VOR-SICHT: „Wir haben einen Deal“, Fernsehfilm, Regie: Felicitas Korn, Buch: Marie-Helene Schwedler, Felicitas Korn, Kamera: Julian Krubasik, Produktion: Rat Pack Filmproduktion (Arte/ZDF, 20.10.23, 20.15-21.45 Uhr)
epd Frank (Felix Klare) joggt durch den Wald. Sportlich und durchtrainiert sieht dieser Mann in den ersten Szenen des Fernsehfilms „Wir haben einen Deal“ aus. Wie einer, der sich im Griff hat. Zwischendurch blitzen weniger harmlose Erinnerungsbilder auf. Ein Kind rennt durch denselben Wald, im Fußballdress. Es rennt nicht für die Fitness, es rennt offensichtlich in großer Angst vor jemandem weg. Vermutlich wird es verfolgt, oder es will sich verstecken. Als Frank zum Ende seiner Laufrunde kommt, wäscht er sich die Hände. Auffällig lang, aber das sagt für sich noch nichts aus in diesem bemerkenswert ruhig erzählten Film.
Vielleicht ist der Mann ein Sauberkeitsfanatiker. Vielleicht will er den Moment, in dem seine Mutter nun im bayerischen Dorf zu Grabe getragen wird, hinauszögern. Vielleicht will er noch für sich sein, mit seiner Trauer, bevor er mit Bruder Christian (Shenja Lacher) zusammentrifft. Vielleicht geht es aber auch um ganz anderes.
Irgendetwas stimmt nicht, das machen brutale Erinnerungsbilder, das machen das allmählich Gewissheit enthüllende Drehbuch von Marie-Helene Schwedler und die behutsame, aber immer deutlichere Inszenierung von Felicitas Korn klar. Das Unbehagen, das sich beim Zusehen sofort anschleicht, liegt aber vor allem an Felix Klares Schauspiel, an der differenzierenden Psychologie seiner Figur Frank, in der von Anfang an viel mitschwingt: der Wunsch nach Selbstüberwindung, Ohnmacht, Bitterkeit, Angst und Scham.
Am Rand des Friedhofs lehnt im Hintergrund des Bildes lässig die Eminenz von Eigelfing. Der Mann, der noch vor dem Pfarrer oder dem Polizisten Autorität beansprucht im Dorf. Weil er es kann. Weil er Häuser baut und als Sponsor auftritt. Weil er über die entscheidenden Netzwerke verfügt. Etwa zum Talentscout des FC Bayern. Früher war er Jugendtrainer der E-Jugend, jetzt hält er immer noch die Strippen in der Hand, dieser Klaus Wille (Peter Lohmeyer).
Früher hat er die Träume der Jungs genährt und befördert, Achtjährige und ihre Eltern beeindruckt und damit gelockt, dass es für sie einmal die Nationalmannschaft sein könnte. Ein Wohltäter, der sich immer ein Lieblingskind aussuchte. Und es vergewaltigte. Niemand konnte oder wollte ihm was. Entsprechend sakrosankt tritt Wille auf (als Dreißigjähriger gespielt von Felix Everding). Auch das Kind Frank (als Junge verkörpert von Robert Müller) wollte er zum FC Bayern vermitteln. Was beim entscheidenden Training geschah, wird erst gegen Ende enthüllt.
Das Thema Missbrauch im Sport ist nicht erst seit dem übergriffigen Verhalten des spanischen Verbandschefs bei der jüngsten Fußball-WM der Frauen auf der öffentlichen Agenda. In Dokumentarfilmen und Reportageformaten gab es in den letzten Jahren viele Aufarbeitungen, vom systematischen Missbrauch der amerikanischen Turnerinnen durch einen Mannschaftsarzt bis zu Vorgängen im Turmspringen der Männer.
Ebenso wie bei den Missbrauchskomplexen Kirche oder Internat gehören in der Regel zur Systematik der schrecklichen Vorgänge Täter oder Täterinnen wie Funktionäre und Verbände, Vorgesetzte und Schulträger. Die schlimmsten Kindes- und Heranwachsendenvergewaltiger, die Serientäter, sind - so scheint es zumindest in der bisherigen Aufarbeitung - die nach außen besonders geschätzten Pädagogen, Leistungsentwickler oder manipulativen Seelenkundler. Diejenigen, deren „unorthodoxe“ Methoden und Ansichten, bis in sogenannte höchste Kreise ausstrahlten und blendeten, wie im Fall des pädokriminellen Leiters der Odenwaldschule Gerold Becker. Es sind Täter, die sich sicher fühlen durften. Ihre oft immer dreister verübten Verbrechen fanden - und finden - unter Ausnutzung ihrer Vertrauensstellungen statt.
