt sich Guideon Stöfgen (Tom Beck) als ziemlich cooler Typ, der Julian sogar einen Job als Leiter der Band-AG anbietet. Aber als der Musiker hört, wie die Schüler „Smoke on the Water“ malträtieren, lehnt er dankend ab.
Das Drehbuchduo nutzt jede sich bietende Gelegenheit, um Julian mit allen möglichen peinlichen Situationen zu konfrontieren, das sichert ihm ein gewisses Mitgefühl. Trotzdem ist er nicht automatisch Sympathieträger, da er auch einen unangenehmen Opportunismus offenbart: Bevor er erfährt, dass Ernst sein Sohn ist, will ihm der Junge helfen, seinen Sprössling zu finden. Ein möglicher Kandidat ist ausgerechnet der Mitschüler, der Ernst zu seinem Lieblingsopfer erkoren hat, und Julian zögert keine Sekunde, das Mobbing mitzumachen.
Die eigentliche Geschichte der von Facundo Scalerandi temporeich umgesetzten Serie spielt sich hinter den komischen Szenen ab, denn Julian muss sich natürlich wandeln, um nicht nur von Marie, seinem Sohn und seiner Mutter, sondern auch vom Publikum ernst genommen zu werden.
Auf spezielle Weise erzählt „Like a Loser“ tatsächlich eine Art Heldenreise, selbst wenn die Hauptfigur ein Held von eher trauriger Gestalt ist. Trotzdem stellt sich Julian mannhaft den diversen Aufgaben, für die er über seinen Schatten springen muss. Dazu zählt nicht nur die Einsicht, dass Marie bei Guideon offenbar besser aufgehoben ist, sondern auch die Versöhnung mit Maries Mutter. Dass die Frau von Victoria Trauttmansdorff als bösartiger Drache verkörpert wird, passt ins Heldenbild.
Das Ensemble ist gut zusammengestellt. Ben Münchow, der die Slapstick-Herausforderungen sehr souverän meistert, hat schon die Zeitschleifenserie „Another Monday“ (2022, ZDFneo) bereichert, und für Johanna Gastdorf ist Mutter Dagmar eine Paraderolle. Den schwierigsten Part unter den erfahrenen Profis hat Diyar Ilhan, der das jedoch fabelhaft macht. Er trägt Ernsts Kommentare mit herzerfrischender Trockenheit vor und spielt auch die vielen Enttäuschungen überzeugend, die der Junge erlebt, als er sich auf seinen Vater einlässt. Tiefpunkt der Beziehung ist eine Hausparty, die Julian veranstaltet, damit der Sohn endlich bei der aus der Ferne angeschmachteten Lea (Sira Anna Faal) landen kann. Aber deren Interesse gilt ausgerechnet seinem Erzeuger.
Die Serie glänzt mit vielen witzigen Ideen: Wenn es Julian wieder mal nicht gelingt, der Wahrheit ins Auge zu sehen, erzählen kurze schwarz-weiße Rückblenden, wie es wirklich war. Viele Gags funktionieren lakonisch: Weil Julian beim Pinkeln am Straßenrand keine Anstalten macht, einem Traktor mit Mähbalken auszuweichen, zerschreddert das Gerät seine Sachen. Und als er irgendwo sitzt und ein bisschen vor sich hin klampft, wirft ihm eine mitleidige alte Frau einen Pfandbon in den Gitarrenkasten. Ernst jobbt in einem Supermarkt namens „Land-Kauf“ und auch dieses Wortspiel hat seinen tieferen Sinn: Scalerandi hat mal einen Werbespot für Kaufland gedreht.
Aus epd medien 10/23 vom 10. März 2023