Betrogene Betrüger

VOR-SICHT: „Der neue Freund“, Fernsehfilm, Regie: Dustin Loose, Buch: Frédéric Hambalek, Kamera: Clemens Baumeister, Produktion: Hager Moss Film (ARD/SWR, 25.10.23, 20.15-21.45 Uhr, ab 20.10. in der ARD-Mediathek)

epd Ein Dreipersonenstück ist in Wahrheit öfter mal ein Sechspersonenstück, weil sich im Verlauf der Handlung zeigt, dass alle eine Art Doppelleben führen beziehungsweise anders sind, als sie scheinen. So auch die drei Dramatis Personae in „Der neue Freund“ von Frédéric Hambalek (Buch) und Dustin Loose (Regie). Die scheinbar vermögende Witwe Henriette (Corinna Harfouch), am Bodensee zu Hause, lädt ihre Tochter Johanna (Karin Hanczewski), die in München als Medizinerin wirkt, zu sich ein, um ihr als Überraschung einen neuen Partner vorzustellen: den hübschen jungen Philipp (Louis Nitsche), der ihr Sohn sein könnte.

Alle drei sagen das eine und denken das andere. Henriette weiß, dass die Tochter noch am verstorbenen Vater hängt und einen „Nachfolger“ zumindest skeptisch aufnehmen würde. Aber sie tut so, als könne die Tochter jetzt nicht anders, als ihr alles Gute zu wünschen, nach dem Motto: „Everybody loves a lover.“ Johanna ihrerseits ist verwirrt, ja fast verstört, versucht aber, die Fassung zu wahren, und ist doch zugleich überzeugt, dass Philipp ein Betrüger ist und die Mutter nur ausnutzen will. Philipp schließlich möchte sich mit der rechtmäßigen Erbin gut stellen, scheint aber verletzt und empört, als Henriette erwägt, die geplante Hochzeit aufzuschieben. Wie hängt das alles zusammen, wer übertölpelt hier wen und wo steckt die Wahrheit?

Diese Zwei- oder Dreipersonendramen, angelegt als Maskenspiele, in denen das Publikum immer wieder mit neuen Facetten der Persönlichkeiten auf der Bühne respektive vor der Kamera konfrontiert wird, sind beliebt und inzwischen ein eigenes Genre. Alterndes, aber noch lebenshungriges Weib, junge, ein bisschen verklemmte und misstrauische Frau sowie ein jugendlicher Hasardeur, der vor allem seinen Vorteil sucht, was man ihm aber nicht übelnehmen kann. Hambalek und Loose spielen diese Konstellation auf das Feinste durch, alle Variationen kommen vor. Mal scheint Henriette naiv, dann wieder wissend, mal ist Johanna nur realistisch, dann wieder im Gestern verhaftet, mal glaubt man Philipp seine Liebe zu Henriette, dann wieder argwöhnt man, dass sich in seiner Engelsgestalt ein Teufel verbirgt - und am Schluss ist man so schlau wie am Anfang.

Die Menschen haben nun einmal verschiedene Gesichter, sie spielen einander gern etwas vor, und man tut gut daran, nicht immer alles, schon gar nicht die Wahrheit, wissen zu wollen. „Der neue Freund“ ist eine Komödie, die Spannung herstellt, sowie ein Dramolett, in dem es ans Eingemachte geht und die Beteiligten auch mal so tun, als seien sie zu allem fähig. Oder tun sie nicht nur so? Das bleibt offen, das rückt das Stück in die Nähe der Farce. Immer wieder siegt zwischendurch die Bereitschaft, Menschlichkeit auch da zu akzeptieren, wo sie die Bösartigkeit streift. Das ist nur mit Humor möglich, und davon hat dieser Film glücklicherweise genug.

Die Dialoge überhöhen nichts, banalisieren nichts, sie bleiben beiläufig und alltsgsnah, so soll es sein. Die Regie experimentiert nicht herum, sie überlässt den Akteuren das Feld, führt sie zurückhaltend. Die beiden Schauspielerinnen Corinna Harfouch und Karin Hanczewski sind sichtlich in ihrem Element. Sie spielen ein Mutter-Tochter-Paar, das sich nie so richtig verstanden hat, und natürlich kommt im Laufe der Geschichte so manches alte Missverständnis zur Sprache. Dann wieder legen die beiden einen pas de deux zu einem alten Hit hin, der auf schöne Weise zeigt, dass sie doch miteinander können und füreinander da gewesen sein müssen.

Der Intruder Philipp hat in der Tat gelogen, was sein Vorleben betrifft, er hat keine Bar besessen, er war nur Barkeeper, außerdem Brandstifter und lebt von Hartz IV. Louis Nitsche spielt diesen charmanten Loser sehr überzeugend. Klar hat er kalkuliert, dass er nach der Eheschließung mit Henriette ausgesorgt haben würde, aber er hat sie trotzdem auch gern. Ebenso klar setzt er seine erotischen Reize ein, als es ihm darum gehen muss, Johanna, die ihn durchschaut, auf seine Seite zu ziehen. Doch am Schluss sind alle miteinander betrogene Betrüger oder entlarvte Spieler.

Aus epd medien 42/23 vom 20. Oktober 2023

Barbara Sichtermann