Abgesang auf einen Helden

VOR-SICHT: „Juan Carlos - Liebe, Geld, Verrat“, vierteilige Dokumentation, Regie: Anne von Petersdorff und Georg Tschurtschenthaler, Buch: Anne von Petersdorff, Christian Beetz, Pedro Barbadillo, Kamera: Jan Zabeil, Yannick Bonica, Jürgen Rehberg, Roland Gockel, Produktion: Gebrüder Beetz (Sky, ab 21.5.23)

epd Fast vier Jahrzehnte, vom Ende der 1930er bis Mitte der 1970er Jahre, herrschte Francisco Franco über Spanien. Nach dem Ableben des Caudillo im November 1975 überführte König Juan Carlos I. die franquistische Diktatur nahezu geräuschlos in eine parlamentarische Monarchie. Wie fragil dieses Staatsgebilde war, zeigte der Umsturzversuch von 1981. Franquistische Militärs wollten die Diktatur wiederherstellen und schossen im Parlament um sich. Allein das entschlossene Auftreten des Königs - so geht bis heute die Legende - führte zum Scheitern dieses Putsches. In einer legendären TV-Ansprache befahl er als oberster Chef der spanischen Streitkräfte (was auch seine Uniform zum Ausdruck brachte) den Putschisten, in die Kasernen zurückzukehren.

Sie gehorchten - und Juan Carlos avancierte zum strahlenden Helden. Weltweit genoss er als „König der Demokratie“ großes Ansehen. Das änderte sich schlagartig, als er 2012 auf skandalösen Fotos als Elefantenjäger posierte. Als kurz darauf auch noch eine Korruptionsaffäre bekannt wurde, dankte er 2014 ab. Wie kam es dazu, dass dieser glamouröse Bilderbuchmonarch abstürzte, zum Steuerflüchtling wurde und sich 2020 wie ein Krimineller gar ins saudische Exil verkroch?

Die vierteilige Sky-Dokumentation greift dieses Thema auf und verbindet historischen Rückblick mit wirtschaftspolitischen Aspekten sowie mit Klatsch und Tratsch. Anne von Petersdorff und Georg Tschurtschenthaler zeichnen den Niedergang eines Bilderbuchmonarchen nach, der, betrunken von seinem Ruhm, schlicht und einfach den Bogen überspannte. Juan Carlos selbst wollte sich in diesem Film nicht äußern. Neben ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern, Palast-Insidern und Enthüllungsjournalisten kommt auch Corinna zu Sayn-Wittgenstein zu Wort, die Juan Carlos 2006 kennenlernte und in der spanischen Presse im Zusammenhang mit dem dekadenten Jagdausflug nach Botswana als seine „Geliebte“ bezeichnet wurde. Sie spricht ausführlich und offenherzig über ihre Liaison und die Safari, die das Ansehen des Monarchen in der Öffentlichkeit nachhaltig beschädigte.

Aber sind das nicht Geschichten aus Gazetten, die man beim Friseur oder Zahnarzt überfliegt? In einem dieser Yellow-Press-Magazine war zu lesen, ein Agent vom spanischen Geheimdienst habe Corinna gedroht: Sie würde „enden wie Lady Diana“. Kein Zweifel, es geht um „Liebe, Geld, Verrat“, so der Titel der vierteiligen Miniserie. Sie bindet Klatsch und Tratsch jedoch in einen größeren Kontext ein. Petersdorff und Tschurtschenthaler erinnern an einen Monarchen, der sein Ansehen in der internationalen Diplomatie einsetzte, um Spanien wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Eine Schlüsselrolle spielte seine enge Beziehung zu Saudi-Arabien. Für Öl-Geschäfte, die er einfädelte, kassierte Juan Carlos jeweils satte Provisionen. Knapp zwei Milliarden Euro soll er auf diese Weise angehäuft haben.

Corinna zu Sayn-Wittgenstein ist jedoch die eigentliche Protagonistin dieser Dokumentation. Juan Carlos hatte der Geliebten zahlreiche geheime Dokumente zukommen lassen. Eines davon, eine Schenkungsurkunde über 65 Millionen Euro, hält sie triumphierend vor die Kamera. Eine royale Liebesgabe? Keineswegs. Die mäandernde Dokureihe verdeutlicht, dass die deutsche Adlige eigentlich als klandestine Treuhänderin fungieren sollte. Der Monarch wollte das Geld am Finanzamt vorbeischmuggeln. Doch Corinna zu Sayn-Wittgenstein spielte nicht mit. Agenten des spanischen Geheimdienstes setzten sie daraufhin unter Druck. Dank zahlreicher kompromittierender Schriftstücke, die sich in ihrem Besitz befinden, behält die Gräfin in diesem spanisch-deutschen Rosenkrieg die Oberhand.

Als Zaungast solcher Mauscheleien unter Reichen ist der Zuschauer Teil jener Öffentlichkeit, welche die medienerprobte deutsche Fürstin geschickt einsetzt, um ihre Ziele zu erreichen. Sie produziert sozusagen „strategischen Tratsch“. Im Gegensatz zu den meisten der gegenwärtig gezeigten Dokumentationen über Royals - etwa anlässlich der Krönung von König Charles III. - ist der von den Gebrüdern Beetz produzierte Vierteiler allerdings keine ausgesprochene Hofberichterstattung. Er zeichnet kein vorteilhaftes Bild des abgedankten Königs. Der kurzweilige Hochglanz-Bilderbogen bietet eine Fülle sehenswerter Archivaufnahmen aus dem Palacio de la Zarzuela, dem Wohnsitz der königlichen Familie, von wo aus der Monarch mit der Harley Davidson zu seiner Geliebten aufbricht. Ein halb humorvoller Abgesang.

Aus epd medien 19/23 vom 12. Mai 2023

Manfred Riepe