Der Witz ist weg

VOR-SICHT: „Endlich Witwer - Über alle Berge“, Fernsehfilm, Regie: Martin Enlen, Buch: Sathyan Ramesh, Kamera: Philipp Timme, Produktion: Bavaria Fiction (ZDF, 1.5.23, 20.15-21.45 Uhr und in der ZDF-Mediathek)

epd Als im Mai 2019 der Kunstrasenfabrikant Georg Weiser (Joachim Król) in „Endlich Witwer“ seinen ersten Auftritt im ZDF hatte, konnte man die Figur des lebensbilanzierenden Hinterbliebenen als großen tragikomischen Wurf betrachten. Kaum war Weisers Frau nach 30 Jahren beidseitig verschuldeter Ehehölle entschlafen, riss der neue Witwer von der zynischen Gestalt die 70er-Jahre-Vorhänge herunter, entledigte sich der schweren Möbel, die ihm nie gefielen, und schmiss die Ergebnisse jahrzehntelangen schweigenden Konsumkompromisses vor die Tür. Im Kühlschrank lagerte bald mengenweise eiskaltes Bier - die Leidenschaft für Bier findet sich auch im dritten „Endlich Witwer“-Film wieder.

Meckernd und polternd zog Weiser sein bitteres Fazit, höchstens gestört durch die neue, diesmal nicht kostenlose (weil angetraute) Haushälterin (Anneke Kim Sarnau). Menschenfeind war er auch, und das Verhältnis zu den Kindern Gerd (Tristan Seith) und Susanne (Friederike Kempter) schien inexistent bis grotesk.

Joachim Król glänzte als Groll auf zwei Beinen, gab seinem Georg Weiser aber von allem Anfang an Zwischentöne, die klarmachten: Dieser Mann liegt vor allem mit sich selbst im Argen. Er wäre liebend gern ein anderer geworden, hat aber durch die Ehe mit der für ihn falschen Frau, die Verantwortung für Betrieb, Kinder und Haus im Grünen und grundsätzliche Kleinmütigkeit sein Erwerbsdasein hindurch ein Korsett getragen, das ihn selbst am schwersten beschädigt hat (Kritik in epd 19/19).

Das Drehbuch von Martin Rauhaus gab Weiser Sätze, die Enttäuschung, Angriffslust und Komik gelungen balancierten, die Regie von Pia Strietmann gab Król Raum, menschlich zu wirken. „Endlich Witwer“ war traurig und witzig zugleich. Eines war klar: Sollte diese Figur nicht im „Ekel Alfred“-Modus verbleiben, musste sie Gas geben, um das Steuer herumzureißen in der Rentner-Lebensspanne, die heutzutage als „Best Ager“-Zeit beschönigt wird.

„Endlich Witwer“ war nicht zuletzt ein Publikumserfolg. Kein Krimi, und trotzdem mehr als ansehnliche Quoten. Die Komödie mit Tiefgang übertraf die Erwartungen des Senders.

Im zweiten „Endlich Witwer“-Film von 2022, betitelt „Forever Young“, traf Georg Weiser auf Jugendfreunde aus seiner „Sponti“-Phase und kam 30 Jahre verspätet endlich mit Petra (Martina Gedeck) zusammen (Kritik in epd 14-15/22). Aber auch bei den Alternativen war viel Illusion. Die Aussteiger (darunter Peter Lohmeyer als Jürgen) kamen selten dazu, so anders zu sein, wie sie gern sein wollten. „Endlich Witwer - Forever Young“ war immer noch humorvoll, aber dieses Mal war ein Gutteil Schadenfreude dabei. Georg Weiser war nun der, der davonkam. Und zum Schluss endlich den alten Camper repariert hatte, mit dem er zur Weltreise aufbrach.