„Wir haben einen Deal.“ Mit diesem Satz hat Wille Frank vor 30 Jahren unter Druck gesetzt. Für die besondere Vorzugsstellung als Spieler musste er über den gewaltsam verübten Missbrauch in zahllosen Fällen schweigen. Nach außen hat Frank es geschafft. Er ist erfolgreicher IT-Berater, hat eine liebevolle Ehe mit Sabina (Patricia Aulitzky) und einen tollen Sohn, Tim (Levin Mahir). Selten war er in den vergangenen Jahrzehnten in seinem Elternhaus, entzog sich, lief bestenfalls dort durch den Wald.
Während Sabina das Elternhaus gern renovieren möchte, ist Frank schon wieder auf dem Sprung. Als eine Geschäftspartnerin Willes Satz benutzt („wir haben einen Deal“), bricht Frank in Frankfurt im Hotelzimmer zusammen. Lange schon nimmt er Psychopharmaka, erfährt man. Sabina gibt er den Laufpass. In hohem Maße glaubwürdig gestaltet Felix Klare den Zusammenbruch seiner Figur und vorher seinen mühevoll unter Kontrolle gehaltenen Selbstzerstörungsdrang. Nicht minder glaubwürdig ist Patricia Aulitzky als seine Stütze, zusammen verkörpern sie die zumindest vorübergehende Fragilität ihrer Beziehung und ihres fragmentarisierten Vertrauens.
Es ist eine Stärke dieses so sensiblen wie deutlichen und kämpferischen Films, dass er nicht nur die Aufdeckung der Verbrechen des Fußballtrainers dramaturgisch klug gestaltet, sondern, in der Manier von Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“, die Mitschuld des ganzen Dorfs durch Schweigen, Verdecken und Ermöglichen darstellt. Willes Sekretärin (Johanna Bittenbinder) gibt Sabina schließlich Zugang zu Willes Rechner mit Fotos des immer noch stattfindenden Missbrauchs. Doch Wille, dem Peter Lohmeyer Doppelgesichter von jovial bis widerwärtig brutal gibt, wähnt sich sicher. Selbst die Kripobeamtin, bei der Frank schließlich den Trainer anzeigt, wirkt distanziert bis ungläubig.
Kurz vor dem Ende des Films verschwindet ein missbrauchtes Kind. Die bis dahin bemerkenswert genau erzählte Geschichte nimmt hier eine dramaturgische Abkürzung, die ein wenig nach inhaltlicher Bequemlichkeit aussieht. Zeitungen machen plötzlich mit dem Verdacht des systematischen Missbrauchs im Sportverein auf. Der Stein kommt ins Rollen, man sieht mehrere Schlagzeilen. Die Absicht ist klar: Öffentlichkeit hilft, aber ist natürlich auch ein kitzliger Punkt. Die Sorgfaltspflicht in der Verdachtsberichterstattung spielt hier keine Rolle.
Plötzlich ermittelt die Polizei eifrig, meldet sich ein weiteres Opfer, bekommt Willes Rückendeckung Risse. Die Sekretärin will eine Aussage machen. Frank findet im Wald den verschwundenen Yanis (Josua Mason) und sich selbst wieder.
„Wir haben einen Deal“ ist in keiner Szene voyeuristisch, der Film stellt das Leid der Opfer nicht aus. Psychologisch klug und sehr genau, enthält sich der Film jeder „True Crime“-Ästhetik, die inzwischen auch in der Fiktion Einzug gehalten hat. Die Gewichtung von individueller Lebensgeschichte und allgemeinem Ermöglichen ist sehr überzeugend, der Täter wird als solcher benannt und verantwortlich gemacht. Er ist schuld.
Man wünscht dem Film eine nachhaltige Reise durch Schulen, Sportvereine und überall dahin, wo Erwachsene, auch im Auftrag von Eltern, mit den ihnen anvertrauten Kindern sorgsam umgehen sollten. Dieser Film kann Diskussionen ermöglichen und empfundene Scham verkleinern. Er schafft das, ohne aktivistisches Vehikel gesellschaftlicher Verantwortung und Aufdeckung im Fiktionskleid zu sein, als Filmkunstwerk eigenen Rechts.
Aus epd medien 41/23 vom 13. Oktober 2023