VOR-SICHT: „Polizeiruf 110: Little Boxes“, Krimi, Regie: Dror Zahavi, Buch: Stefan Weigl, Produktion: Ariane Krampe Filmproduktion (ARD/BR, 17.9.23, 20.15-21.45 Uhr)
epd Johanna Wokalek, die neue Kommissarin im „Polizeiruf 110“ aus München, ist nach Verena Altenberger und Matthias Brandt zweifellos wieder eine erstklassige Besetzung. Und die von Wokalek gespielte Cris Blohm, die nach mehreren Auslandseinsätzen zur Münchener Polizei wechselt, ist eine sympathische, vielversprechende Figur. Doch „Little Boxes“, ihr erster Fall, bei dem es um einen Mord im Uni-Milieu geht, ist leider eine geschwätzige und handlungsarme Satire zum Thema Diversität.
Die neue Kommissarin ist ein sonniges Gemüt. Sie lächelt viel, lässt sich kaum provozieren und wirkt immer neugierig und offen. Eine Menschenfreundin. Auch auf ihren wortkargen neuen Kollegen Otto Ikwuakwu (Bless Amada) geht sie entschlossen zu. Langsam taut das Eis zwischen der zierlichen Weißen im legeren Outfit und dem groß gewachsenen Schwarzen im Maßanzug. Noch schneller warm wird Otto Ikwuakwu mit Dennis Eden (Stephan Zinner), der auch nach Verena Altenbergers Ausscheiden im „Polizeiruf“-Team geblieben ist. Weiße Frau, schwarzer Mann und ein Bayer mit Bierruhe - mehr Diversität geht kaum.
Behauptet auch die Polizei: „Bunter als du denkst“, so lautet die PR-Kampagne, für die sich Kommissarin Blohm in Uniform fotografieren lässt. Damit sollen mehr Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen angeworben werden. „Vielfalt ist so wichtig“, flötet Pressesprecher Wendelin Georgi (Matthias Bundschuh) ins Mikrofon einer BR-Journalistin. Doch als die keck nachfragt, ob die Polizei ein Problem mit alten weißen Männern habe, grätscht Polizei-Vizepräsidentin Beatrix Grandl (Christiane von Poelnitz) in scharfem Ton dazwischen: „Das fragt ausgerechnet jemand vom Bayerischen Rundfunk.“ Durchaus witzig, wie hier gleich zu Beginn die neue Begeisterung für das Schlagwort „Diversität“ aufs Korn genommen wird.
Das Thema wird in der Folge als absurdes gesellschaftliches Theater vorgeführt, in dem sich die Beteiligten hinter ideologischen Mauern in ihrer „little box“ verschanzen und mit Worthülsen aufeinander schießen. Das gilt vor allem für das Uni-Milieu, in dem Blohm und Ikwuakwu das Umfeld des Opfers ausleuchten. Auf dem Rücken der nackten Leiche von Dr. Dawoud Alrashid (Lucas Janson), einem wissenschaftlichen Mitarbeiter am Institut für Postcolonial Studies, fand sich das mit Blut geschriebene Wort „Rapist“. Ob Alrashid wirklich ein Vergewaltiger war, lässt sich aber nicht so leicht ermitteln.
Denn bei den Befragungen in Alrashids WG und erst recht im Institut treffen Blohm und Ikwuakwu auf lauter Parolenschleudern, zumeist Frauen, die eine gestelzte Formel nach der anderen herbeten und die Polizei ohnehin ablehnen. Abgesehen von dem mulmigen Gefühl, dass sich der Teil des Publikums, dem die zu Recht eingeforderte Sensibilität gegenüber Rassismus und Sexismus lästig ist, begeistert auf die Schenkel klatscht, bleibt bei dieser Satire auf „Wokistan“ (Dennis Eden) schlicht die Spannung auf der Strecke. Jede Dialogszene ein vielsagender Schlagabtausch. „Bitte nicht noch einen Vortrag“, sagt Kommissarin Blohm irgendwann genervt. Dem kann man nur zustimmen. Was Drehbuchautor Stefan Weigl in dem Kinokammerspiel „Zeit der Kannibalen“ formidabel gelang, bleibt hier formelhaft und blutleer.
Wenn nach gut 50 Minuten Otto und Dennis zu „Ebony and Ivory“ Arm in Arm durchs Büro tanzen, atmet man erleichtert auf. Auch Johanna Wokalek gibt später noch eine kleine Tanzeinlage (zu „Smooth Gaga“ von Iboss), die als Insel der Leichtigkeit willkommen ist. Es gibt durchaus treffende Pointen, und wer Aphorismen mag, kommt auf seine Kosten, denn auch das ermittelnde Trio von der Polizei tut sich da hervor. „Subtil bringt nicht viel“ ist wohl der beste Kommentar zu dem Film. In den letzten Minuten wird es zwar noch einmal spannend, aber der Kern der Geschichte ist längst unter einem Berg an Worthülsen begraben. In der beachtlichen Regie-Karriere von Dror Zahavi („Zivilcourage“, „Kehrtwende“, „Tatort: Franziska“) nimmt dieser „Polizeiruf“ nicht den ersten Rang ein.
Dem neuen Team kann man nur bessere Stoffe wünschen. Da ist noch vieles möglich mit der unkonventionellen Cris Blohm. Johanna Wokalek spielt diese offenbar alleinstehende Frau auf eine verschmitzte und unerschrockene Art. Schön wäre auch, wenn es beim Münchener Dreigestirn bliebe und Bless Amada den klugen schwarzen Kommissar Ikwuakwu nicht nur in einer Episode spielt, in der es um Diversität geht.
Aus epd medien 37/23 vom 15. September 2023