Im aktuellen Film kommt auf dem Weg zur nachgeholten Unbekümmertheit wieder etwas dazwischen. Dieses Mal strandet Georg Weiser auf La Gomera, nachdem ihm am Hafen von Gran Canaria die geflüchtete Soleil (Dela Dabulamanzi) die Jacke mit Handy und sämtlichen Papieren gestohlen hat. Auf der spanischen Polizeiwache gibt Weiser den Wutbolzen und beschimpft den Chef als „Reserve-Franco“. Auf der Flucht aus dem Knast trifft er wiederum Aussteiger (Katja Studt, Jürgen Tarrach und Nina Vorbrodt), die sich als Öko-Besserwisser entpuppen und über die Einheimischen in überheblicher Weise herziehen.

Nicht mit Georg Weiser, der zwar viel vom Nörgeln versteht, aber in diesem Film nun unter der ruppigen Schale ein humanistisch laut schlagendes Herz verbirgt, gegen Rassismus ist, aber manchmal ungeschickt argumentiert. Bei einer langen, staubigen Wanderung über die Insel an der Seite von Soleil durchläuft er einen steilen Lernprozess, der Joschka Fischer neidisch machen dürfte.

Leider wirkt dieses Mal der polternde Anticharme des Helden über weite Strecken wie bloßes Mittel zum Zweck, der im geschmeidigen Transport antirassistischer und toleranzfördernder Botschaften besteht. Soleil und Weiser schenken sich verbal kaum etwas - bemerkenswert und auch erstaunlich für den Charakter eines „alten weißen Mannes“, der im Ursprungsfilm kaum die Zähne auseinanderbekam, und wenn, dann nur zur Herabsetzung des Gegenübers. Soleils Überlebenskraft bewundert dieser neue Weiser offen.

Der Besuch bei einer Hundertjährigen, die immer noch um ihren von Francos Schergen umgebrachten Verlobten trauert, lässt Weiser förmlich dahinschmelzen und wieder einmal seine Prioritäten neu justieren. Während der herbeizitierte Gerd am Flughafen feststeckt - und sich der schwule Stuntman Büffel (Denis Schmidt) in ihn schockverliebt, was in einer wunderbaren Freundschaft mündet -, üben sich Soleil und Weiser in kritischen Scharmützeln. Er hört sogar ihrem Monolog zu: „Zeigt auf uns und nennt uns Geflüchtete, Notleidende, Farbige, Etikett Opfer. Oder armer, gefährlicher Flüchtling. Ihr seid Aussteiger, Auswanderer, Touristen, Retter, Entdecker. Seit Jahrhunderten kommt ihr zu uns und klaut: unsere Musik, unsere Mode, unsere Schönheit, unsere Kultur, unsere Arbeitskraft, unser Wissen. Schätze, Öl, unseren Fisch. Aber uns, die Menschen, die wollt ihr nicht.“ Sie durchschaut ihn. Er habe warme Augen, aber darunter sei Wut, Trauer, Wut, Trauer, „wie ein Schichtkuchen“.

Der Witz ist weg. In „Endlich Witwer - Über alle Berge“ geht es um Toleranz, um Verständnis für Geflüchtete, um ihr Stranden am Rand von Europa, um bewussten und unbewussten Hass auf den oder die anderen. Wichtige Themen. Georg Weiser aber ist nun keine überspitzte Type mehr, sondern Stellvertreter. Sein Lernprozess soll unser Lernprozess werden. Das Buch von Sathyan Ramesh sucht das Versöhnliche. Die Inszenierung von Martin Enlen macht aus der knorrigen Tragikomödie einen Wohlfühlfilm, in dem Joachim Król nur noch ein paar seltsame sperrige Momente gegeben werden.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, auch nicht im Fernsehfilm. Georg Weiser auf Schmusekurs, eine halbe schwule Liebesgeschichte bei Gerd und ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus - das ergibt weder Komödie noch Tragödie, sondern eine gut gemeinte Geschichte, deren Teile nicht zusammenpassen.

Aus epd medien 17/23 vom 28. April 2023

Heike Hupertz